Lyrikband: „Mir wëlle bleiwen, wat mir ginn“

Ab Samstag steht Kultur aus Luxemburg im Mittelpunkt des nationalen Pavillons bei der umstrittenen Weltausstellung in Dubai. Teil davon ist der Lyrikband „Mir wëlle bleiwen, wat mir ginn. Gedichter aus Lëtzebuerg“, herausgegeben von Guy Helminger. Nehmen die Gedichte Kritiker*innen des Kulturauftritts den Wind aus den Segeln?

Der Gedichtband 
„Mir wëlle bleiwen, wat mir ginn. Gedichter aus Lëtzebuerg.“, der im Zuge der Weltausstellung in Dubai entstand, hält ein paar national-kritische Werke bereit. (Copyright: Centre national de littérature)

Zuerst die Rutschbahn, jetzt die Poesie: Der Luxemburger Pavillon, der von seinen Organisator*innen als einziger Pavillon mit Rutschbahn gefeiert wurde, steht ab morgen, dem 15. Januar, und noch bis zum 31. Januar im Zeichen der nationalen Kunst. Teil des Programms ist der Lyrikband „Mir wëlle bleiwen, wat mir ginn. Gedichter aus Lëtzebuerg“. Herausgeber ist der Autor Guy Helminger. Im Vorfeld der Weltausstellung übte in Luxemburg vor allem das Künstler*innenkollektiv Richtung22 Kritik an der Instrumentalisierung von Kunst zu Wirtschaftszwecken in einem Land, das immer wieder gegen Menschenrechte verstößt. Guy Helminger widerspricht den Vorwürfen in seiner Einleitung zum Gedichtband nicht direkt, verweist jedoch auf Lyrik als Türöffner.

„Auf einer Weltausstellung, die als Leistungsschau der Wirtschaft fungiert und bei der es um (…) das Nation Branding der Länder im Hinblick auf Geschäftsbeziehungen und Tourismus geht, scheint Kunst zunächst fehl am Platz (…)“, schreibt Helminger. „Aber gerade sie bietet die Möglichkeit zur Differenzierung. (…) Das Anarchische der Poesie, (…) der Eigenwille, das offizielle Selbstbild Luxemburgs nicht mitzutragen (…) fügt der Schau das verbindende Element austarierter Genauigkeit hinzu.“ Helminger erhofft sich auf den ersten Seiten des Bandes, dass die Lyrik Menschen einander näherbringt als Wirtschaftsversprechen.

Die Gedichte sind im Original sowie in englischer und arabischer Übersetzung abgedruckt. Dies ist Delphine Lettau, Zoë Skoulding, Ahmed Farouk und Michrafy Abdelwadoud zu verdanken. Die stilistische Vielfältigkeit der Poesie kommt im Lyrikband an vielen Stellen zum Ausdruck. Die Gedichte der 21 ausgewählten Autor*innen – nur sechs davon sind weiblich – unterscheiden sich sowohl vom Stil als auch vom Inhalt her stark voneinander. Während Ulrike Bail mit ihrer unverkennbaren, kryptischen, doch rhythmischen Sprache über Architekten und Zugvögel in Einkaufszentren dichtet, findet Anna Leader klare Worte für Luxemburg.

In ihrem Gedicht „Luxembourg“ schreibt sie: „Much ugliness is exported or outsourced, Which makes it that much easier to ignore, So it’s quite possible to laud our little country, As I do, Without admitting it’s a little too good to be true.“ Gegenstand des Gedichts ist die Auswanderung des lyrischen Ichs: Es schwärmt anderen oft von Luxemburg vor, hat das Land selber aber hinter sich gelassen und blickt nun kritisch darauf zurück.

Der Schriftsteller Jean Bürlesk geht ähnlich hart mit Luxemburg, aber auch mit den Vereinten Arabischen Emiraten (VAE), ins Gericht. Zwar fallen in „As-Salāmu’Alaykum“ weder das Großherzogtum noch die VAE namentlich, doch ist die Anspielung auf die internationalen Beziehungen zwischen den Ländern naheliegend. Der Schriftsteller spricht von einem „we“ und dieses „we“ ist überzeugt: „we’re meant to be friends, you and us: we speak the same language. Not arabic (…) dollar/we speak dollar/we’re quite fluent in it and we understand you are too.“ Angesichts der Finanzskandale, in die Luxemburg in den letzten Monaten und Jahren verwickelt war, gehen besonders diese Verse als ehrliches Nation Branding durch.

Leader und Bürlesk geben den Kuratoren des Kulturprogramms im Pavillon, Bernard Baumgarten, künstlerischer Leiter des Trois C-L, und Kevin Muhlen, künstlerischer Leiter des Casino Luxembourg, mit ihren zwei Gedichten Kontra: Baumgarten und Muhlen hatten sich im Gespräch mit der woxx über Luxemburgs Kulturauftritt in Dubai entschlossen gegen die allgemeine Politisierung des Programms geäußert. „Warum muss immer alles unbedingt kritisch gesehen und politisiert werden?“, sagten sie damals. „Es gibt Künstler*innen, die einfach nur gute Kunst machen wollen, ohne dabei eine politische oder kritische Position einzunehmen.“ Allerdings zeigen unter anderem Leader und Bürlesk, dass das vereinbar ist: gute Kunst, Politik und Kritik.

Die restlichen Gedichte des Bandes, die beispielsweise aus der Feder von Nathalie Ronvaux, Elise Schmit oder Carla Lucarelli stammen, kommen im Schnitt weniger provokant daher, doch Kritik am Großherzogtum und anderen Regierungsmächten lässt sich dennoch hier und da zwischen den Zeilen herauslesen.

Die Tatsache, dass in dem Band sowohl aufstrebende Autor*innen als auch seit Jahrzehnten etablierte Ikonen wie Lambert Schlechter oder eben die Helminger Brüder zu Wort kommen, ist begrüßenswert. Selbst wenn durch den Band kein interkultureller Dialog stattfindet, dann doch zumindest ein Austausch zwischen Generationen des nationalen Literaturbetriebs. Die Anthologie ermöglicht außerdem, lyrische Tendenzen in Luxemburg aufzuzeigen.

Ob der Gedichtband am Ende der Türöffner ist, den Guy Helminger sich erhoffte, bleibt offen. Genauso wie die zentrale Frage, ob ein paar kritische Gedichte ausreichen, um mit Kunst ein Zeichen gegen die „Leistungsschau der Wirtschaft“ zu setzen, oder ob es dafür doch des Boykotts bedarf.

Mir wëlle bleiwen, wat mir ginn. 
Gedichter aus Lëtzebuerg. 
Hrg. Guy Helminger. 
Centre national de littérature: 2021.

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