Mein erster freier Europa-Tag

Ein von Banksy verantwortetes Mural, zu sehen in Dover, das in der Nacht vor dem Europa-Tag 2018 enstand. (Foto: Immanuel Giel, CC BY-SA 4.0)

Blau-rot-grün beschenkt uns mit einem zusätzlichen Feiertag, dem Europa-Tag, der jedes Jahr am 9. Mai stattfindet. Einige woxx-Mitarbeier*innen hat die frohe Botschaft so begeistert, dass sie gleich Pläne geschmiedet haben, was sie an diesem unverhofften freien Tag alles unternehmen könnten.

Stubenhocker-Feiertag
(ja) – Ist der 9. Mai, abgesehen von der symbolischen Bedeutung, ein guter Tag für einen Feiertag? Ein Blick auf historische Wetterdaten lässt daran ein wenig zweifeln: 1976 wurde es mit 28 Grad zwar sommerlich heiß, doch wurden 1938 am Findel sogar Minusgrade aufgezeichnet. Im Schnitt war der 9. Mai in Luxemburg mit Temperaturen zwischen 8 und 17 Grad zwar eher ein milder Frühlingstag, aber die Pläne für das gemütliche Europa-Picknick im Park könnten dann doch ins Wasser fallen. In den letzten zehn Jahren gab es lediglich dreimal einen 9. Mai, der komplett trocken war. Also nicht unbedingt ein Feiertag für alle, die gerne draußen sitzen, grillen oder ein eiskaltes, aber dafür noch Blaualgen-freies Badegewässer benutzen. Zum Glück bin ich ein Stubenhocker und kann den neuen potenziell verregneten Feiertag für all jene Aktivitäten nutzen, die in meinem Alltag zu kurz kommen: Bücher, Comics, Podcasts, Spiele, usw. In ein paar Jahren hoffentlich auch ganz legal bekifft. 2019 wird ohnehin die ganze woxx-Redaktion einen Ruhetag brauchen, denn dadurch, dass der 9. Mai auf einen Donnerstag fällt, muss die
Wochenzeitung wohl schon am Mittwoch in Druck – aber Europa kann halt nicht immer Spaß machen!

Planung ist alles
(tj) – Am Morgen des Europatags werde ich von einem Geräusch wach. Noch im Halbschlaf ziehe ich mir die Stöpsel aus den Ohren. Ach, es sind nur die Sieben-Uhr-Nachrichten. Plötzlich wird mir bewusst: Es ist Feiertag und ich hab gestern wieder mal vergessen, den Wecker abzustellen. Jetzt bin ich wach und werde wohl kaum wieder einschlafen können. Na toll. Nachdem meine anfängliche Verärgerung verflogen ist, überkommt mich allmählich ein freudiges Gefühl. Endlich werde ich all das machen können, wozu ich sonst nur viel zu selten komme. Ich ziehe mich an und laufe zum Supermarkt … der natürlich geschlossen hat. Stimmt, für die ist heute ja auch Feiertag. Wieder zuhause angekommen finde ich einen ziemlich leeren Kühlschrank vor. Zum Glück ist noch etwas Müsli da. Dann werde ich mich heute halt davon ernähren. Ich werfe einen Blick auf meine To-do-Liste: Ich muss zur Bank, bräuchte dringend eine neue Hose und müsste mal diesen Kratzer in meiner Brille reparieren lassen. Tja, auch das wird wohl bis zum nächsten Werktag warten müssen. Dann geh ich halt Rad fahren. Nur hat sich der Nieselregen von heute früh mittlerweile in regelrechten Platzregen verwandelt. Sport im Freien ist keine Option. Letzter Versuch: Ich schreibe ein paar Freund*innen an. Vielleicht könnte man ja ins Kino oder so. Doch alle haben bereits Pläne. Ich gebe auf. Den Rest des Tages verbringe ich damit, schon mal den Europatag 2020 zu planen.

Wir spielen Europa
(lm) – Am 9. Mai werde ich ein paar Freund*innen einladen, um eine Partie „Europa 1945-2030“ zu spielen. Das Spiel dreht sich um die Entwicklung der Europäischen Union, die als eine Art natürliches Zusammenwachsen dargestellt wird. Die Spieler*innen sind die „Guten“ und müssen die Erweiterung der Union gegen die „bösen“ Kräfte des Euroskeptizismus und des Nationalismus vorantreiben. Doch es ist nicht dieses Narrativ, wohlbekannt aus Reden von luxemburgischen Europapolitiker*innen, das mir an diesem Spiel gefällt. Sondern die Tatsache, dass man kooperieren muss, um zu gewinnen. Natürlich gehört auch das zum Narrativ: Kooperation sei ein zukunftsweisendes Modell für die internationale Gemeinschaft, so die Europa-Schwärmer*innen. Leider ignorieren die meisten von ihnen, dass das Prinzip Kooperation auch die Grundlage für ein Gesellschaftsmodell liefert. Die EU setzt in der Politik auf Kooperation und Solidarität, wirtschaftlich aber auf Konkurrenz und Ausbeutung. Wenn im Europa-Spiel nur halbherzig kooperiert wird, verlieren alle. Die reale EU ist dabei, dieses Ergebnis zu reproduzieren.

Mon 9 mai
(lc) – Mon 9 mai commencera forcément le 8. Non pas que je planifie de sortir jusqu’à l’aube et de passer le reste de ma journée libre sous mes draps, emprisonné dans un mélange émotionnel oscillant entre dépression postalcoolique et bonheur de pouvoir me cacher pendant 24 heures de mes collègues de bureau – tout au contraire. Le 8 au soir, j’irai faire des courses et j’achèterai, disons, une bonne douzaine de paquets de petits fours. Et armé de ces paquets, je commencerai le lendemain dès l’aube une pérégrination dans tous les commerces ouverts, offrant ces biscuits chocolatés à chaque personne qui n’a pas la chance de pouvoir profiter de sa journée libre. J’attaquerai par les supermarchés, je ferai le tour des stations-service et achèverai par les restaurants, jusqu’à ce que mes boîtes soient vides. Ainsi, j’aurai un peu marqué le coup contre l’hypocrisie de ce gouvernement qui reste toujours inflexible sur la flexibilité et qui ne se range jamais du côté des salarié-e-s quand ça parle fric. Peut-être aussi que je mettrai un drapeau européen sur ma veste – mais ça, c’est à voir…

Was mache ich am Europatag?
(is) – Das Mehrbettzimmer mit Angi, Xav, Jean-Claude und Michel B. ist gebucht. Zusammen geht’s im Viererabteil am 9. Mai per Eurotunnel nach Folkestone in Kent, von da aus „straight ahead“ nach London. Theresa May lädt im Mai zur großen Sause. Sie hat gleich zwei Gründe, die Teebeutel zu schwingen. Sie läutet nicht nur mit Pauken und Trompeten ihren Nachnamens-Monat ein, sondern zelebriert auch ihre heiß geliebte EU. Dazu gibt es „Tea Time“ mit der Queen. Die bietet für alle EU-Bürger*innen den Workshop „How to Make a Hat That Suits Your Purse“ an. Vollgefressen und mit schickem Hut, geht es dann weiter zur Irrfahrt im roten Doppeldecker-Bus, bis nach Irland. Soweit zum vorläufigen Programm. May twitterte, über einiges müsse noch abgestimmt werden. Scones: mit oder ohne Rosinen? Musikalisches Rahmenprogramm: Spice Girls oder das, was von den Rolling Stones bis dahin noch übrig ist? Souvenir: winkende May-Figur oder ausgestreckter Mittelfinger? Auch der Besuch des interaktiven Musicals „Brexit“, das im „British Parliament“ unter tosendem Geschrei uraufgeführt wurde, steht noch auf der Kippe. Eins ist jedoch klar wie Kloßbrühe: Wenn Big Ben um Mitternacht zwölf schlägt, werden die Europafahnen auf der Tower Bridge zur „Ode an die Freude“ gehisst und angezündet. Anschließend ist das Baden in der Themse ausnahmsweise erlaubt. Die EU empfiehlt den Rettungsschirm einzupacken. Für alle Fälle. Hilft auch gegen Dauerregen. Krönender Abschluss ist das Speck mit Bohnen-Frühstück am Morgen. Speck und Bohnen muss jede*r selbst mitbringen. Wundervoll. Der Haken? Wer den Abflug am 10. Mai um 10 Uhr verschläft, muss auf ewig in Großbritannien bleiben – und sieht die EU nie, nie, nie wieder.

Endlich Zeit für die Urlaubsplanung
(rg) – Es ist ja nett, wenn die blau-rot-grüne Koalition uns neben einem zusätzlichen Urlaubstag auch noch mit einem neuen Feiertag beglückt. Doch weshalb mit einem, der im mit Feiertagen meistens bereits überhäuften Monat Mai liegt? Europa in allen Ehren, aber es gibt doch noch andere gute Gründe oder Momente um zu feiern. Für eine Wochenzeitung bedeutet ein freier Tag unter der Woche einfach nur eine Verdichtung der Arbeit an anderen Tagen: Das gleiche Pensum wird an vier statt fünf Tagen erledigt. Und solche Wochen gibt es im „Wonnemonat“ Mai schon jetzt bereits mehr als genug. Auch andere Berufszweige wissen, dass solche „freien“ Tage nicht unbedingt mehr Freiheit in der eigenen Lebensgestaltung bedeuten. Aber immerhin: Der unverhoffte zusätzliche freie Tag lässt dann Zeit für das, was sonst immer zu kurz gekommen ist. Zum Beispiel, die Sommer-Urlaubsplanung für sich und die Kolleg*innen unter Dach und Fach zu bringen – und nicht erst am Nationalfeiertag, wenn es dafür eigentlich schon zu spät ist. Diese Planung wird ab 2019 ohnehin etwas komplizierter, da ja spätestens Ende Mai das Überstundenkonto der allermeisten derart überquillt, dass es eigentlich besser wäre, eine Woche kollektiv dicht zu machen. Doch das darf eine Wochenzeitung nicht so ohne Weiteres. Also grübeln wir erst mal weiter über unser unlösbares Problem … in der bislang einzigen druckfreien Woche „zwischen den Jahren“.


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