Metaversum: Auf in bessere Zeiten?

Die Riesen der Technologiebranche investieren zurzeit gigantische Summen in etwas, das sie als Metaversum bezeichnen. Was steckt dahinter? Teil eins unserer Serie zu diesem Trend.

Wir das aktuelle text- und bildbasierte Internet einer neuen, immersiveren Version weichen? (Copyright: EPA-EFE/Enric Fontcuberta)

Für manche ist es die nächste Revolution des Internets, für andere nur ein Rebranding der Gaming-Industrie – und der Rest der Menschheit hat womöglich noch nie davon gehört: Die Rede ist vom sogenannten Metaversum.

Zu erklären, was es ist, ist vor allem deshalb schwierig, weil es erst in seinen Anfängen steckt. Im Groben geht es darum, eine neue, immersive Version des gegenwärtigen text- und bildbasierten Internets zu schaffen. Gewisse Ausprägungen davon gehören auch jetzt schon zu unserem Alltag. Dazu muss man nicht einmal in Kryptowährung investieren oder sich in eine 4D-Filmvorführung setzen: Ein Social-Media-Account oder das Benutzen von Google Maps reichen schon aus, um die Anfänge dieser Entwicklung live mitzuerleben.

Die Vision, die zurzeit von der Gaming-Industrie und der Technologiebranche beworben wird und innerhalb der nächsten Jahrzehnte Realität werden soll, geht allerdings noch sehr viel weiter: Jede analoge Erfahrung soll auch virtuell gemacht werden können. Zwischenmenschliche Interaktionen wären davon ebenso betroffen wie die Konsumwelt, die Tourismusbranche und die Arbeitswelt. Dank eines eigenen Wirtschaftssystems, so die Idee, könnten sowohl Individuen wie auch Unternehmen innerhalb des Metaversums investieren, kaufen, verkaufen und für Arbeit bezahlt werden.

Im Alltag könnte das so aussehen, dass wir statt mit Smartphones in nicht allzu ferner Zukunft mit Smartbrillen und -handschuhen herumlaufen, dank derer wir unentwegt mit einem Fuß in einer digitalen Parallelwelt stehen. Expert*innen schätzen, dass diese Entwicklung das gesellschaftliche Zusammenleben nachhaltig verändern könnte, vergleichbar etwa mit der Erfindung des iPhones.

Der Begriff „Metaverse“ stammt vom US-Schriftsteller Neal Stephenson, der ihn erstmals im Jahr 1992 in seinem Cyberpunk-Roman „Snow Crash“ verwendet hat. Darin beschrieb Stephenson eine von Mega-
konzernen und organisiertem Verbrechen dominierte virtuelle Welt, die von den Avataren echter Menschen bewohnt wird. Auf der großen Leinwand konnte man eine solche Dystopie vor einigen Jahren in Steven Spielbergs Verfilmung des Buchs „Ready Player One“ sehen. Was diesen Darstellungen gemein ist: Der digitale Raum ist ein Ausweg aus der unbewohnbar gewordenen analogen Welt.

Dass das Metaversum zum Teil auf ein Rebranding der Gaming-Industrie reduziert wird, ist auf deren aktuelle Vorherrschaft auf dem Gebiet zurückzuführen. Wenn es nämlich ums Ausloten der Möglichkeiten virtueller Realitäten und Interaktionsmöglichkeiten geht, ist niemand so weit fortgeschritten wie sie.

Mehr als Rebranding?

Eins der ersten Games, in welchem Menschen in Form von Avataren zusammenkommen konnten, um eine digitale Welt auszukundschaften, digitale Inhalte zu erschaffen, miteinander zu interagieren und virtuelle Objekte mittels einer spielinternen Währung zu erwerben, ist das 2003 erschienene Second Life. Seither sind zahlreiche weitere solcher Spiele entstanden, mit besserer Grafik und größerer Nutzer*innenkapazität.

So etwa Roblox, eine Plattform, die sich vor allem an Kinder richtet. Diese finden darauf nicht nur Spiele vor – auf Roblox „Experiences“ genannt –, sie können solche mithilfe einer vereinfachten Programmiersprache sogar selbst entwickeln und dann monetisieren. Bezahlt wird mit der spielinternen Währung Robux, die wiederum mit echtem Geld gekauft werden kann. Was das mit dem Metaversum zu tun hat, merkt man spätestens dann, wenn Kinder ihre Freund*innen zu einem virtuellen Geburtstag auf die Plattform einladen und, sich via Headset unterhaltend, gemeinsam Experiences durchspielen.

Das ist aber nicht der einzige Grund, weshalb Roblox als eine der am weitesten fortgeschrittenen Formen eines Metaversums gilt. Aufgrund ihrer Beliebtheit wird die Plattform von anderen Firmen zu Werbezwecken genutzt. So hat Netflix etwa eine „Stranger Things“-Experience entwickelt, die es ermöglicht, eine virtuelle Version der serieneigenen Starcourt Mall zu erkunden. Roblox ist aber nicht nur an Verweisen auf andere digitale Produkte interessiert: Im November kündigte der Konzern an, zehn Millionen in die Entwicklung pädagogischer Materialien zu investieren, wie etwa einen simulierten Ausflug in die internationale Raumstation.

Auch andere Videospielehersteller greifen auf diese Kombination aus analoger und digitaler Realität, Echtzeitkommunikation und eigenem Wirtschaftssystem zurück. Im Epic-Games-Spiel Fortnite etwa kann man in Echtzeit virtuelle Konzerte von Musiker*innen besuchen, wie im August 2021 zum Beispiel das des US-amerikanischen Popstars Ariana Grande. Diese stand dabei jedoch nicht einfach nur auf einer Bühne: Ihre Fans konnten bei dem psychedelischen Spektakel zusammen mit ihr auf Wolken tanzen und in Seifenblasen herum schweben – als Avatare natürlich. Die dazugehörigen Outfits  – sogenannte Skins – konnten die Konzertbesucher*innen sich im Vorfeld für rund zehn Dollar kaufen.

Fortnite ist für Künstler*innen und Unternehmen vor allem wegen seiner enormen Reichweite attraktiv, 2020 zählte die Plattform 350 Millionen Nutzer*innen. Im virtuellen Kino von Fortnite laufen regelmäßig echte Filme, wie etwa „Inception“ und „The Dark Night“ von Christopher Nolan. 2021 kam es zur ersten Zusammenarbeit mit einer Marke, die auch Produkte in der physischen Welt herstellt: Seither kann innerhalb von Fortnite das Ferrari Modell 296 GTB gefahren werden.

Copyright: Epic Games

Der Wettlauf hat begonnen

Doch nun versuchen einige Riesen der Technologiebranche aufzuholen. Der Stellenwert, den Facebook diesem Projekt beimisst, wurde am 28. Oktober 2021 deutlicher denn je: An jenem Tag verkündete Marc Zuckerberg nämlich, den Namen seiner Firma in „Meta“ geändert zu haben. Einen Monat zuvor hatte Facebook die beta Version von Horizon Workrooms vorgestellt, eine App für berufliche Meetings in der virtuellen Realität. Zudem gab der Konzern bekannt, in der EU 10.000 qualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen, um das Metaversum aufzubauen. Auch ein Einstieg ins NFT-Geschäft ist geplant. Doch selbst das war keineswegs der erste Schritt des Konzerns in Richtung Metaversum: Bereits 2014 kaufte Facebook den Virtual-Reality-Brillenentwickler Oculus für zwei Milliarden Dollar. Mittlerweile ist die Nutzung dieser VR-Brillen nur noch möglich, wenn man über einen Facebook-Account verfügt.

Doch die Konkurrenz schläft nicht: Hatten sich Microsofts Ambitionen bisher nur auf die Integration virtueller Büroräume und Avatars in seine Teams-Software beschränkt, so kündigte der Konzern kürzlich die bisher größte finanzielle Investition ins Metaversum an. Für ganze 70 Milliarden US-Dollar will Microsoft den Spiele-
hersteller Activision Blizzard kaufen. Letzterer soll zwar weiterhin Spiele entwickeln – durch den Deal würde Microsoft zum weltweit drittgrößten Gameshersteller –, zusätzlich jedoch auch seine Kompetenz beim Erschaffen virtueller Welten einbringen. Die Übernahme könnte allerdings noch von den US-amerikanischen und europäischen Kartellbehörden verhindert werden.

Auch Unternehmen wie Disney, Nike, BMW und die Supermarktkette Walmart haben bereits Interesse am Aufbau eines Metaversums bekundet. Sogar die Arbeitswelt ist von diesen Entwicklungen betroffen: Sowohl Epic Games als auch der dänisch-amerikanische Spielehersteller Unity bieten externen Firmen Simulationssoftware an. Architekturbüros nutzen diese etwa, um ihren Kund*innen virtuelle Führungen durch noch nicht gebaute Wohnungen zu geben.

Darüber hinaus gibt es mittlerweile Unternehmen, die einzig auf das Angebot virtueller Räume spezialisiert sind, sei es zum Arbeiten, Weiterbilden oder zum Abhalten von Events. Aufgrund der anhaltenden Pandemie erfreuen sich sogar virtuelle Hochzeiten – auch wenn diese natürlich nicht offiziell anerkannt werden – immer größerer Beliebtheit. Die Firma Allseated orientiert sich dabei an der realen Welt und ermöglicht es zum Beispiel, ein Event in einer virtuellen Version des Plaza Hotels in New York abzuhalten.

Hype und Skepsis

Bis die zurzeit viel diskutierten Metaversum-Ambitionen Realität werden, wird es aber wohl noch einige Jahre dauern. Das liegt einerseits daran, dass die entsprechende Technologie zum Teil noch nicht vorliegt. Neben dem Metaversum selbst betrifft dies vor allem AR- und VR-Brillen. Aktuelle Modelle sind zu schwer und unbequem, als dass sie über viele Stunden am Stück getragen werden könnten. Auch müssten diese Brillen erst um einiges günstiger werden, bevor durchschnittliche Internetnutzer*innen sie sich anschaffen wollten.

Andererseits steht die Technologiebranche vor der Hürde, Zielgruppen außerhalb der Gamingwelt und junger Demografien vom Eintauchen in eine virtuelle Welt zu begeistern. So ist es auch zu erklären, dass die einzigen vorliegenden Metaversum-Technologien von Facebook und Microsoft die Arbeitswelt betreffen. Spätestens seit der Pandemie gehören virtuelle Interaktionen für viele zum Arbeitsalltag. Ob diese Taktik aufgeht, wird sich wohl in den nächsten Jahren zeigen.

Doch auch darüber hinaus wird dem Hype ums Metaversum mit Skepsis begegnet. Expert*innen warnen, dass die Motive der Tech-Branche weit weniger pro-sozial sind, als diese zu vermitteln versucht. Stattdessen geht es um Marktdominanz, Nutzer*innendaten und – damit verbunden – riesige Geldummen. Noch steckt die Entwicklung aber in den Kinderschuhen, wie weit sie gehen wird und wer sie mitgestaltet, ist vorerst ungewiss. Möglich wäre nämlich auch, dass ein dezentrales Metaversum, wie es sich zurzeit ebenfalls im Aufbau befindet, zu einer Bedrohung für das Geschäftsmodell der großen Tech-Konzerne wird.

In den kommenden Wochen wird die woxx die ethischen, juristischen und gesellschaftlichen Fragen, die sich in puncto Metaversum stellen, genauer unter die Lupe nehmen.


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