In seinem neuen Film stellt der österreichische Filmemacher Michael Haneke wieder mit gewohnt formaler Strenge eine dysfunktionale, von Schuldgefühlen geplagte Familie vor.
Ein frischgebackener Vater, der seine Frau betrügt, ein rücksichtsloser junger Mann, ein lebensmüdes Kind, ein dementer alter Patriarch. Um eine Vorstellung von Michael Hanekes neuem Film zu bekommen, reicht es zu wissen, wer die Figuren sind, die Handlung ist nebensächlich. Es geht um das bürgerliche Leben und die – wie es Haneke einmal treffend nannte – „Vergletscherung der Gefühle“, die sich in ihm vollzieht.
Hanekes Filme sind keine leichte Kost, und „Happy End“ ist keine Ausnahme. In seinen Filmen ist niemand glücklich, nicht einmal die Kinder. Hanekes Familienbild ist düster, keine Nähe, wirkliche Kommunikation oder gar Liebe. Alle leben nebeneinander her und starren unausgesetzt wie hypnotisiert auf Bildschirme: auf Fernsehgeräte, Überwachungskameras, Laptops und, neuerdings, die ubiquitären Smartphones.
Über die Vergangenheit der Figuren erfährt man nur sehr wenig. Vater, Mutter, ein Kind, höchstens zwei, ist eine immer wiederkehrende Konstellation. Es geht auch nicht um Nuancen der jeweiligen Persönlichkeiten. Vielmehr stehen die Menschen für einen bestimmten Typus. Während die Väter oft entweder abwesend sind oder in der Erziehung versagen, sind die Mütter Agierende und zugleich Verfechterinnen einer verlogenen Bürgerlichkeit.
Neu bei „Happy End“ ist, dass sich ein Kind als zentrale Figur hervortut. Weil ihre Mutter ins Krankenhaus eingeliefert wurde, muss Eve (wie die Mädchen in Hanekes Filmen oft heißen) vorübergehend zu ihrem Vater und dessen neuer Frau ziehen. Einen wirklichen Platz hat die 13-Jährige in dieser Familie nicht, stets bleibt sie eine Fremde. Einzig ihrem Großvater nähert sie sich ein wenig an. Was die beiden eint: Einsamkeit und der Wille zu sterben. Doch der Schein trügt. Eve ist beileibe nicht nur hilfloses Opfer: Fast jede der dramatischen Wendungen des Films scheint letzten Endes auf sie zurückzugehen.
Haneke erzählt in nüchternen Bildern. Lange Einstellungen ohne musikalische Unterlegung, Schwarzblenden und Kameraeinstellungen, die den Blick auf das Wesentliche, nämlich die Gesichter, verbergen, sind bei ihm Programm. Bewusst wendet er sich gegen Konventionen des Hollywoodkinos. Zu keinem Moment soll das Publikum vergessen, dass es sich gerade einen Film anschaut. Auf diese Weise versucht er, die Manipulation des Zuschauers so gering wie möglich zu halten und gleichzeitig das Misstrauen in seine Realitätsgläubigkeit zu schüren.
In seinen letzten Filmen – „Caché“ (2004), „Amour“ (2012) und nun „Happy End“ – wendet Haneke solche anti-illusionistischen Filmstrategien nicht mehr ganz so rigoros an wie zu Beginn seiner Karriere. Doch besonders wenn es um Gewalt geht, setzt er nach wie vor alles daran, dem Publikum wohliges Konsumieren unmöglich zu machen. Dafür positioniert er zum Beispiel die Kamera in einiger Distanz zu den ProtagonistInnen oder lässt eine Figur einen Gewaltakt mit dem Smartphone filmen. Vor allem der letztere Kunstgriff führt uns vor Augen, wie sich unser Verhältnis zur Realität durch audiovisuelle Aufzeichnung verändert, wie uns allein die Gegenwart eines Bildschirms in die Position des passiven Beobachters zurückfallen lässt. So werden Gewaltszenen als etwas Nicht-Konsumierbares hervorgehoben und die ZuschauerInnen aus ihrer einlullenden Sicherheit herauskatapultiert.
Mit Themen wie Suizid, gescheiterte Kommunikation, unterdrückte Schuld und Einsamkeit, reiht sich auch dieser Film nahtlos in Hanekes Werk ein. Er bietet so betrachtet nichts Neues: man findet die altbekannten Elemente, nur in abgewandelter Form vor. Lösungen bietet Haneke dabei immer noch nicht an. Nur offene Fragen. Die Lücken muss das Publikum selber schließen. Um jeden Preis soll ein passives Sich-berieseln-lassen vermieden werden.
Am Ende sind das Kind und sein Großvater die einzigen potenziellen Identifikationsfiguren im Film. Und das sagt viel über die emotionale Unnahbarkeit der anderen Figuren aus. Wie in Haneke-Filmen üblich, trifft einen das Ende mit voller Wucht. Happy-End? Von wegen.
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