Musik: Kosmischer Jazz in Marnach

Der Jazzpianist Lukas DeRungs will mehr, als in die Tasten hauen: In „Kosmos Suite“ vereint er Jazz mit Poesie und Chorgesang. Am Freitag trägt er das Projekt im Cube 521 vor, im Vorfeld spricht er mit der woxx.

Der deutsche Jazzmusiker Lukas DeRungs schloss 2021 sein Studium an der Royal Academy of Music in London ab, in den Vorjahren belegte er unter anderem den ersten Platz bei der International Jazz Piano Competition. (Copyright: Daniel Wetzel)

Dichtung, Jazz und Chorgesang auf einer Bühne: Brechen dabei die Bretter ein oder lädt die Mischung zu musikalischen wie lyrischen Höhenflügen ein? Lukas DeRungs jedenfalls vereint die Disziplinen in seiner Komposition und Bühnenshow „Kosmos Suite“. An diesem Freitag, ab 20 Uhr, präsentiert er sein Werk zusammen mit seinem Quintett und dem Jazzchor Freiburg im Cube 521 in Marnach.

„Kosmos Suite“ ist für Kammerchor und Jazz-Ensemble geschrieben. Die Komposition wurde im September 2021 in der St Mark’s Church in London aufgezeichnet und im Folgejahr bei Berthold Records veröffentlicht. Musikkritiker*innen feiern das Werk als ambitioniert, gewaltig, vielschichtig – dem ist an dieser Stelle nichts hinzuzufügen. „Kosmos Suite“ ist ein Hör-
erlebnis, das sich im positiven Sinne schwer beschreiben lässt.

In DeRungs Konzept verleiht der Freiburger Jazzchor – seinerseits bekannt für genreübergreifende Projekte – einer besonderen Abfolge seine Stimme, denn „Kosmos Suite“ ist nach Lebensphasen aufgeteilt: Spark, Blast, Life, Void und Home. Es geht also um nichts Geringeres als um Leben, Tod und die Zwischenetappen. Was davon lässt sich am schwersten in Musik übersetzen? Für DeRungs war die musikalische Darstellung aller Abschnitte eine Herausforderung, bis auf eine Ausnahme, wie er im Gespräch mit der woxx verrät: „Außer Part 2, Blast: Wut und Aggression sind klar transportierbar und verständlich.“

Er habe versucht, allen Gefühlen in seiner musikalischen Sprache Ausdruck zu verleihen, neben Songs und Melodien auch mit Kollektiv-Improvisationen, Sprache und Geräuschen zu arbeiten. „Oft ist es aber gar nicht die Komposition selbst, sondern mit welchem Bewusstsein man die Musik ausführt, was für den Ausdruck entscheidend ist“, betont er. „Sich den Inhalt immer wieder klarzumachen und bei der Performance jedes Mal voll einzutauchen, ist die Herausforderung, wie im Film oder im Theater.“

Neben der Musik spielen aber auch die Texte eine zentrale Rolle in DeRungs Komposition. Sie basieren auf englischen Gedichten von Kamilah Aisha Moon, Constanze Zacharias, Dominique de Groen, Nick Flynn, Ameen Rihani und Immy Churchill. Die Auswahl war teilweise Zufall, wie DeRungs zugibt: „Während meiner Recherche habe ich Lyrik-Datenbanken nach Stichworten durchsucht wie „kosmos“, „spark“, „chaos“, „explode“ und bin so auf Texte gestoßen, die ich sonst nie gefunden hätte, weil mir die Autor*innen bis dato unbekannt waren.“

Manche der Lyrics seien hingegen für „Kosmos Suite“ geschrieben worden, wie etwa die von Zacharias. „Eine unglaublich kreative Karlsruher Künstlerin, die ich schon lange kenne. Sie hat eine Menge an Material generiert, das ich frei verwenden durfte“, sagt DeRungs. „Der Text des letzten Satzes „Home“ ist geschrieben von Immy Churchill, einer jungen Londoner Sängerin und Komponistin, die ich beim Studium an der Royal Academy of Music kennengelernt habe. Sie ist auch auf dem Album und war bei der letzten Tour live dabei.“

„Was Nachhaltigkeit angeht, sehe ich wenig Bereitschaft für Veränderung oder Verzicht. Meistens bedeutet „green touring“ nämlich: teurer und umständlicher.“

Auch wenn DeRungs der Dichtung in seinem rezenten Projekt Raum gibt, war das nicht immer so. „Mein Inte-
resse für Lyrik und Poesie ist noch gar nicht so alt, früher waren mir Texte oft egal. Es ging mir vor allem um Klang und Groove“, erinnert er sich. „In meiner Zeit als Chorsänger habe ich dann aber erlebt, wie viel stärker die Identifikation mit einem Song sein kann, wenn man den Text versteht und sich darin wiederfindet. Es entsteht eine andere Art der Tiefe, die uns Menschen berührt und verbindet.“

Copyright: Rocco Dürlich

In „Kosmos Suite“ liege ihm besonders „A Nocturn“ von Ameen Rihani am Herzen. Rihani gilt als der Begründer arabisch-amerikanischer Literatur und ist eine wichtige Figur der Mahjar-Bewegung – einer literarischen Bewegung arabischsprachiger Schriftsteller*innen, die bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein aufgrund politischer Unterdrückung und religiöser Verfolgung aus Syrien und dem Libanon nach Amerika flüchteten. „A Nocturn“ ist nicht auf dem Album von DeRungs zu finden, sondern nur in der erweiterten Live-Version von „Kosmos Suite“. „In dem Text geht es um die Reinheit der Seele, die frei ist von Zwängen, Begierden und Äußerlichkeiten“, erklärt DeRungs. Ein Video von dem Song („Here is my Soul“) ist auf Youtube zu finden, das Gedicht ist online sowohl dort in der Beschreibung als auch auf poets.org nachzulesen.

DeRungs interessiert sich jedoch nicht nur für Poesie, Musik und Ästhetik, zumindest spielt er auf seiner Website in einem kurzen Beitrag zu „Kosmos Suite“ auch auf die kulturelle Auseinandersetzung mit dringlichen Gesellschaftsfragen und Krisen an. „Dass wir als Menschheit einen nachhaltigeren Umgang mit natürlichen Ressourcen finden, gehört aktuell zum dringendsten Anliegen, das es gibt, aber in die „Suite“ hat diese politische Ebene nicht gepasst“, so DeRungs. Deutlich konkreter werde es bei seinem Rap-Duo Kleister, zusammen mit Johannes Fäßler. In „Mein Auto“ steht beispielsweise die Verherrlichung dicker Karren und die Rücksichtslosigkeit so mancher Autofahrer*innen im Mittelpunkt …

Fernab der Bühne versuche er ebenfalls „konsequent“ zu sein: Die Hälfte seiner CD-Einnahme spende er an die NGO Cool Earth; seine Mitmusiker*innen aus London dürften nur mit dem Zug zu Konzerten anreisen; er selbst verzichte auf Flugreisen und lebe „zu neunzig Prozent“ vegan. „In Interviews spreche ich darüber und verweise auf Music Declares Emergency (Anm. d. Red.: Gemeinschaft aus Künstler*innen, Organisationen und Akteur*innen der Musikbranche, die über Umweltschutz, Klimabewegung und Klimanotstand aufklärt)“, führt er weiter aus. „Ich denke, wir brauchen weniger Ego und mehr Demut. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Musik dazu beitragen kann.“

In der Jazz-Blase gehe es aktuell vor allem um Diversität und Geschlechtergerechtigkeit, was für ihn ebenfalls sehr wichtig sei. DeRungs habe zwar den Eindruck, es verändere sich langsam vieles zum Positiven, aber: „Was Nachhaltigkeit angeht, sehe ich wenig Bereitschaft für Veränderung oder Verzicht. Meistens bedeutet „green touring“ nämlich: teurer und umständlicher. In der Theorie finden das alle gut, aber keiner hat Lust darauf. Organisationen wie das Goethe-Institut stehen natürlich auch vor einem Dilemma, weil internationaler Austausch ihre Kernaufgabe ist. Natürlich gibt es aber auch im Jazz Künstler*innen, die die Klimakrise thematisieren, zum Beispiel Jasper Hoiby mit „Planet B“.“

Gesamtgesellschaftlich sei der Jazz in Deutschland aber immer noch eine Randerscheinung, unterstreicht DeRungs abschließend auf die Frage nach der Rolle der Jazz-Szene in öffentlichen Debatten über Klimakrise und andere Katastrophen.

Kosmos Suite: Lukas DeRungs Quintet & 
Jazzchor Freiburg, an diesem Freitag, dem 19. Mai, 
um 20 Uhr im Cube 521 in Marnach. 
Tickets unter cube521.lu.


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