Nach Orlando: Kämpfen gegen wen?

Angesichts der zahlreichen Anschläge auf Dialog und Rechtsstaatlichkeit zu pochen, mag naiv erscheinen. Doch was wäre die Alternative?

(Foto: Wikimedia / MiłośćNieWyklucza / CC-BY-SA 4.0)

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Wo liegt Orlando? Was die Betroffenheit über die Zahl der Opfer und das Erschrecken über die Mordlust angeht, irgendwo zwischen dem Konzertsaal Bataclan, der Sandy-Hook-Grundschule und dem Feriencamp in Utøya. Was die politische Bedeutung des Massakers im Homosexuellen-Nachtclub Pulse angeht – ganz woanders. Zum einen, weil der Täter seine Aktion mit dem „Islamischen Staat“ (IS) in Verbindung gebracht hat. Zum anderen, weil die allgemeine Ablehnung der Homosexualität durch Muslime als Nährboden für die Tat gedeutet werden kann.

Ist dies ein „Krieg gegen den Terror“, wie Donald Trump, Nicolas Sarkozy und Manuel Valls behaupten? Und einer gegen den „Feind im Inneren“, den „radikalen Islam“? Die Idee, statt auf Dialogbereitschaft und Zusammenleben nun auf präventive Bekämpfung und Konfrontation zu setzen, gewinnt immer mehr Anhänger, auch innerhalb der Linken. Doch was passiert, wenn wir das tun, wie sind die Erfolgsaussichten?

Man kann solche „Lone wolf“-Anschläge als Teil des Kriegs deuten, den der IS gegen den Westen führt – statt sie auch als die Tat eines in ebendiesem Westen aufgewachsenen Desperados zu sehen. Damit spielt man dem IS in die Hände, wie man es auch bei dem ähnlichen, wenn auch weniger blutigen Anschlag in Saint-Quentin-Fallavier getan hat, bei dem ein Angestellter den Rachemord an seinem Chef als IS-Aktion deklarierte – mit Erfolg, wie die Reaktionen von Politik und Medien zeigten. Um diesen Krieg zu gewinnen, setzen westliche Regierungen auf militärische Interventionen in Syrien und im Irak. Dabei treffen die Bombardierungen regelmäßig auch Zivilisten, und der politische Kollateralschaden des Bündnisses mit Baschar al-Assad und mit den irakischen schiitischen Nationalisten ist verheerend. Beides dürfte eher mehr als weniger „Lone wolves“ zum Resultat haben.

Der Versuch, den „Feind im Inneren“ zu bekämpfen, bringt unsere Grundfreiheiten in Gefahr. Natürlich können wir einen Einreisestopp gegen Flüchtlinge und Muslime verhängen und konsequent gegen den Islam im öffentlichen Raum und im Internet vorgehen. Doch eine solche Stigmatisierung führt zur Diskriminierung am Arbeitsplatz und in der Schule, führt zu Ausgrenzung und Ghettoisierung. Nach dem Massaker im norwegischen Utøya gab es keine Jagd auf „radikale Konservative“ – sie sind weiterhin in der Mitte unserer Gesellschaft. Man kann ihnen jedes Wochenende in der Dorfkneipe begegnen – doch sie nehmen selten ein Gewehr in die Hand. „Lone wolves“ wie Anders Behring Breivik bleiben eine Ausnahme, obwohl ihr Gedankengut toleriert wird – oder gerade deswegen.

Der „Krieg gegen den Terror“ ist kontraproduktiv, weil er den Kampf um die „Herzen und Hirne“ untergräbt.

Präventive Repression gegen bestimmte Gruppen gefährdet nicht nur abstrakte Werte und Prinzipien, sie ist auch kontraproduktiv. Gerade die Polarisierung unserer Gesellschaften ist die Erfolgsgrundlage der internationalen IS-Propaganda. Sie schafft einen Nährboden für „Lone wolves“, die in den USA auch recht leicht an Waffen gelangen. Auch das Entstehen von Sympathisanten-Netzwerken wie in Brüssel wird durch ein solches Vorgehen begünstigt.

Der „Krieg gegen den Terror“ ist kontraproduktiv, weil er den Kampf um die „Herzen und Hirne“ untergräbt. Natürlich benötigen wir eine Strategie, um dem IS im Mittleren Osten den Nährboden zu entziehen – aber dazu können Bomben nur wenig beitragen. Und gewiss sollen Polizei und Justiz effizient gegen Gruppen und Einzelne vorgehen, die die Schwelle der Gewalt gegen Personen überschreiten wollen – wie gegen andere Kriminelle. Doch den Kampf gegen „radikale“ islamische Ideen sollte man nicht der öffentlichen Gewalt überlassen. Die kritische Auseinandersetzung mit ihnen sollten die fortschrittlichen Kräfte innerhalb der Zivilgesellschaft selber führen – wie sie es mit sonstigem reaktionären Gedankengut auch tun. Die Glaubwürdigkeit der offenen Gesellschaft, in deren Namen man diese kritische Toleranz ausübt, ist die beste Waffe der Aufgeklärten gegen die Obskurantisten.


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