Was der englische Rasen oder Zen-Garten mit dem Insektensterben zu tun hat – und wie Faulheit Bienen retten kann.
Oberanven am Welt-Umwelttag, dem 5. Juni. In einem Vorgarten in der typisch luxemburgischen Siedlung ackert ein kleiner Mähroboter einsam vor sich hin. Er hält den Rasen adrett kurz und sauber und sorgt so – vermutlich von seinen Besitzer*innen unbeabsichtigt – dafür, dass sich hier außer Gras kaum Leben entwickeln kann.
Im Park neben dem Gebäude der Gemeindeverwaltung sieht die Welt anders aus. Auf den ersten Blick ist zu erkennen, dass die hochgewachsene Wiese aus den verschiedensten Gräsern, Blumen und Kräutern besteht. Schmetterlinge und Bienen schweben von Blüte zu Blüte. Fast könnte man die Schlagzeilen über das enorme Insektensterben vergessen.
Zur Erinnerung: In Deutschland hatten Forscher*innen knapp drei Jahrzehnte lang Insekten in Naturschutzgebieten gefangen und gewogen und stellten am Ende einen Rückgang der Biomasse um 75 Prozent fest. In Luxemburg gibt es keine vergleichbare Langzeituntersuchung, doch soll im September eine Studie präsentiert werden, die das List gemeinsam mit dem Nationalmuseum für Naturgeschichte (MNHN) durchgeführt hat. In dem Projekt wurden die Schmetterlinge untersucht. Umweltministerin Carole Dieschbourg stellte bei einer Pressekonferenz zum Weltumwelttag die ersten Zahlen vor.
Luxemburgische Schmetterlinge in Gefahr
89 Schmetterlingsarten gibt es in Luxemburg, ein Drittel von ihnen sind gefährdet oder bereits vom Aussterben bedroht. Arten wie der Skabiosen-Scheckenfalter, die Trockenwiesen als Lebensraum haben, sind besonders stark zurückgegangen. Im europäischen Vergleich ist Luxemburg eines der Länder, in denen auch häufig vorkommende Arten wie das Große Ochsenauge vom Rückgang betroffen sind.
Schmetterlinge gelten als Indikator-Arten für den Zustand der Umwelt, da sie schnell auf Veränderungen in ihren lokalen Lebensräumen reagieren. Es kann daher vom Verschwinden der bunten Falter auf die Gefährdung anderer Insektengattungen geschlossen werden. Die Datenlage für diese ist in Luxemburg eher dünn: Neben der Schmetterlingsstudie gibt es rote Liste für Libellen und Heuschrecken, die vom MNHN erstellt werden (siehe woxx 1448).
„Der ökonomische Mehrwert von Bestäuberinsekten wird weltweit auf 153 Milliarden Euro geschätzt, allein in Europa sind es 15 Milliarden, die Insekten der Landwirtschaft ersparen. Die Natur erbringt also kostenlos eine Dienstleistung, die enorm teuer wäre, wenn wir sie selbst erbringen müssten“, erklärte die Ministerin. Tatsächlich gibt es beispielsweise in China menschliche Bestäuber*innen, die mit Leiter und Pinsel blühende Obstbäume befruchten. Etwa drei Viertel der Kulturpflanzen benötigen Insekten zur Bestäubung, der Rest wird durch den Wind befruchtet.
Sterben die Insekten, ist jedoch nicht nur die Landwirtschaft von Einbußen betroffen: Das gesamte Ökosystem leidet. Sowohl Vögel, die sich von Insekten ernähren, als auch Wildpflanzen, die auf die Bestäubung zur Fortpflanzung angewiesen sind, verschwinden mit ihnen.
Die Gründe für den Rückgang der Insekten sind vielfältig, hängen aber beinahe alle mit dem Strukturwandel in der Landwirtschaft zusammen. Die ausufernde Nutzung von Herbiziden wie Glyphosat und Insektiziden wie den Neonicotinoiden ist ein nicht zu leugnender Faktor, auch wenn die Wirkungszusammenhänge nicht für jeden Stoff klar erforscht sind. Auch Düngung oder Bewirtschaftungsmethoden wie Silage tragen dazu bei, dass die Pflanzen, die für Insekten wichtig wären, nicht zur Blüte kommen. Das tendenzielle Verschwinden der kleinräumigen Landwirtschaft und der für sie typischen Strukturelemente wie Hecken oder Blühstreifen wirkt sich ebenfalls negativ auf die Insektenpopulation aus.
Extensive Landwirtschaft für die Bienen
Das Phänomen des „urban sprawl“, also der Ausbreitung monofunktionaler, dünn besiedelter suburbaner Gebiete, die sich immer weiter vom Ortskern entfernen – auf Deutsch „Zersiedlung“ und auf Luxemburgisch „Cité“ genannt – trägt ebenfalls dazu bei, dass die Lebensräume für Insekten knapp werden. Ein weiterer Faktor ist natürlich der Klimawandel, der tiefgreifende Veränderungen des Ökosystems mit sich bringt.
Die EU-Kommission hat am 1. Juni 2018 eine Initiative zum besseren Schutz der wildlebenden Bestäuber beschlossen. Ein Monitoring-Programm soll den Stand von Bestäuber-Insekten in der EU untersuchen, außerdem soll die Landwirtschaft dazu angeregt werden, mehr für den Insektenschutz zu tun.
„Im nationalen Umweltschutzplan sind 100 Millionen Euro vorgesehen, um die Natur zu schützen, aber auch um Restaurierungsarbeiten voranzutreiben. Es ist jedoch nicht alleine der Staat, der agieren kann, auch die Gemeinden können es“, erklärte die Ministerin. Eines der Instrumente zur Förderung der Biodiversität sind Extensivierungsverträge mit Landwirt*innen. Diese verpflichten sich, ihre Flächen weniger intensiv zu bewirtschaften und so für eine höhere Artenvielfalt zu sorgen. Im Gegenzug erhalten sie eine monetäre Kompensation für den erlittenen Ertragsverlust. 1050 Hektar landwirtschaftliche Flächen sind gegenwärtig im Extensivierungsprogramm des Sias.
Das Naturschutz-Gemeindesyndikat hilft 16 Gemeinden im Syr- und Moseltal, die Biodiversität praktisch zu fördern. Vor zwei Jahren hat sich die Zahl der Gemeinden verdoppelt, weshalb Doris Bauer von der biologischen Station des Sias erwartet, dass sich bald noch mehr Landwirt*innen an dem Programm beteiligen werden. Neben der Kooperation mit der Landwirtschaft kümmert sich das Sias auch um Obstbäume und Hecken, die den Bestäuber-Insekten besonders reiche Nahrung bieten.
Die Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität des umtriebigen Gemeindesyndikats beschränken sich aber nicht auf die weite Flur. „Auch innerorts können Gemeinden viel bewirken“, erklärte Bauer. „Das Sias hat deswegen mehrere Module zusammengestellt, aus denen die Gemeinden diejenigen Maßnahmen auswählen können, die auf ihre Ressourcen passen.“ Eine wichtige Maßnahme sei zum Beispiel, dem Gras auf den Rasenflächen Zeit zum Blühen zu lassen und es nicht gleich abzumähen. Auch bei der Anlage neuer Flächen gebe es einiges zu tun. „Es gibt nicht immer die angepassten Pflanzen, die ohne Pestizide aufgezogen wurden, weswegen wir mit luxemburgischen Betrieben zusammen eine regionale Saatgutaufzucht aufgebaut haben“, so Bauer.
Wildblumenwiese statt Zen-Garten
Die Ëmweltberodung berät sowohl Gemeinden als auch private Bürger*innen zum Thema pestizidfreier Anbau. „Pestizide werden nicht nur in der Landwirtschaft eingesetzt, sondern auch von vielen Hobbygärtnern. Die Gemeinden dürfen seit 2016 keine Pestizide mehr einsetzen, die Bürger sollten dem Beispiel folgen“, forderte Marianne Kollmesch. Die Initiative „Blummen ouni Pestizider“ soll dabei helfen, die richtigen Pflanzen für eine naturnahe Wildblumenwiese zu finden, die Insekten ein Zuhause bietet. Ein Dorn im Auge sind Kollmesch die Steingärten, die seit einigen Jahren in Mode gekommen sind. Sie verhinderten jedes Leben und seien zudem schwierig zu pflegen.
Im Rahmen des Weltumwelttages und am Ende der Regierungsperiode lohnt es sich, über die Philosophie nachzudenken, die hinter den Umweltschutz-Initativen der rot-blau-grünen Regierung steht. Argumentativ stützt man sich stets auf den Nutzen für den Menschen. Dieser utilitaristische Zugang lässt sich gut beim Insektenschutz, der mit dem wirtschaftlichen Nutzen der Bestäuber erklärt wird, beobachten. Das neue Naturschutzgesetz mit seinen Ökopunkten verdeutlicht ihn ebenfalls. Dabei wäre ein Nachdenken darüber, dass anthroprozentrischer Umweltschutz nicht die einzige mögliche Denkrichtung ist, angesichts der kommenden Biodiversitäts- und Klimakatastrophe durchaus sinnvoll. Vielleicht kann diese Reflexion ja in der Wildkräuterwiese passieren – die mäht man nur zweimal im Jahr und spart so auch noch den Strom für den Roboter.