Österreich: Wiener Walzer 
mit Rechtsdrehung


Am Sonntag wird in Österreich gewählt. Im Wahlkampf jagt ein Skandal den nächsten, eine FPÖ-Regierungsbeteiligung wird immer wahrscheinlicher.

Heinz-Christian Strache (FPÖ) und Sebastian Kurz 
(ÖVP, rechts im Bild), – 
bald Vizekanzler und Kanzler in einer Neuauflage von Schwarz-Blau? (Foto : EPA/Christian Bruna)

Es war ein Running Gag, der während der gesamten Legislaturperiode Konjunktur hatte: „Es gibt eh bald Neuwahlen!“. Die Nationalratswahlen 2013 hatten – wieder einmal – die in Österreich klassische große Koalition aus der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) und der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) hervorgebracht. Kanzler war damals Werner Faymann (SPÖ), Vizekanzler der konservative Michael Spindelegger. Beider Namen sind auf den Wahlplakaten heute jedoch nicht zu finden, und beide sind auch nicht mehr in der Regierung. Schon 2014 kam es zur ersten Kabinettsumbildung, bei der Spindelegger als stellvertretender Regierungschef durch den Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner ersetzt wurde.

Es ist nicht viel darüber nach außen gedrungen, wie gut oder wie schlecht Konservative und Sozialdemokraten tatsächlich zusammengearbeitet haben, aber nach allem, was bekannt wurde, muss ein äußerst vergiftetes Klima geherrscht haben. Als Werner Faymann Mitte Mai 2016 zurücktrat, schienen Neuwahlen daher unausweichlich – obwohl das Land bereits mitten im Präsidentschaftswahlkampf steckte. Die SPÖ entschied sich, Faymann durch den ehemaligen Bundesbahn-Chef Christian Kern zu ersetzen, der als neuer Kanzler vier der sechs von der SPÖ gestellten MinisterInnen austauschte.

Kurzzeitig sorgte Kern sogar für ein Umfragehoch. Anfang dieses Jahres präsentierte er gemeinsam mit der ÖVP ein Programm, das de facto als neues Regierungsabkommen gelten und mit dem die letzten 18 Monate der Legislaturperiode gestaltet werden sollten. Dazu kam es jedoch kaum. Mitte Mai gab Reinhold Mitterlehner seinen Rücktritt bekannt – er verließ nicht nur die Regierung, sondern gab auch sämtliche Posten innerhalb der ÖVP auf. An seine Stelle hievte sich der nun 31-jährige Außenminister Sebastian Kurz. Er forderte totale Kontrolle über die ÖVP – und bekam sie. Obwohl Bundeskanzler Kern ein „freies Spiel der Kräfte“ im Nationalrat anbot, wollte Kurz lieber Neuwahlen – die Legislaturperiode wurde um ein Jahr verkürzt.

Bedenkliche Methoden, bedenklichere Inhalte

Eigentlich ist die ÖVP dafür bekannt, innerlich zerstritten und vom Spiel der verschiedensten Interessensgemeinschaften und Bünde dominiert zu sein. Sebastian Kurz ist es jedoch – zumindest scheint es so – gelungen, die ÖVP zu einen und ihr einen modernen Anstrich zu geben. Auf dem Wahlzettel wird sie am Sonntag als „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“ stehen. Kurz, der als Integrationsstaatssekretär noch verlautbart hatte, der Islam gehöre zu Österreich, fährt eine hart rechte Linie. Immer wieder wiederholt er im Wahlkampf sein Mantra, dass die Mittelmeerroute geschlossen werden müsste.

Die deutschnationale Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), geführt von Heinz-Christian Strache, hält auf ihren Plakaten dagegen und versucht, Kurz‘ Linie als zu weich darzustellen. In den Umfragen liegt die ÖVP aktuell mit einem Drittel der Stimmen vorne – Kurz, der junge Erneuer, der die Parteifarbe von schwarz auf türkis ändern ließ, scheint in Österreich Symathien zu wecken, obwohl sein Programm dürftig ist und wirkt, als wäre es seinen GroßspenderInnen aus dem Immobiliensektor auf den Leib geschrieben.

Ob FPÖ oder SPÖ sich den zweiten Platz mit je rund einem Viertel der Stimmen schnappen können, darüber sind sich die Umfragen nicht ganz einig. Während Strache vor allem versucht, sich als das rassistische Original zu verkaufen, fischt auch die SPÖ im rechten WählerInnenbecken. Ein Video zeigte Kanzler Kern im Gespräch am rechten Stammtisch.

Der Inhalt des diesjährigen Wahlkampfs gäbe also alleine genug Grund zur Besorgnis. Allerdings sind es auch die Methoden, die erschrecken. Vor einigen Wochen wurde Vorwürfe laut, wonach ein von der SPÖ bezahlter Berater eine Facebook-Seite namens „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“ in Auftrag gegeben habe. Dort wurde Kurz als „Moslemfreund“ tituliert, außerdem fanden sich antisemitisch konnotierte Darstellungen, die nahelegten, Kurz sei mit dem Investor George Soros bekannt – Postings also, die nach dem Stil der FPÖ aussahen.

Die SPÖ habe mit diesem „dirty campaigning“ unter falscher Flagge sowohl Sebastian Kurz als auch der FPÖ schaden wollen, werfen ÖVP und FPÖ ihr vor. Tatsächlich existiert eine Facebookseite namens „Die Wahrheit über Christian Kern“, auch sind dort antisemitische Motive zu finden. Die SPÖ bestreitet jedoch, von der Sache gewusst zu haben – der Berater Tal Silberstein habe auf eigene Faust gehandelt. Silberstein – bzw. einem seiner Mitarbeiter – wird zudem vorgeworfen, in Wahrheit ein ÖVP-„Maulwurf“ zu sein, mit dem Auftrag, die Glaubwürdigkeit der SPÖ zu untergraben.

Der Versuch, den Urheber der Schmutzkampagne ausfindig zu machen und dabei möglichst die politischen GegnerInnen „anzubatzen“ (zu bekleckern), verdeckt jedoch eines: Die Inhalte, mit denen Wahlkampf gemacht wird. Den Facebook-UserInnen, die rassistische oder antisemitische Bilder teilen und massenhaft verbreiten, ist vermutlich egal, welche Partei eine andere „beschmutzen“ wollte – die Botschaft bleibt in den Köpfen, der Rechtsruck geht weiter. Und das nicht nur im Diskurs: Zuletzt führte Österreich ein weitreichendes Vermummungsverbot ein. Neben Niqab-Trägerinnen wurden bisher auch Menschen in Hai- und Pferdekostümen sowie Demo-Clowns angezeigt.

Nachdem die SPÖ also einen rechten Kurs fährt, gäbe es auf linker Seite eigentlich ein Vakuum, das in Österreich mangels anderer Alternativen die Grünen füllen könnten. Nachdem die Partei 2016 ein ganzes Jahr lang Wahlkampf für ihren Präsidentschaftskandidaten Alexander Van der Bellen geführt hat und in mehreren Bundesländern sowohl mit SPÖ als auch mit ÖVP regiert, könnte sie sich staatstragend geben und eine linke Alternative anbieten, hätte es nicht einige Brüche gegeben.

Grüne Zersetzungs-
erscheinungen

Vor den – realpolitisch recht unwichtigen – Wahlen zur gesetzlichen Studierendenvertretung in Österreich, der „Österreichischen Hochschüler_innenschaft“, wollten die „Jungen Grünen“ eine eigene Fraktion gründen und offen gegen die „offizielle“ grüne Studierendenorganisation „GRAS“ antreten. Der Plan fiel allerdings ins Wasser, denn nach Wochen öffentlicher Auseinandersetzung via Pressemitteilungen trennten sich die Grünen von ihrer Jugendorganisation. Die suchte eine neue politische Heimat und fand sie schließlich in der kommunistischen Partei.

Die KPÖ, die nur noch in der Lokalpolitik der steirischen Hauptstadt Graz wirklich eine Rolle spielt, tritt nun als offene Liste unter dem Namen „KPÖ-Plus“ an – eine der SpitzenkandidatInnen, Flora Petrik, ist die Frontfrau der ehemals Jungen Grünen. „KPÖ-Plus“ wirkt auf den ersten Blick sehr dynamisch und jung – tatsächlich scheint die etwas eingerostete KPÖ eine Art Frischzellenkur verpasst bekommen zu haben. Als Partei, die nicht im Parlament vertreten ist, sind die KommunistInnen (plus Anhang) jedoch nur wenig in den Medien präsent, werden bei Umfragen nicht abgefragt – die Chancen, es doch irgendwie in den Nationalrat zu schaffen, sind eher gering.

Doch nicht nur die grüne Jugend hat der Partei den Rücken gekehrt – auch der langjährige Abgeordnete Peter Pilz tritt nun mit einer eigenen Liste zur Wahl an. Das Gründungsmitglied, das sich im Parlament vor allem bei der Aufklärung diverser Korruptionsaffären der „schwarz-blauen“ Regierung von ÖVP und FPÖ unter Wolfgang Schüssel hervorgetan hatte, eckte Grünen-intern oft wegen seiner reaktionären Vorschläge zur Flüchtlings- und Migrationspolitik an. Pilz verließ die Grünen jedoch wegen einer scheinbaren Lappalie: Er wurde nicht in einen der vorderen Listenplätze gewählt.

In Umfragen liegt Pilz meistens mit den Grünen gleichauf, bei etwa vier bis fünf Prozent. Das ist erschreckend wenig – so wenig, dass sowohl Pilz als auch seine ehemaligen ParteikollegInnen am Sonntag zittern müssen, ob sie es überhaupt ins Parlament schaffen. Auch die Sitze der neoliberalen „NEOS“, die bei der Wahl 2013 knappe fünf Prozent errungen hatten und seitdem im Parlament sitzen, sind nicht sicher. Das liberale Bündnis hat sich auch dieses Jahr ein weiteres Mal geöffnet und Irmgard Griss ins Boot geholt – die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofes hatte letztes Jahr beim ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl den dritten Platz erreicht.

Ein Horror-Szenario wäre also möglich: Sollte es keine der kleinen Parteien in den Nationalrat schaffen, ist eine Zweidrittelmehrheit für Schwarz-Blau ein realistisches Szenario. Der FPÖ-Mann Strache und der ÖVP’ler Kurz hätten dann freie Hand, die Republik und ihre Verfassung nach ihrem Belieben umzukrempeln. Nachdem ÖVP und SPÖ (angeblich) nicht miteinander können, wäre es politisch äußerst schwierig, eine Neuauflage der großen Koalition zu rechtfertigen. Die realistischsten Optionen sind daher eine Koalition von SPÖ und FPÖ oder von ÖVP und FPÖ.

Im Jahr 2000, als es erstmals eine Regierung mit FPÖ-Beteiligung unter Wolfgang Schüssel (ÖVP) gab, war der Aufschrei in Europa groß, was in Österreich viele noch immer nicht verdaut haben. Ob eine Regierung Kurz-Strache wieder mit EU-Sanktionen zu kämpfen hätte oder ob die ehemalige Donaumonarchie sich gar dem von Ungarn und Polen dominierten EU-Binnenbündnis der „Visegrád-Gruppe“ annähern würde, ist schwer vorherzusagen.

Längerfristigen politischen Fallout durch eine Regierung mit der FPÖ scheinen weder SPÖ noch ÖVP zu fürchten – beides ist oder war bereits in Landesregierungen Realität. Der Rechtsruck ist längst durch die österreichische Gesellschaft gegangen. Wie stark er war, wird sich am Sonntagabend zeigen, wenn aus dem Running Gag Ernst geworden ist.

Joël Adami hat bis vor Kurzem in Wien studiert und wird die woxx ab der kommenden Woche als Redakteur verstärken.

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