Wäre das Plastikproblem weniger schlimm, wenn wir alle einfach mehr recyclen würden? In Wahrheit ist viel weniger Kunststoff wiederverwendbar, als die meisten von uns glauben. Eine Hoffnung auf ein Ende der Plastikflut gibt es dennoch.
Die Bilder der großen „Müllstrudel“, an denen sich Plastikmüll in den Ozeanen sammelt, sind den meisten von uns bekannt. Doch auch abseits davon gibt es große Ansammlungen von Plastik im Meer, sogar in einem entlegenen Meeresschutzgebiet im Nordpazifik. Am 19. März veröffentlichten Forscher*innen des deutschen Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Zusammenarbeit mit dem Alfred-Wegener-Institut ein wissenschaftliches Paper, in dem sie die Ergebnisse ihrer Forschung im Pazifik zusammenfassten: Gefunden hatten sie so große Mengen Plastikmüll und Mikroplastik wie in einem der bekanntesten Müllstrudel. Die Forscher*innen warnen, der Pazifik sei verschmutzter als bisher angenommen und das ganze Ökosystem Ozean bedroht.
Während Forscher*innen das Ausmaß der Umweltverschmutzung in den Weltmeeren beschreiben, zeigt eine US-amerikanische NGO auf, wer jahrzehntelang dafür gesorgt hat, dass der Planet regelrecht mit Plastik zugemüllt wurde – und weiterhin wird. Das Center for Climate Integrity veröffentlichte im Februar 2024 einen Bericht namens „The Fraud of Plastic Recycling“ (Der Betrug des Kunststoffrecyclings). Darin sind detailliert die Strategien dargelegt, die Kunststofffirmen angewandt haben, um ihr Produkt als ungefährlich und Teil einer Kreislaufwirtschaft darzustellen – was laut der NGO nicht der Realität entspricht.
Die Wahrheit sei: Die meisten Kunststoffe könnten und würden nicht recycelt werden. Das einerseits, weil schlichtweg der Markt dafür fehle, und andererseits, weil der Aufwand für Kunststoffrecycling oft sehr hoch sei. So ist PET zwar einer jener Kunststoffe, die eher gut recycelt werden können, dennoch kann man PET-Container beispielsweise nicht gemeinsam mit PET-Flaschen recyclen. Selbst bei den Flaschen können grüne nicht gemeinsam mit durchsichtigen recycelt werden. Die meisten Kunststoffe können nur ein einziges Mal recycelt werden, in seltenen Fällen auch zweimal. Zudem ist das Recycling oft ein Downcycling: Dadurch, dass Kunststoffe durch ihren Gebrauch verunreinigt werden oder die Chemikalien in ihnen ausdünsten, verringert sich ihre Qualität und sie können nicht noch einmal zu Lebensmittelverpackungen werden. Oft sind die Kosten für recycelten Kunststoff höher als für solchen, der neu aus Erdöl produziert wird. Es gibt für die Kunststoffindustrie – oft handelt es sich hierbei um Erdölfirmen – also wenig Anreize, überhaupt auf Recycling zu setzen.
Ein wissenschaftliches Paper, auf das sich der Bericht der NGO bezieht, hat die Menge des bisher produzierten Plastiks geschätzt: 8.300 Millionen Tonnen seien es bis 2015 gewesen, davon seien 6.300 Millionen Tonnen weggeworfen worden. Lediglich neun Prozent seien recycelt und zwölf Prozent verbrannt worden, der Rest liege in Abfalldeponien oder in der Natur. Die Forscher*innen schätzen, dass es bis 2050 ungefähr 12.000 Millionen Tonnen Plastikmüll sein werden, die deponiert wurden oder die Umwelt belasten.
Mitte der 1980er-Jahre wurde Kunststoffrecycling als „Lösung“ für das Müllproblem präsentiert – von der Plastikindustrie, so der Bericht der NGO. Das, obwohl ihr durchaus bewusst war, dass es sich um eine „falsche Lösung“ handelte und viele Kunststofferzeugnisse nur schwer oder überhaupt nicht wiederverwertbar sind. Für den Bericht wurden auch Notizen und Protokolle von Lobbygruppen wie dem „Vinyl Institute“ analysiert. 1986 hielt dieses beispielsweise fest: „Recycling kann nicht als dauerhafte Lösung für feste Abfälle angesehen werden, da es lediglich die Zeit bis zur Entsorgung eines Gegenstandes verlängert.“
Ergebnisse sind fakultativ
In den USA gab es auch einige Fälle, in denen die Kunststoffindustrie öffentlichkeitswirksam Recyclingcenter eröffnet hat, die einige Jahre später stillschweigend wieder geschlossen wurden. Es ging den Verantwortlichen nie darum, die groß angekündigten Recyclingziele einzuhalten, sondern lediglich darum, den öffentlichen Druck zu verringern und zu hoffen, dass die mediale Aufmerksamkeit bald schwinden würde. Im Januar 1994 drückte es Irwin Levowitz, damaliger Vizepresident von Exxon Chemical, in einem Treffen mit Angestellten des „American Plastics Council“ wie folgt aus: „Wir fühlen uns zu den Aktivitäten verpflichtet, aber nicht zu den Ergebnissen.“ Für die Verantwortlichen der Kunststoff- und Ölindustrie war Recycling also nur ein Mittel zur Imagepflege.
Ein Bericht der OECD über die Plastikmärkte der Welt bestätigt die Annahme, dass nur wenig Plastik überhaupt wiederverwertet wird: Lediglich PET und Polyethylen (PE) können kommerziell recycelt werden, bei Polypropylen (PP) und Polyvinylchlorid (PVC) gibt es immerhin Ansätze. Hinzu kommt die Tatsache, dass wertvolle Kunststoffe wie PET in den Industrienationen vor Ort wiederverwertet werden, während weniger wertvolle und schwieriger zu verwertende Kunststoffe in den globalen Süden exportiert werden. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Produktion von sogenanntem „Sekundärkunststoff“ zwar vervierfacht, macht jedoch lediglich sechs Prozent der globalen Kunststoffproduktion aus. Die OECD macht „keinen fundamentalen Wandel“ aus.
In den Dokumenten, die das Center for Climate Integrity als Dokumentation der Methoden der Plastikindustrie mitliefert, sind auch Werbeanzeigen. Eine solche aus den 1990er-Jahren zeigt eine PET-Flasche und verspricht: Diese Flasche kann immer und immer wieder als Flasche recycelt werden. Im Text der Anzeige steht sogar, dass es „bisher“ nur möglich gewesen sei, PET-Flaschen zu Teppichen oder Fleecejacken zu recyceln. Wie sehr diese Behauptung vor über 30 Jahren stimmte, ist schwer nachzuvollziehen.
Heutzutage gibt es Hersteller, die behaupten, ihre PET-Flaschen zu 100 Prozent wiederverwerten zu können beziehungsweise Flaschen herzustellen, die vollständig aus recyceltem Plastik bestehen. Die NGO Zero Waste Europe stellt solche Aussagen grundsätzlich in Frage. Eine Plastikflasche besteht nicht nur aus der Flasche selbst, sondern auch aus dem Verschluss, einem Label, der Tinte darauf und dem Klebstoff, mit dem es an die Flasche geklebt wird. Keines dieser Elemente sei wirklich zu 100 Prozent recyclebar, Elemente wie Klebstoff oder Tinte vermutlich sogar überhaupt nicht, so die NGO in einem Faktencheck. Wer „aus 100 Prozent recyceltem Material“ liest, denkt sich vermutlich, dass die PET-Flasche gänzlich aus alten PET-Flaschen gemacht wurde. Doch oft wird sogenannter „post-industrieller“ Plastikabfall, der bereits bei der Produktion anfällt, beigemischt. Das ist zwar positiv für die Umwelt, entspricht jedoch nicht dem, was das Marketing verspricht. PET mag jener Kunststoff sein, der sich am einfachsten recyceln lässt, doch in Europa macht er lediglich fünf Prozent der Kunststoffproduktion aus.
Nur die Hälfte der Plastikverpackungen werden recycelt
In Luxemburg gibt es eine gesetzliche Mindestrecyclingquote von 22,5 Prozent für Kunststoffverpackungen; 2022 lag sie bei 50,29 Prozent, so die Zahlen von Valorlux. Gemeint ist damit nicht das Recycling der gesammelten Verpackungen, sondern jener, die in Luxemburg auf den Markt gebracht werden. Laut Valorlux wird 72,7 Prozent der eingesammelten Kunststoffverpackungen auch wieder recycelt. Im internationalen Vergleich ist das sehr gut, immerhin werden in den USA beispielsweise nur knapp sechs Prozent recycelt, in der EU sind es etwa 40 Prozent. Allerdings ist das immer noch nur knapp die Hälfte und Kunststoff macht auch lediglich 14 Prozent der recycelten Verpackungsabfälle aus. Den Bericht über den Recycling-Betrug wollte das Luxemburger Umweltministerium auf Nachfrage der woxx nicht kommentieren. Man kommuniziere im Rahmen der Kampagne „Null Offall Lëtzebuerg“ über einen sparsameren Umgang mit Ressourcen: „Es wird über diese Strategie generell versucht, die Bürger*innen zu informieren, welche Etappen ein Produkt durchlaufen kann, und aber auch, wie man ein Produkt länger benutzen kann, ehe es Abfall wird, um das Abfallaufkommen im Allgemeinen zu reduzieren und wertvolle Ressourcen einzusparen“, so eine Sprecherin des Ministeriums gegenüber der woxx. Eine Strategie, die bei Plastikverpackungen eher schwierig umzusetzen ist.
„Im Sinne der Sensibilisierung und der Transparenz ist vorgesehen, dass die Bürger*innen in Zukunft auch in den Recyclingzentren besser informiert werden“, so das Ministerium auf die Frage der woxx, wie sicher die Luxemburger Konsument*innen sich sein könnten, dass ihre gesammelten Kunststoffverpackungen auch tatsächlich recycelt würden. „Nur 72 Prozent der blauen Säcke werden recycelt“ ist vermutlich nicht jene Art von Transparenz, mit der die Bürger*innen zu mehr Recycling angestachelt werden können, wäre aber statistisch gesehen ehrlich. Jene Hälfte des Plastikmülls, der in Luxemburg recycelt wird, wird von Valorlux gesammelt, sortiert und an Abfallbehandlungsanlagen in Frankreich, Deutschland und Belgien geschickt. Im Valorlux-Jahresbericht – der aktuellste behandelt das Jahr 2022 – gibt es eine Liste von allen Firmen, die betroffen sind. Die woxx hat alle unter die Lupe genommen: Eine der 25 Firmen hat mittlerweile Konkurs angemeldet, alle anderen haben mehr oder weniger genaue Informationen darüber, welche Tätigkeiten sie ausführen, und alle sind im Recycling tätig.
Die Vermeidung von Abfällen sollte also an erster Stelle stehen, weswegen die Umweltverwaltung gemeinsam mit Valorlux eine Arbeitsgruppe auf die Beine gestellt hat, die Projekte wie die wiederverwendbare „Ecosac“, das Gemüsenetz „Superbag“ oder das Mehrweg-Kaffeebechersystem „Spin“ ausarbeitet. Der „Ecosac“ ist ein Erfolg, auch wenn er von vielen Menschen wohl nicht nur zum Einkaufen verwendet wird – das Projekt wurde auf EU-Ebene als „best practice“ ausgezeichnet. Auch die Luxemburger Gesetzgebung bietet einige Maßnahmen zur Reduktion von Plastik, wie das Umweltministerium betont: Verbot von verschiedenen Einwegprodukten, sowohl im Verkauf als auch für Restaurants und Feste, außerdem dürfen verschiedene Obst- und Gemüsesorten seit dem 1. Januar 2023 nicht mehr in Kunststoff verpackt werden, wenn das Gewicht unter anderthalb Kilo liegt.
Hoffnung Plastikabkommen
Solche Gesetze gibt es nicht überall, und doch scheint es eine Hoffnung zu geben, die Plastikflut zu beenden. Im März 2022 wurde auf der Umweltversammlung der Vereinten Nationen beschlossen, ein globales Übereinkommen auszuarbeiten. Damit soll ein internationaler Rechtsrahmen geschaffen werden, der die Umweltverschmutzung durch Kunststoffe eindämmen soll. Das Verhandlungskomitee („Intergovernmental Negotiating Committee“ – INC) hat sich in den letzten Jahren bereits dreimal getroffen. Vom 23. bis 29. April ist die vierte Tagung (INC-4) im kanadischen Ottawa geplant. Die fünfte und letzte Tagung (INC-5) soll Ende des Jahres in Korea stattfinden. 2025 soll die Plastikkonvention schlussendlich unterzeichnet werden.
Die Hoffnung ist, dass die Konvention die weltweite Plastikverschmutzung stoppen kann. Maßnahmen dafür wären jedoch nicht höhere Recyclingquoten, sondern es soll vor allem die Produktion reduziert werden. Für die vielen chemischen Zusatzstoffe, die gefährlich für die Umwelt und die menschliche Gesundheit sind, sollen Alternativen gefunden werden. Auch die weitere Entwicklung von Biokunststoffen könnte in das Abkommen einfließen. Noch gibt es jedoch nur einen groben Vorschlag, den sogenannten „Zero Draft“, der in Ottawa konkretisiert werden soll. Der Zeitplan ist ambitioniert: Bis 2040 soll das Plastikproblem gelöst werden.
Luxemburg ist als EU-Mitglied Teil der sogenannten „High Ambition Coalition“, die von Norwegen und Ruanda angeführt wird. Insgesamt hat diese Koalition 65 Mitglieder, die auf eine ambitionierte Plastikkonvention hinarbeiten. Neben einigen Industriestaaten und vielen Ländern des globalen Südens gibt es auch ein Überraschungsmitglied: die Vereinigten Arabischen Emirate. Als Erdölland profitieren die Emirate von der Plastikproduktion. Ein besonderer Fokus der Koalition liegt auf der Kreislaufökonomie, die mit höheren Recyclingquoten und weniger gefährlichen Chemikalien im Plastik angekurbelt werden soll. „Problematische“ Kunststoffe sollen jedoch durchaus verboten werden. „Für Luxemburg ist demnach klar, dass Recycling alleine keine Lösung ist, die weltweite Plastikverschmutzung zu bekämpfen“, so eine Sprecherin des Umweltministeriums gegenüber der woxx. Zentral sei das Verursacherprinzip: Plastikproduzent*innen und -verarbeiter*innen müssten eine zentrale Rolle beim effektiven Kampf gegen die Kunststoffverschmutzung einnehmen. Wichtig sei für Luxemburg auch, unterschiedliche Finanzierungsquellen anzuzapfen, um den „vulnerabelsten Staaten und Bevölkerungen“ bei der Umsetzung eines ambitionierten Abkommens zu helfen.
Auch Wissenschaftler*innen meldeten sich zu Wort. Die „Scientists’ Coalition for an Effective Plastics Treaty“ veröffentlichte zum Beispiel eine detaillierte Kritik an dem Zero Draft, dessen Ausgestaltung auf der INC-4 verhandelt werden soll. Sie wünschen sich ein Abkommen, das den gesamten „Lebenszyklus“ von Kunststoffen abdeckt und dafür sorgt, dass weniger Kunststoff produziert wird. Außerdem fordern sie eine vereinfachte chemische Zusammensetzung von Kunststoffen, damit diese gesundheitlich unbedenklich wiederverwendet und besser recycelt werden können. Bei der Koalition handelt es sich um ein Netzwerk aus Expert*innen verschiedenster Disziplinen, die ihr Fachwissen einbringen wollen, um das Plastikproblem zu beenden. Die Wissenschaftler*innen, deren Forschung aufgedeckt hat, dass im Pazifik weitaus mehr Plastik schwimmt als bisher angenommen, gehören ihr ebenfalls an. „Als unabhängige Wissenschaftler*innen stehen wir als Teil der Scientists Coalition for an Effective Plastics Treaty den Delegierten der UN-Mitgliedsstaaten dabei beratend zur Seite“, so Forscherin Melanie Bergmann in der Pressemitteilung des Helmholtz-Zentrums.
Anmerkung: In der ursprünglichen Version dieses Textes war zu lesen, dass nur die Hälfte des gesammelten Plastiks von Valorlux recycelt wird. Es handelte sich bei dieser Zahl jedoch um die im Umlauf gebrachten Plastikverpackungen, die wieder dem Recycling zugefügt werden.