Mit dem Pilotprojekt FACT startet ein mobiles Team zur Verbesserung der psychiatrischen Versorgung. Meilenstein oder kleiner Schritt in Richtung moderner Psychiatrie?

Das vorläufige FACT-Team zusammen mit CHNP und Zitha-Vertreter*innen sowie der Gesundheitsministerin Martine Deprez (CSV). Nächstes Jahr werden noch Teammitglieder wie die Genesungsbegleitung dazukommen. (Foto: CHNP)
Der Veranstaltungssaal im Dachgeschoss des Hotels A Guddesch in Beringen/Mersch ist am Mittwoch, dem 22. Oktober, bis auf den letzten Stuhl besetzt. Gleich wird das Pilotprojekt FACT zur Verbesserung der ambulanten psychiatrischen Versorgung vorgestellt. Viele der Anwesenden kennen sich, immer wieder gehen Grüße durch den Raum. Die meisten arbeiten selbst in psychiatrischen Abteilungen oder sozialen Einrichtungen. Obwohl auch die Gesundheitsministerin Martine Deprez (CSV) eine Begrüßungsrede halten wird, sucht man vergebens nach der RTL-Kamera. Wenn es um die Belange von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen geht, bleibt man meistens unter sich. Dabei geht es heute um die gemeinsame Vision einer gemeindenahen Psychiatrie, wie die Repräsentant*innen der ZithaUnit und des CHNP, die Initiatoren des Projekts, betonen.
Dass es um die psychiatrische Versorgung, gerade der von schwer betroffenen Menschen, im europäischen Vergleich in Luxemburg eher schlecht bestellt ist, wurde dieses Jahr durch ein Gutachten im Auftrag des Ombudsmans bestätigt (woxx1853). Gesetzgebung und Praxis im Großherzogtum sind paternalistisch und es gibt insbesondere juristisch kein Verständnis für den*die Patient*in als Person mit eigenem Willen, Wünschen und Rechten, die es so weit wie nur möglich zu berücksichtigen gilt. Das FACT-Projekt markiert eine wichtige Etappe in Richtung moderner Psychiatrie.
FACT steht für Flexible Assertive Community Treatment (flexible, aufsuchende, gemeindenahe Behandlung) und ist ein Konzept, das Anfang der 2000er-Jahre in den Niederlanden entwickelt wurde. Ein multidisziplinäres Team aus elf bis zwölf Vollzeitstellen – darunter Psychiater*innen, Pflegefachpersonen, Sozialarbeiter*innen und Jobcoaches – begleitet in einem Einzugsgebiet von 40.000 bis 50.000 Einwohnerinnen Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen. Auch eine Genesungsbegleitung, also eine Person mit eigener Erfahrung einer psychischen Erkrankung und spezieller Ausbildung zur Peer-Unterstützung, gehört zum Team. Dieses sucht die Betroffenen in ihrem gewohnten Umfeld auf, hilft bei medizinischen, sozialen und beruflichen Fragen und sorgt dafür, dass sie nicht aus dem Versorgungssystem herausfallen. In vielen Fällen, etwa bei suchterkrankten obdachlosen Personen, geht es auch darum, diese wieder zu integrieren. Das Besondere: FACT ist keine Nachsorge nach einem Klinikaufenthalt und erfordert auch keine ärztliche Verordnung – das Team kann eigenständig auf Menschen zugehen, die den Kontakt zum Hilfesystem verloren haben. Die Intensität der Begleitung wird je nach Bedarf angepasst, zum Beispiel von täglichen Hausbesuchen durch verschiedene Teammitglieder auf ein wöchentliches Treffen mit einer Person. Innerhalb des jeweiligen Einzugsgebiets bleibt das Team dabei gemeinsam verantwortlich (Shared Caseload).
Ein Team für den Norden
Etwa zwei Prozent der Bevölkerung sind von einer schweren psychischen Erkrankung betroffen, davon werden wiederum rund 20 Prozent durch das bestehende psychiatrische System kaum oder gar nicht erreicht. Bei 50.000 Menschen entspricht dies 200 Personen als Zielgruppe eines FACT-Teams. In den Niederlanden existieren heute rund 400 solcher Teams. Luxemburg startet dagegen mit einem einzigen Pilotteam, das sich auf den Norden des Landes beschränkt. Wünschenswert wäre gewesen, parallel ein weiteres Team in einem städtischen Ballungsraum zu erproben, etwa für die Stadt Esch, wo mit knapp 40.000 Einwohner*innen ein vergleichbares Einzugsgebiet bestünde. Auch fehlt bislang ein psychiatrischer Krisendienst nach dem Modell eines „psychiatrischen SAMU“ – ein Angebot, das das FACT sinnvoll ergänzen würde.
„Nach Abschluss der Pilotphase wird es dem Gesundheitsministerium obliegen zu entscheiden, ob das Projekt auf weitere Regionen ausgeweitet wird“, erklärt eine Sprecherin des CHNP gegenüber der woxx. Die Resultate sollen im Dezember 2027 präsentiert werden. Die Direktorin der Zitha Consdorf brachte es zum Abschluss der Veranstaltung auf den Punkt: „FACT ist nicht nur ein Projekt, sondern eine geteilte Vision. Die Vision einer modernen, zugänglichen und tief in der Gemeinschaft verankerten psychischen Gesundheit.“ Damit diese Vision auch in Luxemburg Wirklichkeit wird, braucht es nun Kontinuität und den politischen Willen, weitere Schritte folgen zu lassen.

