Referendum: Luxembourgish Angst

Im Vorfeld des Referendums lieferten sich die Parteien eine nationalistische, bevormundende Wahlkampagne. Doch die Debatte um die Mitbestimmung von Ausländern hat den Graben nur vertieft. – Die persönliche (An)sicht einer Nicht-Luxemburgerin …

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Wenig einfallsreich: Die meisten Parteien spielten in ihren Kampagnen die nationale Karte oder indoktrinierten die WählerInnen mit „Jo“ oder „Nee“. (Fotos: woxx)

Nach Luxemburg zu fahren, war für mich lange mit einem Aufatmen verbunden. Kaum passierte man die Grenze bei Igel/Wasserbillig, wurde der Umgangston freundlicher. Statt mit einem „Fahrschein bit-te!“ angeherrscht zu werden, wurde ich mit einem gut gelaunten „Moien“ begrüßt, stimmte etwas mit der Fahrkarte nicht, wurde schon mal ein Auge zugedrückt, und nicht selten verwickelte mich einer der CFL-Schaffner in einen Plausch. Auch die gezielte Passkontrolle von dunkelhäutigen Menschen war – auf der Rückfahrt – stets das deutsche Markenzeichen.

Hinter der Grenze, in Luxemburg, erschienen Recht und Ordnung sekundär. Wichtiger war, dass man gut zu seinem Fahrtziel gelangte; und noch bevor einen der Zug in Lëtzebuerg ausspuckte, tauchte man in die hier herrschende Sprachenvielfalt ein: Vor einem hörte man akademisches Französisch, hinter einem Portugiesisch – wie gesungen; schräg gegenüber ein geschäftiges Mischmasch aus Englisch und Lëtzebuergesch. In meinem Kopf entstand das schöne Bild eines kleinen, bunten, multikulturellen Landes, in dem man beim Bäcker sein Croissant in vier Sprachen bestellen kann: Mehrsprachigkeit als Normalität und als Ausdruck von Toleranz. Da hier fast alle irgendwie eine Migrationsgeschichte aufzuweisen und viele italienische Vorfahren in der Stahlindustrie haben, schien es beinahe irrelevant, eine Klassifizierung vorzunehmen, wer hier ein „Ausländer“ ist.

Es gibt sie auch hier, die Angst vor den anderen, eine „Luxemburgish Angst“.

Viele werden das naiv nennen: Aber wo gibt es in Deutschland eine Stadt vergleichbarer Größe, in der wie in Luxemburg-Stadt 65 Prozent der EinwohnerInnen einen Migrationshintergrund haben und 46 Prozent (87% von ihnen EU-BürgerInnen) selbst immigriert sind? Und in der dies im Alltag vergleichsweise selbstverständlich ist? Selbst im europäischen Maßstab ist das eine Vielfalt, wie sie kaum anderswo existiert und die mich, in Deutschland geboren, mit bolivianischem Vater, von Anfang an beeindruckt hat.

Nach ein paar Wochen im Großherzogtum bekam mein Bild jedoch erste Risse. In einem Restaurant erklärten mir angetrunkene Luxemburger, die mich Deutsch sprechen hörten, dass die letzten echten Luxemburger angesichts der vielen hier lebenden Ausländer bald aussterben werden. Landesvater Juncker hätte besser daran getan, für sie ein Gehege zu bauen, ein Reservat, in dem die Luxemburger unter sich bleiben könnten, so die herausposaunten Stammtischgedanken einer Runde von vier etwa 60-jährigen Staatsbeamten.

Zugegeben, Stammtischrunden sind vermutlich überall stumpfsinnig. Doch mittlerweile habe ich begriffen, was diese Luxemburger offen aussprachen. In den Wochen vor dem Referendum ist bei mir endlich der Groschen gefallen, und meine Liebe zu Luxemburg schmilzt dahin. Denn es gibt sie auch hier, die Angst vor den anderen, eine „Luxemburgish Angst“. Dafür muss man nicht die Argumente eines Fred Keup lesen, sich in Facebook-Foren tummeln und Leserkommentare auf Wort.lu verfolgen. Nein, es reicht, ein kommunales Schwimmbad im Süden des Landes zu besuchen. Während eine Ex-Jugoslawin dort die Sauna-Aufgüsse macht, eine Französin aus der Grenzregion Massagen anbietet und eine Portugiesin am Ende des Tages den Dreck wegputzt, sitzen weibliche Eingeborene selbstzufrieden in der Sauna, berichten lautstark von ihren Mallorca-Reisen (der letzten Vakanz), den Preisen im Cactus und bekräftigen einhellig ihr „Nee“ – denn das, was Gambia da vorhat, geht uns Luxemburgern einfach zu weit!

Die direkte Mitwirkung des Volkes qua Referendum soll der Demokratie eine besondere Legitimation verschaffen…

Ein CFL-Schaffner vertraute mir neulich an: Wissen Sie, warum die Luxemburger die Grenzgänger hassen? „Weil wir denken, dass wir besser sind!“ Treffender hätte man das Ressentiment vieler Luxemburger, die am 7. Juni wohl 3x „Nee“ stimmen werden, kaum auf den Punkt bringen können

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Multikulturelle Wirklichkeit: Klingel- und Adressschilder in Luxemburg-Stadt.

Tatsächlich gleicht Luxemburgs Gesellschaftsordnung in meinen Augen einer Pyramide, bei der der Wohlstand maßgeblich auf der Arbeit ehemals der Italiener, heute der Portugiesen und Grenzgänger beruht. Die beinahe überversorgten Staatsbeamten und die politische Klasse der Eingeborenen stehen ganz oben. Sie profitieren von den gesicherten, bestbezahltesten Jobs beim Staat. Die mittlere Kaste, die der Grenzgänger, die jeden Tag nach Luxemburg strömen, ist die unbeliebteste, ist nahezu verhasst. Denn sie ist potenzielle Konkurrenz und wagt es, selbstbewusst im Alltag Französisch oder Deutsch zu sprechen. Die dritte Kaste bilden die Portugiesen; sie verrichten die Niedriglohn-Jobs, die keiner sonst machen will. Sie werden stillschweigend hingenommen, weil sie unter sich bleiben. Den Eingeborenen geht es gut mit diesem System – sie haben bei Veränderung durchaus etwas zu verlieren. So scheint es jedenfalls, obwohl die jüngsten Umfragen (statec und tns/ilres) keine riesigen Veränderungen im Wahlverhalten prognostizieren.

Wenig erstaunlich, dass das partielle Ausländerwahlrecht die Gemüter spaltet wie kaum ein anderes Thema. Und dies, obwohl die Referendumsfrage zu einer Mitbestimmung von hier dauerhaft lebenden Menschen so vage formuliert und an so inkonsistente Bedingungen geknüpft ist: Zehn Jahre muss man in Luxemburg wohnen und bereits einmal in eine Liste bei Kommunal- oder Europawahlen eingeschrieben gewesen sein bzw. an einer solchen Wahl tatsächlich teilgenommen haben, um die Bedingungen zu erfüllen. Für die Teilnahme an den Parlamentswahlen werden also strengere Anforderungen gelten als für die Erlangung der Luxemburger Nationalität. Letztere setzt nur sieben Jahre Residenzpflicht, in Luxemburg als erstem Wohnort, voraus.

Welches Argument könnte rechtfertigen, dass an einem Ort lebende Menschen dauerhaft – und sei es in ihrer zukünftigen Erwartung oder Wünsche – an der Mitbestimmung gehindert werden?

Dabei hat dieses „Re-ferendum“, die vom Parlament an „das Volk“ zurückgetragene Befragung, nicht mehr als konsultativen Charakter. Ihre Ergebnisse sind nicht bindend, und ob die CSV bei einer Abstimmung über eine Verfassungsänderung tatsächlich mitziehen würde, um in der Chamber die erforderliche 2/3-Mehrheit zustande zu bringen, steht in den Sternen. Die direkte Mitwirkung des Volkes qua Referendum soll der Demokratie eine besondere Legitimation verschaffen. Ist das aber der Fall, wenn die Abstimmenden nur 54 Prozent der in Luxemburg lebenden Menschen ausmachen? Versteht man Demokratie als reines Verfahren zur Entscheidungsfindung, ist dagegen wenig einzuwenden. Begreift man sie jedoch auch als normative Idee, bietet sie Sprengkraft für jeden Nationalstaat. Welches Argument könnte rechtfertigen, dass an einem Ort lebende Menschen dauerhaft – und sei es in ihren Wünschen oder ihrer zukünftigen Erwartung – an der Mitbestimmung gehindert werden? Herkunft, Sprache, Weltverständnis oder „Gebräuche“ wird jede sich selbst ernst nehmende Reflexion als nicht ausreichend abtun.

Immer wieder wird auf den Integrationsfaktor Sprache (Lëtzebuergesch) abgestellt. Gerade alteingesessene LuxemburgerInnen fordern als „conditio sine qua non“, dass die hier lebenden AusländerInnen die Landessprache sprechen müssen. Doch gibt es in diesem Land drei Amtssprachen – die Sprache der größten hier lebenden Minderheit, Portugiesisch, gehört nicht dazu. Zum Vergleich: Der plurinationale Staat Bolivien, in dem über 60 Prozent der Einwohner indigen sind, hat neben Spanisch und Quechua, Aymara und Guarani noch 32 indigene Dialekte als Amtssprache(n) anerkannt. Und: Es ist gut, viele Sprachen zu können – besonders diejenigen, die vor Ort gesprochen werden. Rechte lassen sich jedoch aus dem Sprachverständnis nicht ableiten.

Immerhin hat es im Vorfeld der Abstimmung keine extrem rassistische Hetze wie im Fall der Schweizer SVP mit ihrer „Schwarze-Schaf-Kampagne“ gegeben. Was die Strategien der Parteien betrifft, so schwanken sie zwischen Patriotismus (selbst die Grünen hatten zeitweise ein Wahlplakat mit einem Schiff in petto, auf dem es hieß „Richteg Patrioten waren nach ëmmer Pionéier“), väterlicher Fürsorge – die Wähler werden mit „Achtung! Ein Kreuz ist schnell gemacht“ dazu angehalten, über die mögliche Tragweite einer solchen Entscheidung besser (nicht!) nachzudenken – und im besten Fall dem Aufruf nach eigenständiger Mitbestimmung. Im allgemeinen aber scheinen die meisten Parteien ebenso wie die Zeitungen hierzulande ihre WählerInnen für kaum fähig zu halten, eigenständig eine Entscheidung zu treffen. Der Wahlkampf für das „Jo“ oder „Nee“ ist aufdringlich und bevormundend. Potenzielle Abstimmende werden einer gebetsmühlenartigen Indoktrinierung ausgesetzt. Am Ende stehen drei Fragen, von denen eine zum Lackmustest der amtierenden Regierung werden wird. Freilich wird beteuert, dies Referendum sei keine Abstimmung für oder gegen Gambia. Tatsächlich jedoch ist es in der öffentlichen Wahrnehmung genau das, auch wenn nicht jede Jo-Stimme eine für den Premierminister ist und nicht jedes „Nee“ eine Stimme für die CSV.

Doch ich glaube, es ist Verlass auf den Patriotismus und die Angst der Luxemburger. „Mir wëlle bleiwen wat mir sinn“, wird das Ergebnis dieser ochlokratischen Abstimmung sein. – Auch, wenn klar ist, dass Luxemburg ein nationales Konstrukt ist, über dessen Geburtsstunde und Grenzen sich Historiker bis heute streiten.

Was in den letzten Wochen aus der Mitte der Gesellschaft hochgeschwappt ist, ist das Ressentiment der nach unten Tretenden.

So wird das als große Mitbestimmung inszenierte Referendum am Ende aufklären über die Wirklichkeit. Die Kluft zwischen denen, die Bürger 1. Klasse sind, und denen, die maximal als Zuarbeiter und Dienstleister wahrgenommen werden, aber den Wohlstand sichern, wird deutlich sichtbar werden. Das ist es, was Nationen zusammenhält. Was in den letzten Wochen aus der Mitte der Gesellschaft hochgeschwappt ist, ist das Ressentiment der nach unten Tretenden. Den Nicht-EU-BürgerInnen will ich ein anderes Ergebnis wünschen: Doch sollte mich je jemand fragen, ob ich mich darum reiße, derzeit in diesem Land zu wählen, sag ich: Nee, merci!


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