Russische Sabotage: Anschlagspläne per Telegram

Russische Geheimdienste verüben immer häufiger Sabotageakte in der EU, oft mittels per Internet rekrutierter sogenannter „Wegwerfagenten“. Auch in Russland und der Ukraine rekrutieren Geheimdienste Zivilisten, die spionieren oder Anschläge begehen sollen.

Gehört zu den vermuteten Zielen möglicher russischer Sabotageakte: die Luftwaffenkaserne der deutschen Bundeswehr in Köln-Wahn. (Foto: EPA-EFE_BENJAMIN WESTHOFF)

Mit der Zerstörung russischer Militärflugzeuge durch ins Land geschmuggelte Drohnen landete der ukrainische Geheimdienst „SBU“ Anfang Juni einen spektakulären Coup. Die daraufhin aus dem Kreml zum wiederholten Mal vorgebrachte Behauptung, die Ukraine betreibe staatlichen Terrorismus, hat auf internationaler Ebene indes nicht viele Fürsprecher. Zu den wenigen gehört Malis Außenminister Abdoulaye Diop. Nach einem Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow im April bezeichnete er die Ukraine als „terroristischen Staat“.

Mali hatte die diplomatischen Beziehungen zur Ukraine bereits im vergangenen Jahr abgebrochen. Hintergrund sind Vorwürfe der Regierung, wonach aufständische Tuaregs Unterstützung aus dem Land erhalten haben sollen. Die zahlreichen, seit Jahren dokumentierten Fälle von Folter und Morden an Zivilisten durch russische Söldner in Mali erwähnte Diop hingegen nicht. Im Juni veröffentlichte eine Gruppe internationaler Medien eine detaillierte Recherche über ein von russischen Söldnern betriebenes Netz von Foltergefängnissen in Mali.

Mali ist aber nur ein Nebenschauplatz. Das wichtigste Betätigungsfeld russischer Geheimdienste außerhalb der Ukraine ist die EU. Spionage, Sabotageakte und Attentate gehören ebenso zum Repertoire wie Aktionen, die der Propaganda oder politischen Destabilisierung dienen.

Im März legte der US-Think Tank „Center for Strategic and International Studies“ (CSIS) eine systematische Auswertung Russland zugeschriebener Anschläge vor. Demnach habe sich deren Zahl in der EU zwischen 2023 und 2024 von zwölf auf 34 im Jahr fast verdreifacht. Größtenteils richteten sie sich gegen Logistik, staatliche Einrichtungen, kritische Infrastruktur und Industrieunternehmen.

Eine Eskalation stellten die 2024 am Flughafen Leipzig in einem Frachtzentrum des Logistikkonzerns DHL entdeckten Brandsätze dar, die nur wegen einer Flugverspätung nicht in der Luft explodierten. Auch in Großbritannien und Polen gerieten für den Flugtransport bestimmte Pakete in Brand. Solche Anschläge sollen mutmaßlich in Europa für Verunsicherung sorgen und signalisieren, dass Russland schweren Schaden anrichten könnte.

Oft richten sich die Anschläge gegen militärische Infrastruktur im Zusammenhang mit der Unterstützung der Ukraine. Als einer der schwerwiegendsten Anschläge in der EU gilt immer noch die Sprengung zweier Munitionslager mit für den Verkauf an die ukrainische Armee bestimmten Waffen in der Tschechischen Republik im Jahr 2014. Zwei Personen kamen dabei ums Leben. Die tschechische Polizei sieht es mittlerweile als erwiesen an, dass der Verursacher der russische Militärgeheimdienst „GRU“ war.

Polen hat im Frühjahr ein Verbot erlassen, sicherheitsrelevante Infrastruktur zu fotografieren. Ein Jahr zuvor, im Mai 2024, war auf dem größten Markt Warschaus ein Feuer ausgebrochen, für das die Behörden den russischen Geheimdienst verantwortlich machten. Im gleichen Monat wurden neun Personen verhaftet, die der Sabotage im Auftrag Russlands verdächtigt werden.

Nicht in allen verdächtigen Fällen konnte sich russische Urheberschaft feststellen lassen. Nach einem Großbrand in Berlin bei dem Rüstungsunternehmen „Diehl“ Anfang Mai vergangenen Jahres kamen zunächst Vermutungen auf, Russland könnte hinter der Tat stehen. Nach eingehender Prüfung stellte die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen ein, weil das Feuer nicht mutwillig gelegt worden sei.

Größtenteils richteten sich die Russland zugeschriebenen Anschläge in Europa gegen Logistik, staatliche Einrichtungen, kritische Infrastruktur und Industrieunternehmen.

Bei einem nächtlichen Brandanschlag auf Fahrzeuge der deutschen Bundeswehr am vorvergangenen Wochenende in Erfurt, bei dem vier LKWs zerstört und zwei weitere beschädigt wurden, gibt es jedoch Anlass, die Drahtzieher in Russland zu vermuten. Fünf Tage nach dem Brand veröffentlichte ein prorussischer „Telegram“-Kanal mit dem bezeichnenden Namen „Vom Krieg besessen“ Fotos und ein Video, auf dem brennende Bundeswehrfahrzeuge zu sehen sind. „Unsere Leute“ seien das gewesen, denn an dem Standort seien Fahrzeuge für die Ukraine repariert worden, heißt es dazu. Ermittlungen laufen.

Als kostengünstig und praktisch hat es sich erwiesen, Personen ohne geheimdienstlichen Hintergrund anzuwerben, um solche und ähnliche Operationen auszuführen. Zu viele Aktionen unter Beteiligung russischer Agenten waren in den vergangenen Jahren aufgeflogen. Außerdem wurden nach 2022 zahlreiche unter Diplomatenschutz operierende russische Geheimdienstmitarbeiter aus der EU ausgewiesen. Nicht zuletzt werden speziell ausgebildete Agenten in den besetzten ukrainischen Gebieten benötigt.

Nach Angaben der internationalen Recherchegruppe „Organized Crime and Corruption Reporting Project“ (OCCRP) werden in sozialen Medien wie Telegram Handlanger rekrutiert und mit dem Versprechen gelockt, mehrere Tausend US-Dollar ausgezahlt zu bekommen. Die angeworbenen Personen erhalten oft nur rudimentäre Informationen und ahnen höchstens, dass sie im Auftrag russischer Geheimdienste agieren. Der deutsche Verfassungsschutz spricht von „Wegwerfagenten“.

Das von dem im Exil lebenden russischen Milliardär Michail Chodorkowski finanzierte Investigativmedium „Dossier“ identifizierte Denis Smoljaninow, Oberst des GRU, als Kopf der in Moskau arbeitenden Leitungsebene für derartige Sonderoperationen. Smoljaninow habe zudem veranlasst, dass Leute aus dem kriminellen Milieu rekrutiert werden. Vorzugsweise in Moldau und Transnistrien, weil dort am ehesten geeignete Personen ausfindig zu machen seien, die ohne ein Visum in die EU einreisen können.

Dass der Kreml jegliche Verantwortung für Sabotageakte in der EU von sich weist, liegt in der Natur der Sache. Gleichwohl werden sie in Publikationen, die dem Kreml nahestehen, gerechtfertigt. Solche Aktionen seien als angemessene Reaktion auf die Eskalation durch das feindlich gesinnte Ausland zu werten, tönte vergangenen November der Autor Sergej Latyschew auf der Webseite des rechtsnationalistischen Fernsehsenders „Tsargrad“, der von dem russischen Oligarchen Konstantin Malofejew finanziert wird. Die taktischen Vorteile lägen auf der Hand: Ideal für die Moskauer Führung sei, dass jeder wisse, wer dahinterstecke, handfeste Beweise hingegen nicht erbracht werden könnten. Tsargrad argumentiert, dass Russland auch das moralische Recht besitze, Sabotage in der Ostsee zu betreiben. Gleichzeitig habe Russland aus Sicht des Kommentators kein Interesse daran, die Beziehungen zu westlichen Ländern weiter zu verschlechtern. Diese werfen Russland vor, unter Einsatz ziviler Schiffe in der Ostsee Unterseekabel zu zerstören, die einen Großteil der digitalen Kommunikation sicherstellen.

Die Explosionen entlang der Gaspipelines „Nord Stream“ 1 und 2 im September 2022, interpretierte Latyschew hingegen als mutmaßlichen Versuch, die Moskauer Führung zu diskreditieren. Nach Recherchen internationaler Medien geht die Zerstörung von drei der vier Röhren auf ein ukrainisches Kommando zurück. Anders als bei zahlreichen Aktionen in Russland streitet die ukrainische Regierung ihre Beteiligung ab.

Ukrainische Agenten, oft gebürtige Ukrainer mit russischem Pass, haben in Russland eine Reihe von Anschlägen verübt, darunter im April die Tötung des ranghohen Generals Jaroslaw Moskalik vor seiner Haustür in einem Moskauer Vorort. Weitaus häufiger stiften Telefonbetrüger Personen in Russland dazu an, Brandanschläge auf Rekrutierungsstellen der Armee oder andere Objekte zu verüben, beispielsweise indem sich die Anrufer als Vertreter des russischen Inlandsgeheimdienstes „FSB“ ausgeben. Oder sie verschaffen sich unter betrügerischen Angaben Zugang zu Bankkonten, üben finanziellen Druck auf ihre Opfer aus oder stellen eine verlockende Summe als Belohnung in Aussicht. Die Ermittlungsbehörden gehen davon aus, dass die Anrufer oftmals aus der Ukraine operieren. Mit ähnlichen Methoden rekrutieren russische Geheimdienste per Telegram in der Ukraine Agenten. Immer öfter sind die Zielpersonen minderjährig.

Das russische Exilmedium „Mediazona“ zählte in einer im Januar veröffentlichten Recherche 280 Brandanschläge auf Rekrutierungsgebäude und ähnliche Ziele in Russland seit Februar 2022, von denen 187 auf Anstiftung durch im Ausland sitzende Telefonbetrüger zurückgehen sollen. Im Jahr 2022 seien noch die allermeisten Taten von Kriegsgegnern aus eigenem Antrieb verübt worden.

Nebulös bleibt insbesondere ein Fall aus dem Jahr 2023: Die heute 21 Jahre alte Walerija Sotowa aus der Region Jaroslawl, die den Krieg gegen die Ukraine ablehnte, wurde von einem vermeintlichen ukrainischen SBU-Agenten kontaktiert. Der sich Andrej nennende Mann bot ihr für einen Anschlag mit einem Molotow-Cocktail 2.000 US-Dollar an. Sotowa ließ sich scheinbar darauf ein, beschloss allerdings, das Geld zu kassieren, ohne wie vereinbart ein Verwaltungsgebäude in Brand zu setzen. Das teilte sie einer neuen Bekannten mit, die, wie sich später herausstellte, vom russischen Geheimdienst FSB auf sie angesetzt worden war. Dieser hatte Sotowa eine Falle gestellt. Walerija Sotowa wurde wegen „versuchtem Terrorismus“ zu sechs Jahren Haft verurteilt.


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