Schlofzëmmerbléck: Melodien des Lockdowns

Die Unsichtbaren, eine Postbotin und Existenzkrisen: Die Musiksammlung „Schlofzëmmerbléck“ des Radio 100,7 spiegelt den ersten Lockdown aus der Sicht luxemburgischer Musiker*innen. Das Projekt entpuppt sich als zeitlose Hommage an Luxemburgs Musikszene.

Auf der Vinyl-Platte „Schlofzëmmerbléck“ versammeln sich dreizehn luxemburgische Musiker*innen und geben musikalische Einblicke in ihre Lockdown-Erfahrungen. (Radio 100,7/cropmark)

Die Jahresrückblicke werden 2020 vermutlich einseitig ausfallen: Corona hier, Corona da, Corona überall. Die Kulturbranche zog dieses Jahr, neben anderen Sektoren, den Kürzeren. Kinos, Theater, Konzert- und Veranstaltungshallen blieben beim ersten Lockdown im März geschlossen und wurden auch bei der zweiten Welle zu Virusschleudern erklärt. Für Kulturschaffende ein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken? Vielleicht, aber die Szene zeigte sich auf mehreren Wegen kreativ. Einer davon führte zum Projekt „Schlofzëmmerbléck“ des Radio 100,7, der einen etwas anderen Blick auf 2020 ermöglicht: Yves Stephany, Leiter der Musikredaktion, und Romain Butti, Leiter der Kommunikationsabteilung, luden 13 luxemburgische Musiker*innen ein, ihre Erfahrungen während des ersten Lockdowns musikalisch zu interpretieren.

„Nous voulions réunir au moins quelques-uns des artistes dont on parle le plus au Luxembourg en 2020, et les aider à créer un aperçu de la production musicale au Luxembourg au moment du confinement“, schreiben die Initiatoren des Projekts in ihrer Pressemitteilung zur Veröffentlichung der Vinylplatte am 3. Dezember. Wer den Hintergrund zur Platte kennt, erwartet entweder eskapistische Stücke oder musikalische Endzeitstimmung. Nichts von beidem tritt ein, auch wenn die einen oder anderen Musiker*innen leisere Töne anschlagen. Neben Künstler*innen wie Francis of Delirium oder Claire Parsons, sind unter anderem auch Edsun, C’est Karma und Maz vertreten.

Edsun setzt sich nach eigener Aussage in „Until Tomorrow“ mit der Situation der Menschen auseinander, die in der Krise vergessen werden: Obdachlose, Geflüchtete und Minderheiten jeglicher Art. Stilistisch bleibt Edsun sich treu und verpackt seine Mitteilung in einprägsame RnB- sowie Elektro-Beats.

Die Musikerin C’est Karma hat eine Hommage an ihre Postbotin geschrieben, wie sie in einem Blogbeitrag zu ihrer neuen EP „Farbfilm“ verrät. Für sie kam das Projekt von 100,7 gerade recht: Sie kämpfte, so steht es auf ihrem Blog, mit einer Schreibblockade als die Anfrage des Radiosenders eintrudelte. C’est Karma raffte sich auf und suchte Inspiration im Alltagsgeschehen. Die Wahl fiel auf ihre Postbotin, die täglich an ihrem Fenster vorbeizog. Um Briefmarken oder zerknautschte Umschläge geht es in dem Song aber nicht. Wie so oft führt die Musikerin ihre Zuhörer*innen mit ihren Texten auf eine völlig andere Spur und ermöglicht so individuelle Interpretationen ihrer atmosphärischen Songs. Oder wer denkt bei der Textzeile „You like to peel an orange“ spontan an Briefträger*innen?

Maz fällt mit „What Is the Meaning?“ hingegen mit der Tür ins Haus. Der Rapper erkennt in der Krise den Moment, Gesellschaftsstrukturen und die eigene Lebensweise zu hinterfragen. Er vermutet hinter der sanitären Krise einen Fingerzeig, eine Warnung für das, was der Menschheit bevorsteht, wenn sie die Umwelt und sich selbst weiterhin zerstört. „What are we becoming?“, fragt er in seinem Song. Ein bewegendes Lied mit dem Maz unterstreicht, dass Hip-Hop und Gesellschaftskritik eng miteinander verwoben sind und die luxemburgische Szene mit ihm einen vielversprechenden Rapper am Start hat.

Allgemein zeigt „Schlofzëmmerbléck“, wie viel Talent Luxemburg musikalisch zu bieten hat – und das auf alle Genres verteilt. Die Singer-Songwriterin Claudine Muno verzaubert mit ihrem Folk-Song „Pink Revolver“. Der Jazzkomponist Pascal Schumacher und der deutsche Trompeter Sebastian Studnitzky erweisen dem Albumtitel mit ihrem ruhigen Jazzstück „Closer“ alle Ehre – das Stück berührt und stiftet Intimität. Die Platte „Schlofzëmmerbléck“ ist trotz ihrer Entstehungsgeschichte keine Momentaufnahme. Sie erweist sich als zeitlose und kostbare Musiksammlung.

Ab sofort in limitierter Auflage als Vinylplatte und als Download auf der Plattform Bandcamp erhältlich sowie seit März unter anderem auf Spotify streambar.

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