Serien-Empfehlungen: „The Midnight Gospel“ und „The Leftovers“

Diese Woche präsentiert die woxx zwei Fantasy-Serien, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Jede ist auf ihre Weise visuell beeindruckend und regt zu tiefgründiger Reflexion an.

Clancy besucht virtuelle Universen, um anschließend Spacecasts darüber aufzunehmen. (Quelle: Netflix)

The Midnight Gospel (2020-)

(ja) – Wenn am 20. April, dem inoffiziellen Cannabisfeiertag, eine neue Animationsserie in einem äußerst bunten und psychedelischen Stil auf Netflix startet, erwarten die meisten Zuschauer*innen vermutlich eher lustige und leichte Unterhaltung. Auf den ersten Blick stimmt das sogar: Der Protagonist der Serie, Clancy, ist ein Podcaster, der für seine „Spacecasts“ virtuelle Universen besucht und die Bewohner*innen dieser Welten interviewt. In der ersten Folge unterhält sich Clancy mit dem US-Präsidenten, während beide einen Zombie-Angriff auf das Weiße Haus abwehren.

Sie sprechen jedoch nicht etwa über die Untoten, sondern diskutieren äußerst differenziert die Vor- und Nachteile von Drogenlegalisierung und -nutzung. Schnell zeigt sich, dass „The Midnight Gospel“ inhaltlich tiefgehender ist, als auf den ersten Blick zu erwarten wäre. Zuerst verwirrt es, dass die auf dem Bildschirm gezeigte Handlung – stets bunt, abgedreht, psychedelisch, oft auch brutal und mit spiritueller Symbolik durchsetzt – nicht viel mit den Gesprächen zu tun hat, die Clancy mit seinen Interviewpartner*innen führt.

Das erklärt sich dadurch, dass es sich bei der Serie um die Adaptation eines Podcasts handelt. Duncan Trussell, der unter anderem Autor für „Curb Your Enthusiasm“ war und Clancy spricht, hat die besten Gespräche seines Podcasts „The Duncan Trussell Family Hour“ für die Serie ausgesucht. Neben Drogen sind Meditation, Magie, Vergeben und immer wieder der Tod und die Akzeptanz der eigenen Sterblichkeit Themen der Gespräche. Obwohl die Episoden alle recht kurz sind und eine Rahmenhandlung beinhalten, sind die Gespräche nie oberflächlich, sondern stets tiefgehend. Besonders rührend ist die letzte Folge, in der sich Trussell mit seiner todkranken Mutter unterhielt.

Während andere Animationsserien mit Erwachsenenpublikum wie „Rick and Morty“ philosophische Themen lediglich mit einem zynisch-abgebrühten Nihilismus behandeln, nimmt „The Midnight Gospel“ seine Zuschauer*innen und Protagonist*innen ernst. Man muss nicht an eine Seele oder Magie glauben, um eine Diskussion über diese Konzepte bereichernd zu finden – vor allem, wenn sie so wie hier in ein visuell beeindruckendes Animationsfeuerwerk eingepackt ist.

Netflix

The Leftovers (2014-2017)

(tj) – Nach einem plötzlichen Ereignis ist die Welt aus den Fugen geraten: Vieles, was davor als Selbstverständlichkeit galt, ist es plötzlich nicht mehr, Unsicherheiten und soziale Unruhen breiten sich aus, Verschwörungstheorien grassieren, unter Hochdruck versucht die Wissenschaft, bessere Kenntnisse über dieses neuartige Phänomen zu erlangen. In „The Leftovers“ wird diese Krise nicht etwa durch ein Virus ausgelöst, sondern durch ein metaphysisches Ereignis: Und zwar lösten sich an einem 14. Oktober 140 Millionen Menschen in Luft auf. Wohin oder weshalb sie verschwunden sind, weiß niemand.

Unbeschwerte Momente wie dieser zwischen Kevin (Justin Theroux) und seiner Tochter Jill (Margaret Qualley) sind in „The Leftovers“ eher die Ausnahme. (Quelle: HBO)

Die HBO-Serie, die auf der Buchvorlage von Autor Tom Perrotta beruht, setzt drei Jahre später an und ergründet im Laufe der insgesamt drei Staffeln, wie die Gesellschaft mit dieser „Sudden Departure“ umgeht. Manche Menschen sind infolgedessen psychisch krank geworden, neue soziale Normen und Praktiken haben sich gebildet, Familien brechen auseinander und diejenigen, die es sich leisten können, ziehen an Orte, die von der Katastrophe verhältnismäßig verschont geblieben sind.

„The Leftovers“ handelt von der kollektiven Trauer um eine verloren gegangene Realität. Auch Jahre nach der „Sudden Departure“ ist die Angst immer noch groß, dass es wieder passieren könnte. Während die meisten versuchen, dies so gut es geht zu verdrängen, haben andere es sich zur Lebensaufgabe gemacht, an den 14. Oktober zu erinnern: Als Mitglieder der Sekte „The Guilty Remnant“ empfinden sie jeden Versuch, das traumatische Ereignis hinter sich zu lassen und weiterzumachen, als absurd. Sie tragen schlichte weiße Kleidung, haben aufgehört zu sprechen und rauchen ohne Unterbrechung – angesichts der „Sudden Departure“ sehen sie alles andere als irrelevant.

Die Gruppierung ist ein realistisches Beispiel dafür, wie sich in Krisenzeiten neue Glaubensrichtungen bilden können. Zugleich kann „The Guilty Remnant“ als Visualisierung für die Belastung verstanden werden, die auch Jahre nach einem traumatischen Ereignis noch empfunden werden kann.

Es ist leicht, die Serie als Analogie für 9/11 zu sehen. Doch der Vergleich hinkt: Bei 9/11 war zwar die ganze Welt von den Auswirkungen betroffen, jedoch nicht vom Ereignis selbst. Ein weiterer Unterschied: Anders als im Kontext von 9/11, kann für die „Sudden Departure“ niemand verantwortlich gemacht werden. Als Analogie für die Covid-19-Pandemie taugt die Serie dagegen gut – nur einer von vielen Gründen, weshalb man sich diese wunderschöne, skurrile und zutiefst berührende Serie nicht entgehen lassen sollte.

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