Soziale Kohäsion vor und nach der Pandemie

Die Association de soutien aux travailleurs immigrés (Asti) veröffentlicht Umfrageergebnisse zum multikulturellen Zusammenleben in Luxemburg und fragt sich, ob man nach der sanitären Krise noch auf diese vertrauen kann. Über die Ergebnisse und erste Einschätzungen.


Foto: Matheus Viana (Pexels)

Im Herbst 2019 sammelte die TNS Ilres im Auftrag der Asti über verschiedene Kommunikationswege Eindrücke von 1.119 Luxemburger*innen, Ausländer*innen und Ortsansässigen mit doppelter Nationalität zum Thema Integration und multikulturellem Zusammenleben in Luxemburg. Die Asti publiziert die Umfrageergebnisse nun mitten in der sanitären Krise.

Die Resultate senden gemischte Signale, wenn es um das Miteinander der Befragten geht. Auch, wenn die Mehrheit der Immigrierten ein zweites Mal „Ja“ zu Luxemburg sagen würde. Der Großteil der ortsansässigen Nicht-Luxemburger*innen würde sich nämlich erneut für eine Auswanderung nach Luxemburg entscheiden. Warum? Vor allem wegen der allgemeinen Lebensqualität, der Sicherheit, der sozialen und politischen Situation sowie der durchschnittlich hohen Löhne. 92 Prozent der befragten Ausländer*innen und Luxemburg*innen fühlen sich dem Großherzogtum und nur 78 Prozent ihrem Herkunftsland verbunden.

Was sich auf den ersten Blick wie ein Bekenntnis zu Luxemburg liest, wird durch die Wichtigkeit identitätsstiftender Elemente relativiert. 71 Prozent der Befragten definiert sich durch die Familie – und nicht durch das Land, in dem sie leben. Menschengemachte Landesgrenzen, zugeteilte Nationalitäten und der Standort der eigenen vier Wände hinken mit jeweils weit unter 50 Prozent hinterher. Für den Demographen und Asti-Mitglied Charel Margue ist dies problematisch. „Ein wenig Sorgen bereitet mir die Tatsache, dass die 25- bis 35-Jährigen sich weniger verbunden fühlen mit ihrer Gemeinde oder Ortschaft“, schreibt er in einer „Carte blanche“ zu den Ergebnissen. „Die lokale Ebene ist nun mal die, auf der die Verbindung zwischen den Menschen, das Zusammenleben entstehen müsste.“ Für die meisten Umfrageteilnehmer*innen spielt hingegen die Beherrschung einer Landessprache (vorzugsweise Luxemburgisch), der Besuch öffentlicher Schulen und das Arbeiten in Luxemburg die größte Rolle in Integrationsfragen.

In welchem Maße die Integration dann letzten Endes gelingt, lässt sich aus der Umfrage schwer herauslesen. Die Aussagen hierzu sind widersprüchlich, weil sie nur leicht voneinander abweichen. 79 Prozent der Befragten denken, dass Luxemburger*innen und Ausländer*innen gut zusammenleben – gleichzeitig sagen 64 Prozent aus, dass sie eher nebeneinander her als miteinander leben. Ähnlich verhält es sich mit der Meinung über die Offenheit und Akzeptanz der Luxemburger*innen: 77 Prozent sind der Meinung auf offene Arme zu stoßen, wohingegen 64 Prozent finden, dass Luxemburger*innen Ausländer*innen gegenüber eher verschlossen sind. Ein gleichermaßen durchwachsenes Ergebnis gab es in einer rezenten Asti-Umfrage zum Wahlrecht für Ausländer*innen: Darin kam es ebenfalls zu widersprüchlichen Aussagen zwischen der Bejahung des Wahlrechts und seiner Verneinung.

Einfluss der Pandemie auf soziale Kohäsion

In der Pressemitteilung zur Veröffentlichung der Umfrageergebnisse, fragt sich die Asti, ob die Meinung der Befragten heute, also in Zeiten der Pandemie, anders ausfallen würden. Eine repräsentative Antwort hierauf zu geben, ist aus dem Stegreif nahezu unmöglich. Die Asti betont in ihrer Pressemitteilung jedoch, dass die möglicherweise bald bevorstehende Wirtschaftskrise die soziale Kohäsion in Frage stellen könnte. Was die Asti anspricht, macht sich in Privatgesprächen bereits ansatzweise bemerkbar: Aus diesen geht beispielsweise hervor, dass sich Senior*innen, die kein Luxemburgisch verstehen und keinen Internetzugriff haben, sich ausgeschlossen und von der Regierung vergessen fühlen. Zwar hätten sie zu Beginn der Krise per Post mehrsprachige Informationsblätter zu den staatlichen Vorkehrungen erhalten, doch könnten sie sich inzwischen in der Quarantäne nur schwer regelmäßig über die nationale Lage informieren.

Was man ebenfalls bedenken sollte: Die monatelange Schließung der Schulen, die augenscheinlich einen wichtigen Part in Sachen Integration übernehmen. Es bleibt offen, inwiefern sich die Zwangspause auf das Zusammensein in der Schule auswirkt und wie Kinder, die gerade dabei sind oder waren eine Landessprache zu erlernen, an ihre bereits erworbenen Kompetenzen anknüpfen können.

All diese Aspekte deuten, wenn auch nur vage, darauf hin, dass nach Covid-19 womöglich andere Eindrücke über das Zusammenleben in Luxemburg zu erwarten sind, als in der aktuellen Umfrage der Asti abgebildet. Die Asti fordert jedenfalls, dass nach der Pandemie und den getroffenen Sicherheitsmaßnahmen eine proaktive und globale Integrationspolitik betrieben werden muss.


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