Stadtentwicklung & Migration
: Noch nicht angekommen


In der Stadtplanung spielen migrationspolitische Gesichtspunkte in Luxemburg bislang keine Rolle. Das muss sich dringend ändern, meinen Experten. Minister François Bausch verspricht eine städtebauliche Zäsur.

Geteilte Gesellschaft: Die mangelnde Durchmischung von Wohnvierteln mit Angehörigen verschiedener sozialer Gruppen ist in Luxemburg nicht nur unter migrationspolitischen Gesichtspunkten ein Problem. (Foto: Rasande Tyskar/Creative Commons)

Geteilte Gesellschaft: Die mangelnde Durchmischung von Wohnvierteln mit Angehörigen verschiedener sozialer Gruppen ist in Luxemburg nicht nur unter migrationspolitischen Gesichtspunkten ein Problem. (Foto: Rasande Tyskar/Creative Commons)

Werden die Themen „Migration“ und „Stadtentwicklung“ in einem Atemzug genannt, ist damit nicht selten die Mahnung beabsichtigt, dass es „Parallelgesellschaften“ zu vermeiden gilt. Parallelgesellschaften entstehen demnach in Straßenzügen oder ganzen Vierteln, die Menschen aus demselben Herkunftsland oder Kulturkreis nach und nach in Beschlag nehmen, und sich damit zugleich von der weiteren Umwelt absondern. Die Folgen davon seien Desintegrationstendenzen in der Gesamtgesellschaft.

Man hört diese Warnung durchaus auch von Menschen, die selbst einst „migriert“ waren, auch wenn das schon eine Weile zurückliegen mag. Solche Zuwanderer haben sich bei ihrer Ankunft bewusst dafür entschieden, sich von den Angehörigen des eigenen Herkunftslands am neuen Wohnort eher fernzuhalten. Sie erinnern sich allerdings auch, was diese Entscheidung für sie in den ersten Jahren im neuen Land bedeutete: Einsamkeit, Isolation. Mindestens so lange, bis sie die fremde Sprache einigermaßen erlernt und Arbeit gefunden hatten. Den Alteingesessenen sollte also bewusst sein, was sie den Neuankömmlingen mit ihrer Forderung, auf ein Leben in homogenen Inseln zu verzichten, tatsächlich abverlangen. Zumindest, solange die Gesellschaft ihnen nichts anderes zu bieten hat.

Die Auswirkungen von Migration auf die Stadtentwicklung sind eine seit jeher – und nicht nur in der luxemburgischen Hauptstadt – aktuelle gesellschaftliche Problematik. Doch mit den Flüchtlingsbewegungen und Neuankömmlingen der jüngeren Zeit ist das Thema besonders drängend geworden. Das sieht auch François Bausch so, als Minister für nachhaltige Entwicklung und Infrastruktur maßgeblicher Akteur der hierfür zuständigen Politik. Die Frage jedoch, ob daher Stadtplanung in Luxemburg dezidiert auch aus migrationspolitischer Perspektive betrieben wird, kann er nur verneinen: „Zur Zeit, das muss ich ganz ehrlich sagen, noch nicht.“ Das soll sich nun aber ändern, wobei Bausch auch Impulse durch Erfahrungen aus dem Ausland erhofft.

Doch die Zeit drängt, wenn man aus dem defizitären Notfallmanagement herauskommen will. Nirgends werde das Bevölkerungswachstum so stark durch Zuwanderung geprägt wie in Luxemburg, betont Birte Nienaber, die an der hiesigen Universität als Professorin politische Geographie lehrt. „Das hat natürlich große Auswirkungen auf eine Stadt, weil man neuen Wohnraum schaffen muss und auch eine diversifiziertere Gesellschaft bekommt, mit großen Unterschieden in den täglichen Ansprüchen. Wir haben beispielsweise Migrationsgruppen vor allem aus den südeuropäischen Ländern, die stark auf den Bereich außerhalb ihrer Wohnung orientiert sind, d.h. Parks in Anspruch nehmen. Andere Migrationsgruppen sind mehr auf ihren privaten Wohnraum oder ihre Innenhöfe orientiert. Das muss man bei der Stadtentwicklung berücksichtigen.“ Eine ähnliche Sensibilität gelte es in der gesamten städtischen Infrastruktur zu entwickeln, von der Schule bis zum Krankenhaus.

Dass dies erst jetzt und auch nur zögerlich geschieht, führt Nienaber nicht zuletzt auf die lange vorherrschende Einstellung zurück, dass sich die Neuankömmlinge zu assimilieren hätten. „Man hat nicht gesehen, dass Integration eine Angelegenheit ist, die sowohl die Ankommenden betrifft als auch die einheimische Bevölkerung.“ Mittlerweile erzwinge jedoch die durch den weiteren Zuwachs zugespitzte Situation auf dem Wohnungsmarkt ein verstärktes Eingreifen der öffentlichen Hand.

1388stoosTatsächlich ist es die weitere Entwicklung des Wohnungsmarktes, die François Bausch bei den migrationspolitischen Überlegungen zur Stadtplanung in erster Linie zur Sprache bringt. „Wir müssen eher auf Verdichtung setzen statt auf Zersiedlung“, so der Minister, was für ihn vor allem bedeutet, städtische Industriebrachen zu bebauen; die Wohnqualität in der Stadt soll dadurch insgesamt erhöht werden. So wie etwa in Esch-Belval. „Ein sehr positives Beispiel“, nennt es Bausch, „verbunden mit einer Wohndichte, die drei- oder viermal höher ist als in anderen vergleichbaren Regionen“. In Schifflange, Luxemburg-Stadt und andernorts strebt man mit der Bebauung ehemaliger Industrieareale, wie etwa Paul Wurth, Vergleichbares an.

Auch der Zusammenhang von Arbeit und Wohnen rückt vermehrt in den Blick. Mit der angestrebten Vervierfachung der Wohnbevölkerung auf dem Kirchberg besteht zwischen denen, die dort arbeiten und den anderen, die dort wohnen, zwar noch immer eine starke Diskrepanz, doch hofft Bausch auf eine zunehmende Durchmischung. Erreichen will man sie durch Wohnungsbau, bei dem laut Bausch „der Staat eher auf Erbpachtrecht setzt und versucht, Wohnungen zu erschwinglichen Preisen auf den Markt zu bringen“.

Ob allerdings allein die Trennung von Eigentums- und Nutzungsrecht die erhoffte Entspannung auf dem Wohnungsmarkt bringen kann, ist fraglich. „Man wird in den nächsten Jahren sehen, dass die Personen, die als Flüchtlinge anerkannt werden, und Personen, die in Niedriglohnsektoren arbeiten, um die gleichen Wohnungen kämpfen“, so Birte Nienaber. Die bestehende Konkurrenz werde sich weiter verschärfen.

Allenthalben weisen daher Experten auf die eklatante Diskrepanz zwischen dem bestehenden Baurecht mit den veralteten Flächennutzungsplänen und den heutigen Erfordernissen hin. „In der Stadt müssen Wohnen und Arbeiten wieder zusammengeführt werden, betont etwa Florian Hertweck, seit Anfang September Professor für Architektur an der Uni Luxemburg. Er hat in der vergangenen Woche in Schengen eine „Summer School“ zum Thema Architektur und Migration veranstaltet, bei der internationale Fachleute gemeinsam über Lösungsansätze nachgedacht haben.

Die Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt wird sich weiter verschärfen.

Dass Neuankömmlingen eine Erwerbstätigkeit in der Nähe ihres Wohnortes ermöglicht werden muss, gilt allgemein als die Crux migrationspolitisch orientierter Stadtentwicklung. Wie wichtig dies für eine gelingende Integration ist, hat der Journalist Doug Sanders in seiner auch unter Stadtplanern anerkannten Studie „Arrival City“ zur Bedeutung von „Ankunftsstädten“ ausgeführt.

Dafür bedarf es aber auch einer entsprechenden Architektur. „Es müssen verschiedene Wohnungstypologien geschaffen werden, für Reich und Arm, für Jung und Alt, für hier Geborene und dort Geborene, für alle möglichen Kulturen und sozialen Gruppen“, meint Architekt Hertweck.

(Foto: Die Grünen /Flickr)

(Foto: Die Grünen /Flickr)

François Bausch unterstreicht, dass dies auch für die ökonomische Entwicklung des Landes erstrebenswert ist. „In den vergangenen Jahrzehnten waren wir vor allem von Arbeitskräften abhängig, die als Grenzgänger hier gearbeitet haben“, so der Minister. Sich auf den Ausbau des innerstädtischen Wohnraums zu konzentrieren, bedeutet für ihn auch, besonders diejenigen Arbeitskräfte ins Auge zu fassen, die „in Luxemburg leben, sich integrieren, hier dauerhaft bleiben.“ Dabei denkt er insbesondere an Flüchtlinge aus Syrien, in denen er ein hohes Potenzial für den Ausgleich des hiesigen Fachkräftemangels erkennt: „Wirtschaftlich gesehen verfolgen wir eine Diversifizierungsstrategie. Wir wollen nicht länger allein vom Finanzplatz abhängig sein, sondern in den digitalen Bereich und in die Umwelttechnologien gehen, also Bereiche entwickeln, die mit sehr viel Ausbildung und Forschung verbunden sind.“

Das Problem, eine räumliche Durchmischung unterschiedlicher Milieus und sozialer Gruppen hinzubekommen, bleibt dennoch bestehen, und manche, wie Doug Saunders, sehen in homogeneren Vierteln auch eher Chancen, und nicht nur ein Problem. Birte Nienaber geht davon aus, dass der Luxemburger Wohnungsmarkt auf absehbare Zeit ohnehin Segregationstendenzen entwickeln wird. „Solange man kein gutes Einkommen hat, ist die freie Wahl der Wohngegend sehr eingeschränkt.“ Nicht nur deshalb fordert Nienaber eine kontinuierliche Bürgerbeteiligung, die es bis hin zur Gestaltung des Flächennutzungsplans zu beachten gelte. Nur so könne die Zuspitzung von Konflikten vermieden werden. Sie fordert, dabei auch die verschiedenen Migrantengruppen konsequent einzubinden, „denn dann erfährt man auch von ihren Bedürfnissen und kann dieses Wissen nutzen“.

Minister Bausch kündigt an, im November einen Prozess einzuleiten, der in vieler Hinsicht eine städtebauliche Zäsur bewirken soll. „Wir werden mehrere Szenarien aufzeigen und auch die jeweiligen Risiken benennen.“ Die Regierung selbst favorisiere dabei die Verdichtung und, auch unter migrationspolitischen Gesichtspunkten, Durchmischung des städtischen Raums. Nicht nur mit Blick auf die Kommunalwahlen im nächsten Jahr dürfte es ein hartes Stück Arbeit werden, die Bevölkerung für dieses Szenario zu gewinnen.


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