Psychische Gesundheit und Kindheitstraumata: In ihrem neusten Netflix-Special spricht Komikerin Taylor Tomlinson ernstere Themen an als sonst. Dabei gelingt es ihr, einen leichten Tonfall beizubehalten.
Fans von trockenem Humor und Stand-up-Comedy sind schon zu bedauern. Nicht, dass die beiden nicht zusammengingen. Doch entscheiden sich erstaunlich wenige Comedians für diese Art von Humor. In der Tat will „deadpan comedy“, wie diese Art der Comedy auf Englisch heißt, gelernt sein. Viele Pointen der Komikerin Tig Notaro zum Beispiel würden schlicht nicht funktionieren, wenn sie sie mit minimal mehr Emotionen vorbrächte.
Die Gründe für lautere, hektischere Stand-ups sind wahrscheinlich so vielfältig wie die Künstler*innen, die sie präsentieren. Leichter als leisere Varianten ist es allerdings nicht. Monoton kann es nämlich auch bei lauten Komiker*innen werden, wenn es an der nötigen Variation fehlt. Wenn eine Pointe nach der anderen ins Mikrofon geschrien wird, bekommen zwar alle sie mit, witzig ist das aber nicht unbedingt. Möglicherweise ist es die Art von lauter Comedy, die manche Stand-up-Fans abschreckt. Wer ihr dennoch eine Chance gibt, wird feststellen, dass es auch anders geht.
Taylor Tomlinson, die eher den „lauten Comedians“ zuzuordnen ist, hat dies ebenfalls verstanden. Bei ihren Auftritten variiert die gebürtige Kalifornierin nicht nur ständig die Lautstärke, sie weiß auch, wie man möglichst effektvoll Mimik, Gestik, Blicke und – bei Stand-up-Comedy besonders wichtig – Pausen einsetzt.
An ihrem Stil feilt die 28-Jährige schon seit über einem Jahrzehnt. Seit 2015 ist ihre Comedy auch einem breiteren Publikum zugänglich: Nach Fernsehauftritten bei „Last Comic Standing“, „The Tonight Show“ und „Conan“ war sie 2018 in einer Folge der Netflix-Serie „The Comedy Lineup“ zu sehen. Die Themen, die sie darin besprach, waren eher seicht: ihr Level an Sexyness, Instagrammer*innen, subjektiv wahrgenommene Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Sie scheute sich jedoch nicht, auch unangenehme Themen anzusprechen, wie etwa sexualisierte Gewalt. Dass das auf einen Teil des Publikums abschreckend wirken kann, nimmt sie in Kauf: „I can feel the men in here shutting down. I don’t care“, ließ sie das gespaltene Publikum damals wissen.
Die 13-minütige Folge sollte jedoch nur ein Vorgeschmack von Tomlinsons Talent sein. In ihrem neusten Netflix-Special „Look at You“ bleibt sie ihrem Stil treu, doch zeigt sich die Komikerin inhaltlich mittlerweile von einer viel verletzlicheren Seite. Wenn sie 2018 über ihr „baby face“ sprach, dann um potenziellen Kommentaren vorzugreifen. Kritisierte sie frauenverachtendes Verhalten, dann sprach sie über die kollektive Erfahrung von Frauen.
In „Look at You“ wird es persönlicher. Unterschiede zwischen Männern und Frauen und Beziehungsprobleme beschäftigen Tomlison zwar immer noch, während des einstündigen Auftritts fungieren sie allerdings eher als Puffer zwischen ernsteren Themen. Wie schon 2018 schreckt sie nicht davor zurück, Tabuthemen anzusprechen. Was ihr mittlerweile aber besser gelingt: Der Tonfall bleibt durchgehend leicht. Wenn sie über ihre Suizidgedanken, ihre Diagnose als bipolar und den frühen Tod ihrer Mutter spricht, ist das zugleich Enthüllung, Sensibilisierung und verdammt lustig. Was sie unter „lauten“ Stand-up-Comedians jedoch besonders hervorstechen lässt, ist die handwerklich beachtliche Art, wie sie Pointen abliefert.
Auf Netflix.
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