Diskriminierung im Metaversum: Im Keim ersticken

Das Metaversum existiert zwar noch nicht wirklich, die Skepsis darüber, ob es so inklusiv sein wird, wie die Tech-Branche Glauben macht, ist allerdings jetzt schon groß. Dritter Teil unserer Serie zum Metaversum.

In der Tech-Branche arbeiten mehrheitlich weiße Männer. Das schlägt sich auch im Design virtueller Welten nieder. (CC0 Public Domain/pxhere)

Eine Welt, in der alle Menschen die gleichen Möglichkeiten haben, in der niemand diskriminiert wird, eine Welt ohne Geschlecht, Hautfarbe und Klassenunterschiede: Eine solch utopische Sichtweise des Internets teilen heutzutage wohl nur noch die wenigsten. Doch mit dem zunehmenden Hype um das Web3, auch unter dem Namen Metaversum bekannt (woxx 1670), tauchen sie wieder auf. Glaubt man jenen, die das Konzept zurzeit vermarkten, soll es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein, jede nicht-virtuelle Erfahrung auch in der virtuellen Welt erleben zu können – nur ohne physische Barrieren.

Doch eigentlich sollte es wenig überraschen, dass die Ungleichheitsverhältnisse der analogen Welt sich auch im Metaversum wiederfinden. Das fängt schon beim Zugang zum Metaversum an: Senior*innen, Menschen mit einer Behinderung oder solche mit niedrigem sozioökonomischem Status werden voraussichtlich wenig auf diesen Plattformen vertreten sein. Um dem entgegenzuwirken, müssten die dafür notwendigen Technologien unter anderem behindertengerecht und preiswerter sein.

Von Avataren und Algorithmen

Doch auch die Plattformen selbst sind nicht vor Diskriminierung gefeit. Umstritten ist beispielsweise das individualisierte Zusammenstellen eines Avatars: Unabhängig von den Nutzer*innen können die Avatare die unterschiedlichsten Körperformen, Hautfarben und Geschlechter annehmen. In dem Sinne macht es das Metaversum, wie auch jetzt schon das text- und bildbasierte Internet, möglich, sich für jemand anderes auszugeben und verschiedene Identitäten auszuprobieren. Was für die einen eine Spielerei ist, sehen andere als Mittel, um in digitalen Welten Vielfalt zu fördern. Vereinzelte Studien weisen in der Tat darauf hin, dass das Annehmen einer fremden Identität helfen kann, Voreingenommenheit abzubauen.

Personalisierte Avatare werden jedoch auch kritisch gesehen. Als „digital blackface“ wird es beispielsweise bezeichnet, wenn weiße Nutzer*innen mit einem Schwarzen Avatar auftreten. Die Angst, die mit dem sogenannten „Identitätstourismus“ einhergeht: Wählt ein Mann einen weiblichen Avatar, fördert dies die Objektivierung von Frauen.

Auch Algorithmen sind alles andere als neutral. Stattdessen reproduzieren sie die unbewussten Stereotype derjenigen, die sie entwickeln und nutzen – und das sind vor allem weiße Männer. Das reicht von Werbeanzeigen, die Nutzer*innen aufgrund ihrer Hautfarbe nicht angezeigt wird bis hin zu Gesichtserkennungstechnologien, die Schwarze Frauen schlechter erkennen.

Ein Mittel gegen die systematische Benachteiligung bestimmter Personengruppen durch Algorithmen – im woxx-Artikel „Netzpolitik: Algorithmen mit Vorurteilen“ im Detail erklärt – ist die sogenannte Design Justice. Dem zugrunde liegt die Feststellung, dass Design-Teams meist nicht besonders divers sind. Mehr Frauen, nicht-binäre und nicht-weiße Menschen einstellen, reicht allerdings nicht aus: Sie müssen innerhalb des Unternehmens auch die nötige Unterstützung erfahren und ihre Perspektive einbringen dürfen – Kriterien, denen die IT-Branche zurzeit noch nicht gerecht wird.

Sexismusvorwürfe gibt es zum Beispiel gegen Activision Blizzard, einen Konzern, der maßgeblich zum Aufbau von Microsofts Metaversum beitragen könnte. Im Juli 2021 hatte der US-Bundesstaat Kalifornien Klage gegen den Spielehersteller wegen Diskriminierung und Belästigung weiblicher Angestellter eingereicht. Am Ende desselben Jahres kündigte Co-Chefin Jennifer Oneal mit der Begründung, schlechter bezahlt zu werden als ihr männliches Pendant.

Wie ist es zu bewerten, wenn weiße Nutzer*innen sich Schwarze Avatare anlegen? 
Die Meinungen dazu gehen auseinander. (basadev4/pixabay.com)

Stalken, mobben und begrapschen

Diskriminierungspotenzial geht auch von den Nutzer*innen selbst aus. Wenig überraschend sind in sozialen Netzwerken und Multiplayer-Videospielen gängige Diskriminierungsformen auch im Metaversum anzutreffen. So berichteten in den vergangenen Monaten immer wieder Frauen davon, im Metaversum Opfer sexualisierter Gewalt geworden zu sein. In virtuellen Multi-User-Räumen können Avatare nicht nur miteinander kommunizieren, streiten oder Sex haben: Sie können sich auch gegenseitig stalken, mobben oder begrapschen.

Dass diese Übergriffe in einem virtuellen Raum stattfinden, macht sie nicht weniger verwerflich. Einerseits ist das Metaversum kein rechtsfreier Raum, andererseits kann virtuelle Gewalt durchaus Auswirkungen auf den Menschen hinter dem Avatar haben. In ihrer Studie „My avatar, my self: Virtual harm and attachment“ beispielsweise vergleicht die australische Philosophin Jessica Wolfendale „avatar attachment“ mit Bindungen zu Besitztümern, Personen und Gemeinschaften: „Avatar attachment is expressive of identity and self-conception and should therefore be accorded the moral significance we give to real-life attachments that play a similar role“. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass die Problematik sich verstärkt, je lebensechter und immersiver virtuelle Räume sind.

Manche Firmen haben auf die sexuellen Übergriffe bereits mit entsprechenden Maßnahmen reagiert. Meta Horizons, eine kollaborative Plattform, die nur mittels VR-Brillen zugänglich ist, verfügt beispielsweise mittlerweile über eine „personal boundary“-Funktion. Zu Avataren, die sich nicht auf der eigenen Freund*innen-Liste befinden, besteht standardmäßig ein Mindestabstand, den Nutzer*innen je nach Belieben personalisieren können. Auch gibt es auf der Plattform mittlerweile die Möglichkeit, andere Nutzer*innen zu blockieren oder stumm zu schalten. So hilfreich solche Funktionen auch sein mögen: Einerseits verlangen sie Nutzer*innen unbezahlte, zeitaufwändige und emotional anstrengende Moderationsarbeit ab. Anderseits übertragen die Firmen damit die Verantwortung auf die Opfer oder potenziellen Opfer.

Stattdessen wäre es wichtig, dass Firmen-Mitarbeiter*innen bei sexualisierter Gewalt eingreifen und die Autor*innen suspendieren. Zum Beispiel könnten Community Manager (CM) eingesetzt werden, wie es sie zum Teil auch jetzt schon in der Gamingwelt gibt. CMs können Nutzer*innen an Umgangsregeln erinnern und sie bei Bedarf verwarnen oder suspendieren. Zudem können sie eine Vermittlerrolle zwischen Nutzer*innen und Spielehersteller einnehmen.

Gerade bei Meta ist ein solches Durchgreifen zu bezweifeln. Bisher hat sich der Konzern schon alleine bei der Moderation von Kommentaren auf seinen Social-Media-Plattformen Facebook und Instagram überfordert gezeigt. Dabei sind hier, anders als im Metaversum, Hasskommentare schriftlich festgehalten. Es ist fragwürdig, dass Meta deutlich mehr Ressourcen in den Schutz der Horizon-Nutzer*innen investieren wird, wenn er dazu nicht rechtlich verpflichtet ist. Denn auch CMs erfordern eine bestimmte Investition. Werden sie schlecht ausgebildet und bezahlt, und erhalten bei Hasskommentaren und Angriffen durch Nutzer*innen keine Unterstützung von ihrem Arbeitgeber, kann ein CM nur wenig bewirken.

Letztendlich braucht man sich keine Illusionen zu machen: Konzerne wie Meta werden bei der Gestaltung ihres Metaversums an vorderster Stelle ihre finanziellen Interessen berücksichtigen. Manche Expert*innen fordern deshalb eine stärkere Regulierung der Tech-Riesen einerseits und ein dezentralisiertes Metaversum andererseits. Wie eine solche Dezentralisierung aussehen könnte und welche Implikationen sie mit sich bringt, erörtern wir im nächsten Teil dieser Reihe.

Unter Metaversum wird gemeinhin eine immersive virtuelle Welt verstanden, in welcher Menschen in Form von Avataren miteinander kommunizieren, spielen, arbeiten und handeln können. Nachdem die woxx im Februar „Metaversum: Auf in bessere Zeiten?“ und „Facebook und das Metaversum: Slippery Slope“ veröffentlicht hat, ist dies nun der dritte Artikel unserer Metaversum-Serie.


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