Verkehrspolitik: Bitte alle langsamer!

Obwohl es mehr als genug Gründe für ein allgemeines Tempo 30 innerorts gäbe, wird Verkehrsberuhigung bloß als Sondermaßnahme gesehen.

Foto: pelsop/pixabay

Weniger Luftschadstoffe, weniger Lärm, weniger Unfälle und mehr Sicherheit für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen – die Vorteile von verkehrsberuhigten Straßen in Ortschaften überwiegen ganz klar. In Spanien ist Tempo 30 seit Mitte Mai auf den meisten Straßen die Regel, in Brüssel ebenfalls. In Luxemburg hingegen kann sich niemand zu dieser einfachen und dennoch wirksamen Maßnahme durchringen.

Das geht aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von Cécile Hemmen und Francine Closener (LSAP) hervor. Der Mobilitätsminister François Bausch (Déi Gréng) wurde gefragt, wie viele Anfragen von Gemeinden es gab, Staatsstraßen zu 30er-Zonen zu machen. Seit 2015 gab es davon rund 80 – also lediglich etwa ein Dutzend pro Jahr, von denen bisher jedoch nur die Hälfte bewilligt wurde. Während in den Straßenbauabteilungen der Gemeinden und im Ministerium also im Schneckentempo gearbeitet wird, darf auf den Straßen weiter Gas gegeben werden.

Woran liegt das? Mit einem neuen Temposchild und etwas Farbe ist es nicht getan. Damit Autofahrer*innen sich an das neue Limit halten, müssen auch bauliche Maßnahmen getroffen werden. Das können zum Beispiel Verengungen oder Bremsschwellen sein. Im besten Fall wird die Aufteilung des gesamten Straßenraums neu gedacht und mehr Platz für aktive Mobilität geschaffen. Das jedoch kostet nicht nur politisches Kapital, sondern auch Geld.

Zahlen müssen das die Gemeinden. Kein Wunder also, dass sich die Begeisterung für 30er-Zonen dort in Grenzen hält. Wenn die Verkehrsberuhigung Staatsstraßen betrifft, ist außerdem gar nicht sicher, ob es hierfür eine Genehmigung gibt – 16 Anfragen hat das Mobilitätsministerium in den letzten Jahren nicht bewilligt. Bei der Begutachtung solcher Projekte wird, laut Bauschs Antwort, darauf geschaut, ob bereits viel Fuß- oder Radverkehr besteht.

Mit dieser Betrachtungsweise degradiert sich die Verkehrspolitik jedoch selbst. Statt eine – angesichts der Klimakrise dringend notwendige – lenkende Haltung einzunehmen, wird lediglich der Status Quo verwaltet. Immerhin, einen kleinen Lichtblick gibt es: Im Klimapakt sind Maßnahmen für die Verkehrsberuhigung vorgesehen, sodass zumindest ein kleiner Anreiz besteht, Tempo 30 einzuführen. Doch sollte man von einem Déi Gréng-geführtem Mobilitätsministerium nicht erwarten können, dass es ermunternd an die Gemeinden herantritt?

Die Verkehrspolitik degradiert sich selbst zur Verwalterin des Status Quo.

Wie überall im Kampf gegen den Klimawandel stellt sich das Gefühl ein, die Politik suche vor allem nach Ausreden, weshalb man Maßnahmen (noch) nicht umsetzen könne, statt gleich mit dem bitter nötigen Wandel zu beginnen. Es reicht nicht, wenn in ein paar Modellvierteln von einigen wenigen Besserverdienenden das autofreie Leben geprobt werden kann – das ganze Land muss weniger Auto fahren. Die Einführung niedriger Tempolimits bei gleichzeitigem Ausbau der aktiven Mobilität wären ein wichtiger Schritt hierzu.

Woher die Zögerlichkeit kommt, nicht stärker für Verkehrsberuhigung zu werben – oder diese gar einfach gesetzlich festzuschreiben – ist unverständlich. Die Vorteile von leisen Straßen und sauberer Luft liegen auf der Hand, ebenso wie die Tatsache, dass bei Tempo 30 weniger und weniger schwere Unfälle passieren. Auch gegen die Angst, man verlöre bei der langsameren Geschwindigkeit Zeit, gibt es ein gutes Argument: Die Durchschnittsgeschwindigkeit für Fahrten zur Arbeit innerhalb Luxemburgs liegt laut dem Modu 2.0-Konzept des Mobilitätsministeriums bei 22 Stundenkilometern. Paradoxerweise kämen bei Tempo 30 und den entsprechenden Rahmenbedingungen wohl viele schneller an ihr Ziel.

Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, dass Politik und Gesellschaft durchaus zu beachtlichen Anstrengungen fähig sind, wenn es nötig ist. Dass wir es angesichts der viel bedrohlicheren Klimakrise nicht schaffen, einen vergleichsweise kleinen Schritt zu einem allgemeinen Tempo 30 innerorts zu machen, ist nicht nachvollziehbar und unverantwortlich.


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