Verkehrssicherheit: Langsamer und sicherer

Tödliche Verkehrsunfälle befeuern die Diskussion über Geschwindigkeitsbegrenzungen. Nach langen Jahren der Apathie kommt nun Bewegung in die Diskussion um Tempo 30.

Und wenn das Ende der 
30er-Zone die Ausnahme wäre? 
Im Gemeindewahlkampf sprechen sich manche Parteien genau dafür aus.
 (Foto: PxHere)

Am Morgen des 6. März kam es in Luxemburg-Neudorf zu einem Verkehrsunfall, bei dem drei Menschen starben. Unter ihnen eine Fußgängerin, die gerade die Straße überqueren wollte. Nicht einmal eine Woche später, am 11. März, kollidierte ein Autofahrer auf der Strecke Greisch-Tuntange mit einem Baum. Auch er starb. Bei keinem der beiden Unfälle wurde bisher offiziell eine Ursache bekannt gegeben. Es ist jedoch anzunehmen, dass übermäßige Geschwindigkeit zumindest eine Rolle gespielt hat.

Das ist bei vielen schweren Unfällen in Luxemburg so. Kommt es zu Todesfolge oder zu schweren Verletzungen, ist zu hohe Geschwindigkeit die Hauptursache. 2021 war sie laut Unfallstatistik des Mobilitätsministeriums bei 43 Prozent der tödlichen Unfälle und der angenommene Grund. Bei einem Fünftel der Unfälle mit schweren Verletzungen soll zu schnelles Fahren zum Crash geführt haben. Das nationale Statistikamt hat die Ursachen von 2015 bis 2021 ausgewertet. Auch über einen längeren Zeitraum ist die Tendenz klar: 21 Prozent der schweren oder tödlichen Unfälle ereigneten sich wegen überhöhter oder unangepasster Geschwindigkeit.

Kein Wunder also, dass sich nach dem tödlichen Unfall vom 6. März die Diskussion über strengere Geschwindigkeitsbegrenzungen wieder entfachte. Paul Hammelmann, Präsident der „Securité Routière“, wiederholte im Interview mit Radio 100,7 die Forderung seiner Organisation nach der grundsätzlichen Einführung von Tempo 30 innerhalb von Ortschaften. Eine Forderung, die nicht neu ist und auch in Artikeln und Editorials dieser Zeitung bereits thematisiert wurde.

2008 widmete beispielsweise die Weltgesundheitsorganisation WHO dem Thema „Speed Management“ im Straßenverkehr ein Handbuch. Darin findet sich eine allgemeine Weisheit der Verkehrsplanung: Die Überlebenschance für Fußgänger*innen, die von einem Auto angefahren werden sinkt, je schneller das PKW unterwegs ist. Bei 30 Stundenkilometern sterben ungefähr 15 Prozent, bei Tempo 50 ist die Todesrate über 80 Prozent. Während bei 30 km/h der Bremsweg bei etwa 14 Metern liegt, ist er bei 50 km/h beinahe doppelt so lang. Das liegt auch daran, dass die Reaktionszeit der Autofahrer*innen durch den „Tunnelblick“ bei erhöhter Geschwindigkeit länger ist. Während Fahrer*innen und Passagiere durch immer größere Autos und besser ausgetüftelte Sicherheitstechnik weniger Gefahren ausgesetzt sind, sind Nutzer*innen der sanften Mobilität umso gefährdeter.

Weder Mobilitätsminister François Bausch (Déi Gréng) noch der Mobilitätsschöffe der Stadt Luxemburg, Patrick Goldschmidt (DP), wollten so wirklich über Tempo 30 reden. Goldschmidt betonte im Interview mit RTL, man solle lieber die Geschwindigkeit außerorts drosseln und mit Radaren an Ortseingängen dafür sorgen, dass die Autofahrer*innen abbremsen. Bausch hingegen betonte beim gleichen Sender, dass innerorts Tempo 50 gelte, man aber jederzeit darauf gefasst sein müsse, abbremsen zu müssen.

Verkehrsberuhigung als Gemeindewahlkampfthema

Auf ihrem Kommunalwahlkongress am vergangenen Wochenende verkündete die LSAP, dass sie sich der Forderung nach Tempo 30 innerorts anschließe. Securité Routière-Präsident Hammelmann ist Mitglied in der sozialdemokratischen Partei und scheint sich durchgesetzt zu haben. Am vergangenen Mittwoch bekräftigte die LSAP-Sektion der Hauptstadt ihre Position mit einer Pressemitteilung: „In unserem Wahlprogramm für Luxemburg-Stadt fordern wir, die Stater Sozialisten, eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h in unseren Straßen. Sowohl im Stadtzentrum als auch in den Wohnvierteln.“ Würde diese Forderung umgesetzt, habe das nicht nur einen Effekt auf die Verkehrssicherheit, sondern bedeute auch niedrigere Lärmverschmutzung und weniger CO2-Ausstoss, so die Hauptstadt-LSAP in ihrer Mitteilung. Außerdem würde die sanfte Mobilität dadurch attraktiver.

(Infografik: BY-ND 4.0 VCÖ)

Ähnlich argumentieren auch die Déi Gréng, Déi Lénk und die DP. Die woxx hat bei sämtlichen Luxemburger Parteien nachgefragt, wie sie zu einer allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer innerorts stehen – und welche anderen Maßnahmen zur Verkehrssicherheit sie im kommenden Kommunalwahlkampf vorschlagen werden.

„Nach unserer Vorstellung soll 30 das neue 50 werden, also die Regel mit gekennzeichneten Ausnahmen. Es ist beispielsweise vorstellbar, dass bei breiten Einfallstraßen 50 km/h erlaubt ist, dies aber speziell signalisiert wird. Wir sind daneben auch für eine Reduzierung auf 80 km/h außerorts und 110 km/h auf der Autobahn“, so Marc Keup, Attaché parlamentarischer Mitarbeiter bei Déi Lénk auf unsere Anfrage. Die Abgeordneten der linken Partei hatten im April 2022 einen entsprechenden Antrag im Parlament gestellt, der jedoch von allen anderen Parteien abgelehnt wurde. Keup erinnerte auch an eine Mobilisierungsaktion der hauptstädtischen Sektion zum Thema.

Wird 30 das neue 50?

Déi Gréng verwiesen auf ihr Kommunalwahlprogramm, das – im Gegensatz zu jenen der anderen Parteien – bereits veröffentlicht ist. Dort ist zu lesen, dass Déi Gréng mittels Shared Space, Fahrradstraßen und „Zurückdrängen von unnötigem Durchgangsverkehr“ für Verkehrsberuhigung sorgen wollten. „Zudem untersuchen wir ein flächendeckendes Tempo 30 mit einzelnen, ausgewählten Straßen mit Tempo 50, und setzen auf temporäre, mobile Mittel (z.B. Pflanzenkübel) sowie langfristige bauliche Maßnahmen (z.B. Mittelinseln, Verengungen und Neuordnung von Parkplätzen), um die Einhaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung zu gewährleisten“, ist dort zu lesen. Die Formulierung, die sich zaghaft für flächendeckendes Tempo 30 einsetzt, wurde laut woxx-Informationen erst durch einen Abänderungsantrag und gegen den Willen der Parteileitung ins Gemeindewahlprogramm aufgenommen.

Die DP ist in ihrer Antwort an die woxx der Frage nach der Einführung von einer generellen Tempo-30-Regel innerorts zwar ausgewichen, spricht sich jedoch für die Einführung neuer 30er-Zonen aus, dies „besonders auf sensiblen Stellen wie Wohngebiete und bei Schulen. Um sicherzustellen, dass diese 30er-Zoner auch in der Praxis respektiert werden, will die DP Dialogtafeln – Geschwindigkeitsanzeigen, oft mit mit lächelnden oder weinenden Smilies, aufstellen, Schwellen und Inseln in den Straßen installieren.“ Bei Schulen und Ortseingängen könnten Verkehrsampeln aufgestellt werden, die automatisch auf Rot schalten, wenn man zu schnell fährt, so die liberale Partei.

Auch die Piratepartei will keine einheitliche Regelung: „Wir finden eine Reduzierung auf 30 km/h gut, aber nicht als pauschale Lösung auf nationaler Ebene. Jede Gemeinde soll schauen, an welchen Stellen es Sinn macht, die Lebensqualität und die Sicherheit durch eine Geschwindigkeitsbeschränkung zu erhöhen. Da, wo es als Lösung dienen kann, sind wir auch für die Einführung einer solchen Beschränkung. Technische Hilfsmittel wie Assistenzsysteme in den Autos sind ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht, die Sicherheit im Alltag zu verbessern“, so ein Mitarbeiter der Partei auf die Anfrage der woxx hin.

Die neugegründete Partei Fokus ist nicht begeistert von der Idee, Tempo 30 als Standard einzuführen: „Wir sind gegen allgemeine 30er Zonen. An verschiedenen Stellen, wie um Schulen oder Altersheime können sie Sinn ergeben, aber da ist die Geschwindigkeit auch nur dann zu regeln, wenn die Straßen so gebaut und ausgelegt sind, dass man nicht schneller fahren kann.“, schrieb uns Marc Ruppert, Präsident der neuen Partei. „Mit Farben und Hinweisschildern bekommt man den Verkehr nicht gebremst. Wir fordern daher da, wo es Sinn ergibt: allgemeine Verkehrsberuhigung durch bauliche Maßnahmen wie Verringerung der Straßenbreite, sichere Fahrradwege und mehr Einbahnstraßen, wie das in vielen ausländischen Städten der Fall ist. Außerdem wollen wir weniger Durchgangsverkehr durch Parkmöglichkeiten außerhalb der Stadtkerne.“ Eine Diskussion um ein allgemeines Tempolimit empfinde man als Alibi-Diskussion, die den Fokus von sinnvolleren und nachhaltigeren Maßnahmen nähmen. Keine Antworten auf unsere Anfragen zu einer allgemeinen Tempo-30-Regel erhielten wir von CSV, ADR und KPL.

Foto: Pxhere.com

Auch wenn sich LSAP und Déi Gréng für eine Verallgemeinerung von Tempo 30 innerorts aussprechen, so ist die DP wohl nicht zu überzeugen. Das würde erklären, weshalb das Thema in der nationalen Politik der letzten Jahre keine wirkliche Rolle gespielt hat. Im Koalitionsprogramm von 2018 wurde eine „Vision Zero“-Strategie angekündigt, die null Verkehrstote und null Schwerverletzte zum Ziel haben soll. Im Mai 2019 stellte François Bausch einen dementsprechenden Aktionsplan mit insgesamt elf Tätigkeitsfeldern auf.

Streckenradare und Dialogtafeln

An erster Stelle: Geschwindigkeitsüberschreitungen möglichst eindämmen. Dazu gehören mehr Kontrollen, nicht nur durch mobile Kräfte der Polizei, sondern auch durch fest installierte Geschwindigkeitsradare. Ein solches Element ist seit letztem Mittwoch, dem 15. März aktiv: Die Streckenradare in drei Tunnels auf der A7 sind seitdem „scharf“ gestellt. Wer hier im Durchschnitt schneller als die erlaubten 90 Stundenkilometer fährt, muss mit einem Strafzettel rechnen. Im Tunnel Markusbierg auf der A13 und auf der N11 zwischen Waldhaff und Gonderange existieren bereits seit längerem Streckenradare.

Innerorts gestaltet sich die Kon-
trolle der Geschwindigkeitsbegrenzungen jedoch schwieriger. Polizeiliche Kontrollen sind selten, und wer die „Dialogtafeln“ ignoriert, kommt meist ungeschoren davon – egal, ob Tempo 50 oder 30 gilt. Alle Parteien, die uns geantwortet haben, forderten bauliche Maßnahmen, die das Tempolimit begleiten sollen. Durch Mittelinseln oder Verbreiterung der Gehsteige kann die Straße verengt werden. Das führt nicht nur dazu, dass Autofahrer*innen automatisch langsamer fahren, sondern bietet auch noch Platz für sanfte Mobilität. Je nach politischer Ausrichtung wird diese Neugestaltung des Straßenraums eher als Chance oder notwendiges Übel gesehen. Auch die WHO empfiehlt in ihrem Geschwindigkeitshandbuch, es durch bauliche Maßnahmen in urbanen Gebieten unangenehm zu machen, schneller zu fahren als erlaubt ist.

Zur Straßensicherheit gehört neben einer guten Fahrer*innenausbildung, Kontrollen von Regeln und einer der Maximalgeschwindigkeit angepassten Straßenraumgestaltung aber auch, dass die sich im Verkehr ergebenden Situationen übersichtlich sind. Das „Zentrum fir urban Gerechtegkeet“ stellte im Herbst 2021 fest, dass 475 Zebrastreifen in Luxemburg-Stadt die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung verletzten, weil zu nahe an ihnen geparkt werden kann. Die Stadt Luxemburg bestritt dies zwar, hat aber bis heute keine Dokumente vorgelegt, die das Gegenteil beweisen – obwohl sie vorgibt, solche zu haben. Wenn Verkehrssicherheit weiter zum Wahlkampfthema avanciert, wird die DP-CSV-Koalition ihre Blockadehaltung überdenken müssen.


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