Verschwörungstheorien: Das Schwurbel-Virus

Mobilfunk, Genlabore oder Bill Gates – Verschwörungstheorien rund um den „wahren“ Ursprung von Covid-19 gibt es wie Sand am Meer. Auch in Luxemburg wird fleißig geschwurbelt.

Ein Aluhut schützt weder vor Covid-19, noch vor Verschwörungstheorien. (Foto: CC-BY-SA piratenmensch/flickr)

Am vergangenen Wochenende mussten einige Einwohner*innen Birminghams in der Quarantäne ohne mobiles Internet zurechtkommen. Der Grund für den Ausfall des Mobilfunknetzes war der Brand eines Mastes. Ähnliche Feuer ereigneten sich in Liverpool und Melling. Die Mobilfunkmasten waren angezündet worden, weil Verschwörungstheoretiker*innen einen Zusammenhang zwischen der neuen 5G-Funktechnologie und Covid-19 vermuteten.

Rund um 5G ranken sich schon länger solche Theorien: Würde das neue, schnellere Netzwerk installiert, würden Bäume sterben, Vögel vom Himmel fallen und eigentlich alles Leben zerstört. Nun soll 5G das Coronavirus hinter Covid-19 verstärken oder die Atemwegserkrankung sogar auslösen. Wer dahintersteckt, darüber sind sich auch Verschwörungstheoretiker*innen uneins: Meist sind dunkle Mächte am Werk, die eine neue Weltordnung schaffen wollen. Auch in Luxemburg gibt es Menschen, die solche Theorien aufstellen und verbreiten. Am Werk sind die mehr oder weniger bekannten Schwurbler*innen, die sich bereits vor der Covid-19-Krise durch eine kreative Sicht der Realität hervortaten.

Manche sind dabei besonders eifrig: Die „Partei fir integral Demokratie“ (PID), die vom Ex-ADRler Jean Colombera gegründet und 2018 durch ein Wahlbündnis mit der Piratepartei aus der politischen Bedeutungslosigkeit gehievt wurde, schickte ausgerechnet am 1. April eine Mitteilung an die luxemburgische Presse. Deren Inhalt war jedoch ernst gemeint: Die gesamte Regierung und alle Abgeordneten möchten zurücktreten und nie wieder für ein politisches Amt kandidieren, da Covid-19 lediglich ein „banaler Grippe-Virus mit Lungenerkrankung“ sei und alle Maßnahmen zur Eindämmung damit überzogen. So forderte es der Koordinator der PID, Christian Isekin, in einem Facebook-Post.

Vom Patentamt entlarvt

Auf der Website der PID sind prominent fünf angebliche „Fakten“ zu Covid-19 aufgelistet, die allesamt falsch sind. So soll 2016 ein Patent für das neuartige Coronavirus eingereicht worden sein. In Wahrheit handelt es sich bei dem Patent um ein anderes Coronavirus, das Vögel befällt. Mittlerweile weist das US-Patentamt über dem entsprechenden Eintrag prominent auf die Fake News hin. Die PID behauptet ebenfalls, Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen, die der WHO widersprächen, würden mundtot gemacht, die WHO sei zum größten Teil aus privaten Quellen finanziert – was beides nicht stimmt.

Auch die Statistiken zu Covid-19-Toten seien mit Vorsicht zu genießen. Suggeriert wird, die Zahlen seien gefälscht, da viele der Toten Vorerkrankungen gehabt hätten. Dieser Gedankengang ist auch in vielen Texten und Videos anderer Autor*innen, die Isekin über Facebook und den Chatdienst Telegram verbreitet, zu lesen. Dabei wird immer wieder darauf hingewiesen, dass es ja gar nicht sicher sei, ob die Toten wirklich an Covid-19 oder nicht doch an einer anderen Krankheit gestorben seien und sich „zufällig“ auch mit dem neuartigen Coronavirus infiziert hätten. Diese Sichtweise ignoriert nicht nur medizinische Fakten, sondern soll auch Zweifel an den Eindämmungsmaßnahmen schüren.

Laut in den sozialen Medien ist auch Steve Melmer. Er ist bereits seit Jahren durch Aktivitäten in der rechten Szene Luxemburgs und durch mehrere gescheiterte Parteigründungen („Sozial Demokratesch Vollekspartei“, „Fräi Ökologesch Demokratesch Partei“) aufgefallen. Über sein Facebook-Profil promotet er nicht nur seinen neuen Verein, der auf den Namen „Vereenegung grot Schëld“ hört und neben Ideenschmiede und Instrument „politischer Aufklärung“ eine weitere Partei werden soll. In Videos zitiert Melmer bekannte und – bereits entlarvte – Covid-19-Skeptiker*innen. Auch er zweifelt an den offiziellen Zahlen zur Pandemie und behauptet, infizierte Autounfall-Opfer würden in die Covid-19-Todesstatistiken einfließen. Immer wieder betont Melmer, er mache keine Quellenangaben, weil seine Zuschauer*innen die Fakten selbst recherchieren sollten.

Sci-Fi für bare Münze genommen

Damit benutzt er, bewusst oder unbewusst, die gleichen schiefen Denkmuster wie andere Verschwörungstheoretiker*innen: Jeder Autorität und Expertise ist zu misstrauen und „Recherche“ besteht aus einer Mischung aus wildem Googeln und Spekulation. Melmer betreibt auch einen Telegram-Kanal, über den er Videos verbreitet, die angeblich auf anderen Plattformen gelöscht wurden – vermutlich, weil es sich um Verschwörungstheorien handelt.

Auch der bekannte Anwalt Gaston Vogel beteiligt sich an den Spekulationen: In einem Text, der als Scan eines Ausdrucks zirkuliert, legt er nahe, das Virus sei im Virologie-Institut Wuhan genmanipuliert worden. Solche Theorien sind bereits länger im Netz zu finden. Das erklärt sich durch einen Science-Fiction-Roman, in dem dieses Szenario beschrieben wurde und durch den Fakt, dass sich das Institut als Reaktion auf die SARS-Epidemie 2002 und 2003 auf die Erforschung von Coronaviren spezialisiert hat.

Es gibt, wie bei so vielen Verschwörungstheorien, jedoch keine einheitliche Erzählung: Weder über Motiv noch über Urheber*innen sind sich die Autor*innen, die solche Theorien verbreiten, einig. Eine besonders beliebte Theorie ist die Idee, Bill Gates, der Impfkampagnen finanziert, habe das Virus entwickelt und freigesetzt, um die Menschheit zu schädlichen Impfungen zu zwingen. Auch das Rockefeller-Institut wird gerne verdächtigt, da in einem seiner Strategiepapiere von 2010 eine verheerende globale Pandemie als eins von vier spekulativen Zukunftsszenarien beschrieben wurde. Andere Verschwörungstheoretiker*innen wollen mächtige Geheimgesellschaften oder gar Aliens hinter dem Virus erkennen. All diese Theorien eint, dass sie ein zumindest implizites antisemitisches Motiv verbreiten: die große (jüdische) Weltverschwörung.

Foto: Interdimensional Guardians CC BY 2.0

Keine einheitliche Erzählung

In Krisenzeiten haben solche Theorien zwei Funktionen: Sie geben jenen, die daran glauben, ein Gefühl von Individualität und Abgrenzung und ermöglichen ihnen, eine komplexe Situation einzuordnen und für Klarheit zu sorgen. Gerade für Menschen, die bereits vor der Krise verschwörungstheoretischem Denken angehangen sind, ist es wichtig, die Ereignisse in ihr Weltbild einzuordnen. Besonders gut lässt sich das bei den Anhänger*innen von „Qanon“ und „Pizzagate“ beobachten. Diese, vor allem US-amerikanischen Trump-Anhänger*innen sind der festen Überzeugung, jede Aktion des US-Präsidenten wäre ein Feldzug gegen den „Deep State“ und eine satanistische, pädokriminelle Sekte, die aus Prominenten besteht. Die Covid-19-Pandemie ist in ihren Augen lediglich ein Vorwand, um diese Sekte zu entmachten. Der deutschsprachige Sänger Xavier Naidoo hatte in Videos ähnliche Theorien geäußert.

Für Menschen, deren Weltbild nicht gefestigt ist und die sich vor dem Virus oder den staatlichen Maßnahmen fürchten, können Verschwörungstheorien als gefährliche Realitätsflucht dienen. Die wird vom Youtube-Algorithmus noch weiter befeuert, in dem immer abstrusere Theorien gezeigt werden. Die Strategie der luxemburgischen Regierung, viele Informationen scheibchenweise herauszurücken, ist zwar nachvollziehbar – Zahlen sollen gesichert sein und Panik vermieden werden –, befeuert diese Diskurse jedoch teilweise. Das Zentrum fir politesch Bildung hat als Reaktion die Website propaganda.guide veröffentlicht. Mittels eines kurzen Tests soll es möglich sein zu überprüfen, ob eine Information Teil einer Verschwörungstheorie ist. Leider hilft dieser Test nur bedingt – und Hilfen, wie man mit Bekannten oder Familienmitgliedern, die vom Schwurbel-Virus befallen sind, umgehen kann, fehlen zudem komplett.


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