Wackelige Bilanz zu häuslicher Gewalt und Covid-19

Was haben die Mitgliedsstaaten während der Pandemie gegen häusliche Gewalt unternommen? Das European Institute for Gender Equality gibt Antworten und wirft mit einer Studie zu häuslicher Gewalt in der Corona-Krise neue Fragen auf.

CC BY alainalele SA 2.0

Das European Institute for Gender Equality (Eige) veröffentlichte letzte Wochen zwei Berichte zum Einfluss der Pandemie auf häusliche Gewalt gegen Frauen. Einer bezieht sich auf die Opfer, der andere auf die Zeug*innen häuslicher Gewalt.

Der Bericht Access to support services for women victims of intimate partner violence during COVID-19 zeigt Vorgehensweisen einzelner EU-Mitgliedsstaaten auf. So haben Irland, Spanien und Litauen Aktionspläne erstellt, um die häusliche Gewalt durch Intimpartner*innen während der Pandemie anzugehen. In Spanien und Litauen äußert sich das laut Eige durch eine verstärkte Koordination zwischen dem Gesundheitswesen, der Polizei und der Justiz. In spanischen Sensibilisierungskampagnen wird hervorgehoben, dass häusliche Gewalt eine Verletzung der Menschenrechte ist und keine private Angelegenheit. Irland investiert derweil in Unterkünfte und Hotlines für Betroffene, damit die Anlaufstellen ihre Dienstleistungen trotz Heimarbeit verbessern können. Darüber hinaus haben Verfahren wegen häuslicher Gewalt in irischen Gerichtssälen Vorrang und es finden mehr Online-Anhörungen statt.

In Lettland, Estland, Frankreich und der Slowakei wurden Unterkünfte und Hotlines für Gewaltopfer auf legislativer Ebene zu essential services ernannt, damit sie trotz geltender Ausgangsbeschränkungen erreichbar sind. Die estländische Regierung hat die nationalen Gerichte außerdem darin bestärkt, temporäre Wegweisungen gegen die Gewalttäter*innen zu erlassen. Ziel ist es, die Opfer vor Obdachlosigkeit zu schützen.

Andere Mitgliedsstaaten konzentrieren sich nach Eige eher auf marginalisierte Personengruppen. Griechenland, Finnland und Portugal haben sich mit Sensibilisierungskampagnen an Asylbewerber*innen und Migrant*innen gewandt. Andere Länder Eige gibt nicht an, welche gemeint sind richten sich an Roma-Gemeinschaften, LGBTIQ+ Frauen oder Hörgeschädigte.

Das Eige hofft, dass die Erfahrungen während der Pandemie zu einer nachhaltigen Verbesserung der Strukturen für Opfer häuslicher Gewalt führen. Die Krise habe aufgezeigt, wie fragil die entsprechenden Angebote seien: In vielen Staaten fehlt es an Unterkünften und Geldern, um die Opfer zu schützen. In manchen Fällen hätten Opfer notgedrungen in Hotels oder privat finanzierte Airbnbs ziehen müssen. Kein Staat habe einen Notfallplan parat gehabt.

Im Bericht Intimate Partner Violence and Witness Intervention: What are the deciding factors? beschäftigt sich das Institut nicht ausschließlich mit den Mitgliedsstaaten, sondern auch mit den Zeug*innen häuslicher Gewalt. Eige berichtet, dass 20 bis 30 Prozent der Anrufe, die bei Hotlines für Gewaltopfer eingehen, von Zeug*innen getätigt werden. Das Institut hält fest, dass das Bewusstsein für und das Erkennen von häuslicher Gewalt Zeug*innen ermutigt, die Fälle zu melden. Genauso wie das Einverständnis der Opfer und deren Kooperation, die Möglichkeit anonym zu bleiben sowie eine berufliche Meldepflicht.

Die Angst vor den Folgen, wie beispielsweise einer Verschärfung der Konflikte, sowie Misstrauen gegenüber der Autoritäten oder die Annahme, es handele sich bei häuslicher Gewalt um eine Privatangelegenheit, hält Zeug*innen hingegen davon ab, mit der Polizei oder anderen Instanzen in Kontakt zu treten.

Eige schlägt den EU-Mitgliedsstaaten vor, diesen Umständen entgegenzuwirken, indem sie Menschen für jegliche Gewaltform sensibilisieren sowie die Zeug*innen ermutigen sich an Autoritäten zu wenden. Auch Berufstätige, die unter die Meldepflicht fallen, sollten stärker über diese aufgeklärt und bei den Prozeduren unterstützt werden. Das Eige fordert darüber hinaus einen verbesserten Schutz für Zeug*innen und den verständnisvollen, sensibilisierten Umgang der Autoritäten mit den Betroffenen.

Neben der Aufführung der eigenen Berichte, verweist die Eige auf ihrer Website auch auf den Bericht Impact of COVID-19 on domestic violence law enforcement operations and training needs des Cepol National Units: Er enthält weitere Informationen zu häuslicher Gewalt im Zusammenhang mit der Pandemie – unter anderem eine Studie, die Cepol zusammen mit dem Eige, Mitgliedern des Forschungsprojekts zu häuslicher Gewalt Improdova und der European Union Agency for Fundamental Rights (FRA) durchgeführt hat.

21 Mitgliedsstaaten haben sich daran beteiligt. Die Ergebnisse zeigen, dass gleich in mehreren Staaten, darunter auch Luxemburg, die bei der Polizei gemeldeten Fälle häuslicher Gewalt seit Ausbruch der Pandemie nicht gestiegen sind. In Frankreich, Finnland, Deutschland und Lettland wurde hingegen ein Anstieg geschlechtsspezifischer Gewalt vermerkt. In Frankreich richtet sich diese angeblich vor allem gegen Männer. Von welchem Geschlecht diese verübt wird, steht nicht in der Studie. In Portugal und Spanien macht sich verstärkt geschlechtsspezifische Gewalt auf Online-Plattformen und sozialen Netzwerken bemerkbar. Gewalt gegen LGBTIQA+ Menschen taucht in der Studie erstaunlicherweise gar nicht auf.

Die Befunde sind generell mit Vorsicht zu genießen. 91 Prozent der Informationen stammen von der Polizei der jeweiligen Mitgliedsstaaten, der Rest ist auf die Staatsanwaltschaft, Innenministerien und auf Forschungsinstitutionen verteilt. Die Dunkelziffern liegen demnach sicherlich weit höher als die von den Autoritäten vermittelten Angaben. Nicht alle Opfer melden die Vorfälle gleich oder sind sich der Straftat, die ihnen widerfahren ist, bewusst. Umso wichtiger erscheinen die Bemühungen des Eige, für häusliche Gewalt zu sensibilisieren und Opfer wie Zeug*innen darin zu bestärken, sich Hilfe zu holen.


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