Willis Tipps: Mai 2023

Dudelsackinnovation

Brighde Chaimbeul ist eine junge, preisgekrönte Musikerin, die von der Isle of Skye im Nordwesten Schottlands stammt. Sie spielt die schottische Small Pipe, einen Dudelsack mit zwei Bordunpfeifen und dem Chanter, der Melodiepfeife. Es handelt sich hierbei nicht um die mundgeblasene Variante, sondern um die mit einem am Arm befestigten Blasebalg, wie man es auch vom irischen Dudelsack kennt. Nach Chaimbeuls Debut 2019 erschien im letzten Jahr ein Album im Trioformat und jetzt ist ein Soloalbum herausgekommen, bei dem Chaimbeul außerdem das Harmonium spielt und gelegentlich singt. Die Stücke auf Carry Them With Us sind besonders von den tiefen, gleichbleibenden Borduntönen geprägt, auf denen sich die mal sehr elegischen, mal schnelleren, stark in der gälischen Tradition wurzelnden Melodien entfalten. Chaimbeul ist an Innovation interessiert und so verstärken ihr Harmoniumspiel, ein zweiter Dudelsack und vor allem die Unterstützung durch einen experimentellen Saxophonisten den mystischen Klang der Stücke. So entsteht eine ganz außergewöhnliche Form schottischer Musik, die vielstimmig, imposant und orchestral wirkt und bei dem der Bordun an den Klang eines mächtigen, tiefen Orgeltons in einer Kathedrale erinnert. Eine ganz aufregende Neuinterpretation keltischer Musik durch eine hochbegabte, junge Instrumentalistin.

Brighde Chaimbeul – Carry Them With Us – 
tak:til/Glitterbeat


Türk-Rock

Anatolischer Rock ist im Kommen. Das Sextett Altin Gün ist in Amsterdam ansässig und besteht neben niederländischen und britischen Musikern aus zwei türkischen Mitgliedern, darunter die Sängerin Merve Daşdemir. Die Gruppe orientiert sich an der traditionsbasierten anatolischen Rockmusik der 1970er. Auf ihrem vierten Album Aşk hat das Sextett türkische Volkslieder in moderne Musik verwandelt. Sie greifen aber auch auf ein Stück des in der Türkei als Legende verehrten politisch-kritischen Troubadours Aşik Veysel zurück. Ebenso findet sich eine Komposition des linken Musikers Zülfü Livanelli. Die Band spielt in der üblichen Rockbesetzung, legt aber auch großen Wert auf Synthesizerklänge, insbesondere auf den mit Effekten veredelten Baglama-Lauten-Klang. So gelingt ihr der typisch psychedelische Sound, der die junge Musik am Bosporus seit Jahrzehnten charakterisiert. Das ist anatolischer Rock in Bestform. Nach der Istanbulerin Gaye Su Akyol im April in Esch/Alzette, kommt nun Altin Gün am 3.6. zum Usina23 Festival nach Dudelange!

Altin Gün- Aşk – Glitterbeat


Kapverdischer Stilmix

Carmen Souza wurde in Lissabon geboren, hat kapverdische Wurzeln und arbeitet schon seit langer Zeit mit dem Bassisten und Produzenten Theo Pascal zusammen. Auch auf ihrem insgesamt zehnten Album hat Pascal seine Finger im Spiel und ist mit dafür verantwortlich, dass Carmen Souzas Musik einen unüberhörbaren Bezug zum Jazz hat. In enger Zusammenarbeit haben Souza und Pascal einen ganz spezifischen Stil kreiert, der Souza unverwechselbar macht. Im Mittelpunkt steht natürlich die Stimme der Sängerin, die ohne Mühe vom hauchigen Säuseln zur gutturalen Expression wechselt und auch Coverversionen ihren ganz besonderen Stempel aufdrückt. Die aktuelle Scheibe trägt den Titel Interconnectedness und tatsächlich gelingt es hier, Lieder aus unterschiedlichen Kulturen harmonisch miteinander zu verbinden. Es finden sich Blues, Chanson, kapverdischer Funana und auch ein Stück von Nina Simone. Selbst aus Miriam Makebas Welthit „Pata Pata“ macht Carmen Souza ihre ganz eigene, spezielle Version. Ein faszinierend vielschichtiges Album einer hervorragenden Vokalistin.

Carmen Souza – Interconnectedness – Galileo


Authentisch ungarisch

Erdőfű ist ein junges Streichquartett aus Budapest, das fest in der Tradition des Táncház (Tanzhaus) verwurzelt ist, die in den 1970er Jahren – also lange vor dem Zerfall des Ostblocks – in Ungarn entstand. Es waren begeisterte junge Menschen, die die alten, beinahe vergessenen, ländlichen Tänze wiederbelebten. Dieses ungarische Folk-Revival erforderte natürlich auch, dass sich Bands gründeten, die zum Tanz aufspielten. Teils wurde das Material in den Dörfern selbst gesucht, teils bediente man sich der Volksmusiksammlungen von Béla Bartók und Zoltán Kodály. Zwischen 1950 und 1983 machte der Ethnologe Martin György Feldaufnahmen im transsilvanischen Kalotaszegen. Erdőfű hat diese Sammlung durchforstet, 17 Stücke ausgesucht und sie unter modernen Studiobedingungen mit Gästen neu eingespielt. Das hat nichts mit den süßlichen Csárdás-Geigenklängen aus Operetten zu tun; der Strich der Ins-
trumente ist nämlich erdig, rau und oft auch kratzig. Hier ist nichts gekünstelt, sondern es klingt so lebendig wie auf dem Dorffest. Wer authentische ungarische Musik hören will, sollte sich die aktuelle Platte dieser wunderbaren Gruppe nicht entgehen lassen.

Erdőfű – Martin György Kalotaszegen – 
Fonó Budai Zeneház

Transglobal World Music Chart Mai – Top 20

1. Ali Farka Touré · Voyageur · World Circuit [22]
2. Dur-Dur Band Int. · The Berlin Session · Outhere [4]
3. King Ayisoba · Work Hard · Glitterbeat [3]
4. Altın Gün · Aşk · Glitterbeat [5]
5. Kimi Djabaté · Dindin · Cumbancha [1]
6. Moonlight Benjamin · Wayo · Ma Case [7]
7. Driss El Maloumi · Aswat · Contre-Jour / Zig Zag World [14]
8. Mostar Sevdah Reunion · Lady Sings the Balkan Blues · Snail [2]
9. Mara Aranda · Sefarad en el Corazón de Grecia · Mara Aranda [8]
10. Hiram Salsano · Bucolica · Hiram Salsano [-]
11. Gao Hong & Kadialy Kouyate · Terri Kunda · ARC Music [15]
12. Baaba Maal · Being · Marathon Artists [-]
13. Dobrila & Dorian Duo · Dobrila & Dorian Duo 2: Pile Šareno · SJF [-]
14. Bassidi Koné · Kaïra · Remote / Studio Mali [10]
15. Clément Janinet & Adama Sidibé · Sokou ! · Helico Music [35]
16. La Marisoul and Los Texmaniacs · Corazones and Canciones · Smithsonian Folkways Recordings [26]
17. Gaïsha · Ana Aïcha · Zephyrus [-]
18. Taraf Syriana · Taraf Syriana · Lula World [11]
19. Plena Libre · Cuatro Esquinas  · GN Música [-]
20. Naïssam Jalal · Healing Rituals · Les Couleurs du Son [31]

Die TWMC TOP 20/40 bei: http://www.transglobalwmc.com/ und bei Facebook „Mondophon auf Radio ARA“ und www.woxx.lu/author/Klopottek.

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