Willis Tipps: September 2022

Von Toledo nach Persien

Die im südspanischen Toledo lebende Ana Alcaide passt musikalisch in keine Schublade, sondern sie macht sich Klangtraditionen aus verschiedenen Regionen der Erde zu eigen. Die examinierte Biologin stieß während eines Studienaufenthaltes in Schweden auf die Tastenfiedel Nyckelharpa. Als sie sich ganz der Musik zuwandte, machte sie jene zu ihrem Hauptinstrument, mit dem sie ihren Gesang begleitet; zudem spielt sie Keyboard. Auf ihrem 2016 veröffentlichten Album „Leyenda“ finden sich Lieder über Frauen aus verschiedenen Ländern rund um den Globus. Die neue Platte „Ritual“ stellt nun von persischer Dichtung inspirierte Musik in den Mittelpunkt. Dafür hat sie sich mit dem aus Iran stammenden Sänger, Rezitator und Setar-Spieler Reza Shayesteh zusammengetan und ein kleines Ensemble, bestehend aus Ud, Ney-Flöte, Tombak-Trommel, Duduk-Oboe, Cello und Violine, hinzugenommen. In den zwölf Stücken, in denen auch Gedichte der Poetenlegende Rumi verarbeitet werden, bestechen die dichte Atmosphäre und die klangliche Tiefe. Eine hochinteressante Interpretation persischer Musik von einer Künstlerin mit offenen Ohren und großem Einfühlungsvermögen.

Ana Alcaide – Ritual – Ana Alcaide (in verschiedenen Formaten erhältlich bei www.anaalcaide.com)


Kolumbianische Joropo-Perle

Cimarrón ist eine Gruppe aus der Orinoco-Region Kolumbiens, die den dort heimischen Joropo-Stil spielt, der in einer speziellen Form auch in Venezuela existiert und die Band mit beeinflusst. Gegründet wurde die Gruppe im Jahr 2000 von Ana Veydó und Carlos Rojas Hernández. Letzterer verstarb vor zwei Jahren und Ana Veydó beschloss, die Gruppe allein weiterzuführen. Jetzt hat sie das neue Album „La Recia“ (die Starke) veröffentlicht. Die Harfe, die zuvor Carlos Rojas spielte, ist für den Sound der Gruppe wichtig und wird nun von einem anderen Musiker übernommen. Ein weiteres, prägendes, lokales Instrument ist die 4-saitige Bandola Llanera. Der oft verzwickt-scharfe Rhythmus ist erfrischend anders und mitreißend. Darüber schwebt die ganz besondere Stimme Ana Veydós, die in hoher Stimmlage auch energisch shouten kann. Dieses neue Album ist ein abwechslungsreiches, imposant druckvolles Opus geworden, das zum Schluss im schwindelerregend furiosen „Parranda quitapesares con Zapeteo“ mündet. Vorsicht: Suchteffekt!


Cimarrón – La Recia – Ana Veydó (erhältlich bei cpl-musicshop.de und xangomusic.com)


Jajouka wiederentdeckt

Marokko! Der Ur-Rolling-Stone Brian Jones hat dort 1969 – angeblich stark zugedröhnt – den Recorder angestellt und später ließ sich dort der Free-Jazzer Ornette Coleman inspirieren. Es geht in beiden Fällen um das abgelegene Dorf Jajouka im Norden des Landes. Im Jahre 2019 hat der Leiter der „Master Musicians of Jajouka“, Bachir Attar, seine Gruppe dort beim Spielen/Musizieren aufgenommen und jetzt ein Doppelalbum unter dem Titel „Dancing under the Moon“ herausgebracht. In Jajouka ist eine uralte Sufi-Tradition lebendig, die auch einen spezifischen Musikstil hervorgebracht hat. Das Doppel-Album dokumentiert in neun langen Stücken dessen tranceorientierte Stimmung in sehr ursprünglicher Form. Eine starke Trommelsektion legt in vielen Stücken mit oft ungeraden Rhythmen das Fundament für die eindringlichen Melodiebögen, die mit der oboenartigen Ghaita und der Lira-Flöte erzeugt werden. Andere Stücke sind vom Klang der Gimbri-Laute und der Violine geprägt und bisweilen wird auch gesungen. Hier hört man eine ganz alte, hochentwickelte Musikform, die immer wieder fasziniert, wenn sie erdig und ungeglättet daherkommt und dazu, wie auf diesem Album, ganz puristisch eingespielt wurde. Früher wie heute hochspannend und dazu erstklassig aufgenommen.

Master Musicians of Jajouka – Dancing under the Moon – Glitterbeat

September – Top 20

1. Maya Youssef · Finding Home · Seven Gates
2. Vieux Farka Touré · Les Racines · World Circuit / BMG
3. Cimarrón · La Recia · Cimarrón Music
4. Oumou Sangaré · Timbuktu · World Circuit / BMG
5. BKO · Djine Bora · Les Disques Bongo Joe
6. Leyla McCalla · Breaking the Thermometer · Anti-
7. Lass · Bumayé · Chapter Two / Wagram Music
8. Madalitso Band · Musakayike · Les Disques Bongo Joe
9. Minyeshu · Netsa · ARC Music
10. Oriental Brothers International Band · Oku Ngwo Di Ochi · Palenque
11. Ali Doğan Gönültaş · Kiğı / Gexî / Kegui · Ali Doğan Gönültaş
12. Lamia Yared & Ensemble Oraciones · Ottoman splendours / Lumières ottomanes · Analekta
13. V.A. · Wantok Musik Vol. 3 · Wantok Musik
14. Fanfara Station · Boussadia · Garrincha Gogo
15. Päivi Hirvonen · Kallio · Nordic Notes
16. Moktar Gania & Gnawa Soul · Gnawa Soul · MusjoMusic / Nuits d’Afrique
17. Master Musicians of Jajouka, Led by Bachir Attar · Dancing Under the Moon · Glitterbeat
18. Catrin Finch & Seckou Keita · Echo · Bendigedig
19. África Negra · Antologia Vol. 1 · Les Disques Bongo Joe
20. Itzhak Ventura · Aligned · Riverboat / World Music Network

Die TWMC TOP 20/40 bei: http://www.transglobalwmc.com/ und bei Facebook „Mondophon auf Radio ARA“ und www.woxx.lu/author/Klopottek.


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