EU-WAHLEN: Kein großer Anhänger von Barroso

Christophe Hansen ist mit 32 Jahren zwar der jüngste Kandidat auf der CSV-Europa-Liste, als langjähriger Mitarbeiter von Astrid Lulling aber nicht der unerfahrenste was den Brüsseler Alltag anbelangt.

Zur Person:
Christophe Hansen, 32 Jahre, hat ein Masterdiplom in Umweltwissenschaften. Er war sechs Jahre lang persönlicher Mitarbeiter der CSV-EU-Abgeordneten Astrid Lulling. Seit 2011 ist er Mitglied des Gemeinderats von Winseler und arbeitet zur Zeit im Rahmen der Luxemburger EU-Ratspräsidentschaft 2015 als Chargé de mission in den Bereichen Umwelt, Klima und Energie.

woxx: Auf den Wahlflyern und -broschüren liest man kaum etwas davon, das Sie der persönliche Assistent von Astrid Lulling waren. Ist Ihre ehemalige Chefin Ihr Handicap?

Christophe Hansen: Es dürfte kaum jemanden geben, der die Luxemburger und die Brüsseler Politik besser kennt als sie. Sie scheut sich auch nicht, ihre eigene Meinung zu vertreten, und hat Parteivorgaben nicht immer einfach nur als gegeben hingenommen. Sie war nie einfach nur Mitläuferin. Das hat mir an ihr sehr imponiert, insbesondere da ich mich nicht gerne einem Gruppenzwang unterwerfe, wenn ich von einer Sache nicht wirklich überzeugt bin. Astrid Lulling hätte selbst sehr gerne auf der Liste der CSV gestanden, das ist kein Geheimnis. Da es nun aber anders gekommen ist, kann ich sehr gut verstehen, dass sie sich nicht offiziell am Wahlkampf der CSV beteiligen will. Ich kann aber auf ihre volle Unterstützung zählen, sei es in den sozialen Medien, sei es bei diversen öffentlichen Auftritten. Dass ich für Astrid Lulling gearbeitet habe, ist ganz klar ein Vorteil, da ich viel von ihr lernen konnte und viele Leute mich durch meine Arbeit bei ihr kennengelernt haben.

Sie hat doch aber auch sehr polarisiert, insbesondere wenn es um ihre grünen Kollegen im EP ging.

Es hat oft geclasht. Ich denke da besonders an die Agrarkommission, in der Frau Lulling sehr aktiv war. Sie ist für eine Koexistenz der konventionellen Landwirtschaft mit den Biobauern eingetreten. Es wird da noch viel mit Argumenten aus den 1980ern operiert, als tatsächlich Dünger und Spritzmittel unkontrolliert und fast unbeschränkt eingesetzt wurden. Technik und Kon-trollen haben seitdem aber erhebliche Fortschritte gemacht, und auch die konventionelle Landwirtschaft hat sich zu einer Präzisionslandwirtschaft gemausert.

„Die konventionelle Landwirtschaft hat sich zu einer Präzisionslandwirtschaft gemausert.“

Aber wird nicht auch von Ihrer Seite mit alten Vorurteilen operiert – etwa was die Ausbaufähigkeit von Biolandbau anbelangt?

Biobauern und klassische Bauern sind gar nicht so zerstritten. Biolandwirtschaft ist derzeit immer noch eine Nische, weil nicht viele Menschen bereit sind, die höheren Preise zu bezahlen. Aber auch die konventionelle Landwirtschaft hat Fortschritte gemacht. Ich weiß das, denn ich komme aus einem Bauernbetrieb. Es ist bedauerlich, dass hier zwei Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Ich denke da zum Beispiel an eine kürzlich abgehaltene Pressekonferenz über das Bienensterben, bei der mit Zahlen vom vergangenen Jahr operiert wurde. In dem Jahr war die Verlustrate sehr niedrig, aber ich glaube nicht, dass die oft als Verursacher des Bienensterbens genannten Bauern in diesem Jahr weniger Pestizide eingesetzt hatten als in den Jahren zuvor. Es gibt also auch andere Ursachen, die den Bienenbestand beeinflussen – z.B. der milde Winter. Die Hauptursache ist wohl der Milben-Befall, denn die Parasiten schwächen die Widerstandskraft der Völker. Kommen dann noch Pestizide hinzu, sterben weitere Völker ab. Es ist daher nicht in Ordnung, wenn man Pressekonferenzen organisiert ohne die Bienenzüchter mit ins Boot zu nehmen. Die haben ein durchaus gutes Verhältnis zu den Bauern, und der Dialog hat sich in den letzten Jahren ständig verbessert.

Wieso haben Sie, zusammen mit Astrid Lulling, versucht, Biobauern und klassische Landwirtschaft bei den Umweltauflagen gleichzustellen?

Die Behauptung, dass wir die klassische Landwirtschaft bei den Umweltauflagen mit den Biobauern gleichstellen wollten, ist falsch. In der sogenannten ersten Säule der GAP sind 30 Prozent der Zahlungen an die Landwirte an Umweltauflagen – das sogenannte „Greening“ – gebunden. Die Biobauern sind von diesen Auflagen befreit und können zum Beispiel weiterhin Dauergrünland umbrechen. Wir hatten versucht, konventionelle Bauern von diesen Auflagen zu befreien – zumindest auf den Flächen, mit denen sie an Agrar-Umweltprogrammen teilnehmen, die über die zweite Säule der GAP koordiniert werden. Das ist uns nicht gelungen. Die umfangreicheren Zuwendungen, die den Biobauern im Vergleich zu ihren konventionellen Kollegen ausgezahlt werden, verdeutlichen den politischen Willen, mehr Betriebe in diese Richtung zu orientieren. Unser Antrag wollte daran nicht rütteln.

Wie schätzen Sie die Agrarreform, die im Juni letzten Jahres beschlossen wurde, insgesamt ein?

Wir können mit ihr leben. Aber weder die Bauern noch die Verwaltungen sind froh über sie, weil der Verwaltungsaufwand sehr groß sein wird ? obwohl ja eigentlich das Gegenteil erreicht werden sollte. Als positives Element würde ich aber die zusätzliche Unterstützung von Junglandwirten schon in der ersten Säule einschätzen, die auch eine unserer Forderungen war. Die Kommission wollte hier bremsen. Aber das Parlament – hier operierte die EVP einmal mit Unterstützung der Grünen und der Sozialisten – konnte sich durchsetzen.

Die EVP stellte während zwei Mandatsperioden mit Manuel Barroso den Kommissionpräsidenten. Wie ist Ihre Bilanz der letzten zehn Jahre?

Als erstes muss man sagen: Jeder legislative Vorschlag, der das Berlaymont-Gebäude verlässt, hat die Zustimmung des gesamten Kollegiums der Kommissare. Barroso hatte also nicht die alleinige Verantwortung. Persönlich finde ich, dass er nicht stark genug war. Es hat allerdings in den letzten Jahrzehnten eine generelle Tendenz gegeben, Schlüsselpositionen in der EU eher schwach zu besetzen. Das war und ist natürlich den größeren Mitgliedsstaaten genehm, deren Macht dadurch erhalten bleibt. Aber die Barroso-Jahre sind vor allem überschattet durch die Finanzkrise, die 2007 ihren Anfang nahm. Es fällt daher schwer, eine politische Bilanz seiner Amtszeit zu ziehen. Persönlich war ich nie ein großer Anhänger von Barroso.

Ist aber nicht die Untätigkeit am Anfang der Krise und der Umgang mit der Griechenlandkrise das, was von Barroso übrig bleiben wird?

Es gibt nun einmal diese Schizophrenie, mit der Brüssel kritisiert wird, wenn es in einer Sache allzu aktiv wird; nicht weniger Kritik gibt es aber im gegenteiligen Fall, wo es dann heißt, es werde nichts gemacht. Bei der Finanzkrise hat man meines Erachtens zu lange auf ein Feedback aus den großen Mitgliedsstaaten gewartet. Die großen Hauptstädte dominieren die europäische Politik weiterhin. Das ist falsch und erklärt das oft unentschlossene Manövrieren der EU.

„Der Rat und die Kommission sind nicht sonderlich glücklich über die neuen Kompetenzen des Parlaments“

Wieso wurde das Parlament nicht aktiver?

Zum einen galt 2007 noch nicht die „codécision“, wie wir sie seit 2009 kennen. Und selbst danach brauchte die zu der Zeit aktive Politikergeneration, fraktionsübergreifend, lange, um sich an diese neue Rolle zu gewöhnen. Es ist ganz so, wie wenn eine Partei nach langer Zeit in die Opposition gerät – auch da braucht es einige Eingewöhnung. Und es ist auch weiterhin nicht immer klar, wo die Zuständigkeit des Parlaments anfängt beziehungsweise aufhört. Der Rat und die Kommission sind nicht sonderlich glücklich über die neuen Kompetenzen des Parlaments.

Aber ist dieser Verweis auf das Kompetenzgerangel nicht auch ein probates Argument, mit dem die Verantwortung auf andere abgewälzt werden kann?

80 Prozent der in Luxemburg beschlossenen Gesetzesmaßnahmen basieren auf EU-Vorgaben. Aber seit 2009 haben die nationalen Parlamente ein Mitbestimmungsrecht bei deren Zustandekommen. Sie sind aufgerufen, zu den Vorlagen „avis motivés“ oder „avis politiques“ an das EU-Parlament zu richten. Wer früh eingreift, kann noch etwas bewirken. Dabei kann man der Luxemburger Abgeordnetenkammer eigentlich keinen Vorwurf machen, denn sie verfügt in keiner Weise über die finanziellen oder personellen Ressourcen, um diesem Auftrag gerecht zu werden. Die Aufgaben haben zugenommen, aber die Institutionen sind nicht mitgewachsen.

Aber hätte die CSV nicht dazu beitragen können, dass sowohl in Europa wie auch hierzulande dieses Defizit erst gar nicht entsteht?

Natürlich hätten CSV und LSAP diese Sachen früher anstoßen können. Aber gerade in diesen Zeiten ist der Ruf nach mehr Personal ja nicht immer einfach zu vermitteln. Auf EU-Parlamentsebene müsste allein eine ganze Abteilung geschaffen werden, um das Ausufern der „actes délégués“ etwas in den Griff zu bekommen. Die Kommission versucht in zu vielen Bereichen, das Parlament zu umgehen, indem sie Änderungen, die als „non significatif“ eingestuft werden, ohne direkte Mitentscheidung durchsetzt – doch niemand entscheidet darüber, was eine wesentliche Änderung eigentlich ist. Es gibt eindeutige Konstruktionsmängel und zu viel Interpretationsfreiheit.

Es werden immer mehr Stimmen laut, wonach die EU die von ihr selbst einst gesetzten Klimaziele verrät. Teilen Sie diese Kritik?

Das vorliegende Klimaenergie-Paket ist weder heiß noch kalt. Ich sehe es als einen Rückschritt gegenüber dem geltenden Abkommen an, das bis 2020 läuft. Es fehlen konkrete Zielsetzungen, wie zum Beispiel die Bemühung um mehr Energieeffizienz. Hinsichtlich der erneuerbaren Energien wird zwar ein Ziel von 27 Prozent angegeben, doch lediglich als „EU-binding“, als verpflichtender Durchschnittswert für die EU. Wenn das Ziel nicht erreicht wird, ist niemand da, der dafür verantwortlich gemacht werden kann. Aber auch das von Luxemburg selbst gesteckte Ziel von 30 Prozent bis 2030, erscheint mir unter der aktuell geltenden Rechtslage illusorisch zu sein. Leider wurde im Rahmen der von Claude Turmes vorangetriebenen Direktive zur Förderung erneuerbarer Energien die Chance verpasst, einen regelrechten EU-Binnenmarkt für erneuerbare Energien zu schaffen. Bei der Windenergie geraten wir an unsere Grenzen. Unser Potenzial ist einerseits begrenzt, und andererseits stoßen Windparks auf immer größeren Widerstand in der Bevölkerung – wobei mich persönlich solche Windmühlen in meiner Heimatlandschaft kaum stören. Solarenergie rechnet sich wohl wegen der Subsidien, doch auch hier wäre eine Investition etwa in Spanien lohnender. Der Klimawandel ist ein globales Problem. Es ist wichtig, so viel CO2 wie möglich einzusparen. Hier und anderswo.

„Wir sollen unsere Vorreiterrolle im Energiebereich also nicht aufgeben, sondern systemische Fehler beheben.“

Sie haben in Ihren Blog gemeint, je nach Ausgang der Klima-Verhandlungen müsse man 2015 umdenken. Soll Europa seine Vorreiterrolle aufgeben?

Wir müssen bei unseren Methoden umdenken. Etwa beim EU-Emissionshandel (ETS), der nicht funktioniert hat, weil am Anfang zu viele Zertifikate ausgestellt wurden und infolge der Krise die CO2-Produktion weniger stark ausfiel als geplant – mit der Konsequenz, dass der Preis pro Tonne lächerlich gering ist und die Betriebe erst gar nicht dazu angehalten werden, effizient zu arbeiten. Das Einzige, was belohnt wird, ist, im EU-Raum weniger zu produzieren oder gar zu delokalisieren. Hier liegt ein systemischer Fehler vor, von dem wir in Luxemburg – siehe Arcelor – ein Liedchen singen können. Anstatt nun die nächste Welle der Produktionskürzungen durch Marktmanipulationen anzuschieben, sollte man die systemischen Fehler beheben, indem man ausschließlich Performance fördert und Produktionsschwankungen nach unten und nach oben ausgleicht. Die theoretische Gefahr, dass ein solches verbessertes System eventuell über die Emissionsdecke schießen könnte, schätze ich als sehr gering ein und denke auch, dass sie über einen Ausgleichfonds ausgeräumt werden könnte. Dies gäbe der Industrie wieder Planungssicherheit und würde einen permanenten Anreiz zugunsten emmissionsarmer Technologien schaffen. Wir sollen unsere Vorreiterrolle im Energiebereich also nicht aufgeben, sondern systemische Fehler beheben, wenn die anderen Indus-trie-Schwergewichte in der Welt kein Cap&Trade-System für den Ausstoß von Treibhausgasen einführen.

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EU-Wahlen – die woxx mischt mit …

Mit ihrer Serie „Ampelgespräche“ im Vorfeld der Chamberwahlen hat die woxx gleich zwei OutsiderInnen in der Regierung platzieren können. Jetzt versuchen wir  unsere Tentakel auch ums europäische Parlament zu legen. Wir haben in den vergangen Wochen jeweils ein Interview mit einem Kandidaten / einer Kandidatin unserer Wahl veröffentlicht, die nicht unbedingt die TopfavoritInnen ihrer Partei sind. Sie wurden ausschließlich nach ihrem Nutzen für unseren diabolischen Plan ausgewählt.


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