ALEXIS DOS SANTOS: Strangers in the Night

Alexis Dos Santos` Film „Unmade Beds“ für und über junge Leute fehlt es zwar an narrativen Höhepunkten, doch ist seine frische Art durchaus sehenswert.

Auch Bohemians brauchen ihre Frühstücksflocken.

Axl hat ein Problem. Immer wenn er betrunken ist – und das passiert ihm ziemlich regelmäßig – dann vergisst er über Nacht, was ihm am Abend zuvor widerfahren ist. Ironischerweise weiß der 20-jährige Spanier jedoch auf die Matratze genau, in wie vielen Betten er seit Reisebeginn in Madrid geschlafen hat. In 20, um genau zu sein. Jetzt ist er am vermeintlichen Ende des eigentlichen Trips, in London nämlich, und kann sich auf die Suche nach seinem englischen Vater machen. Einen Vater den er nie gekannt hat. Für Kost und Logis (Bett Nummer 21) sorgen Mike und Hannah, zwei lässige Londoner Hipster, die als Squatter leben und nebenbei auch eine Musikkneipe betreiben. Binnen weniger Tage bringen die beiden Axl das Leben in der Boheme näher: Musik, Alkohol und freie Liebe. „I bless you mattress. Please give me good sex, please give me good sleep“, so Mike.

Dann ist da noch die französische Vera, die sich, wie dem Zuschauer angedeutet wird, von ihrem Freund getrennt hat und schwer enttäuscht umher wandelt bis sie sich auf eine eigenartige Geschichte mit einem Jungen einlässt. Keiner der beiden kennt den Namen noch sonst irgendwas des Gegenübers. Der eine entscheidet den Ort und der andere die Zeit des nächs-ten Treffens. Veras Polaroidkamera ist ihre ständige Begleiterin, und hält diese Erfahrung in Bilder fest.

Aber was verbindet Axl und Vera miteinander? Beide wohnen in dem gleichen Squat, ohne dass der eine von der Existenz des anderen weiß. In gewisser Weise wird es bis zum Filmende so bleiben, irgendwie aber doch nicht.

Wenn man diese Inhaltsangabe liest – Spanier, London, Französin – denkt man, nicht ohne Grund, an Cédric Klapischs „L’Auberge espagnole“. Auch dort geht es um junge Menschen und um ihren Umgang untereinander. Doch Alexis Dos Santos` zweiter Spielfilm „Unmade Beds“ findet seinen Reiz nicht in den unzähligen Situationen, die durch die kulturellen Unterschiede der verschiedenen Charaktere entstehen. Eher geht es darum, wie sich zwei verlorene Seelen in und gerade mit ihrer Umgebung zurechtfinden. Axl und Vera werden von nichts verschont. Der spanische Träumer muss sich früher oder später die Fragen stellen, ob er seinen Vater wirklich kennenlernen will und ob er sich nun zu Mädchen oder doch vielleicht zu Jungen hingezogen fühlt. Vera dagegen muss für sich herausfinden ob das Spiel mit dem ihr eigentlich unbekannten Jungen es wert ist. Der ultimative Selbstfindungstrip.

Kommt Ihnen das ganze bekannt vor? Jugendliche in Identitätskrisen sind eines der abgelutschtesten Themen für Drehbücher. Es ist dem Regisseur hoch anzurechnen, dass dieser Film ziemlich frisch daherkommt. Mal lässt er seinem Schauspielerensemble viel Freiheit zum Improvisieren, mal nimmt er eine fast schon voyeuristische Position ein, so wie bei den einzelnen Intimszenen.

Kleinere Rythmusstörungen und anfängliches Einfühlungsvermögen in Axls Person lassen sich damit erklären, dass man „Unmade Beds“ eher als ein Fragment aus dem Leben zweier Menschen verstehen soll – nicht als geschlossene Geschichte. Einen klassischen narrativen Höhepunkt sucht man vergebens, was keineswegs negativ zu verstehen ist. Besonders hervorzuheben ist Déborah François, die wir in „L’enfant“ der Gebrüder Dardennes entdecken konnten und die außerdem in der luxemburgischen Koproduktion „Les fourmis rouges“ zu sehen war. Von ihrer Vera geht eine Natürlichkeit aus, man würde sie am liebsten selbst in den Armen halten.

„Unmade Beds“ ist also ein im positiven Sinne netter Film, der sich vor allem an Betroffene, heißt 20-Jährige, richtet oder an jene Älteren, die sich an vergangene Zeiten erinnern wollen.

„Unmade Beds – London Nights?, im Utopia.


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