BETTELN: Opfer der politischen Ausgrenzungspolitik

von | 30.09.2011

Drei Wochen vor den Wahlen will der Schöffenrat gegen das Betteln vorgehen – und zwar mittels repressiver Maßnahmen.

Anfang der Woche wurde ein Mann aus Osteuropa, der still um Almosen bettelte, von zwei Polizisten aufgefordert, sich zu entfernen. Aber Bettelei ist seit August 2008 kein Straftatbestand mehr und ist somit erlaubt. Eigentlich sieht das Polizeireglement ein Eingreifen der Ordnungshüter nur für den Fall vor, wenn jemand Passanten belästigt. Die Organisation Chachipe, die sich für die Rechte der Roma einsetzt, kritisiert, dass die Betroffenen letztlich der Polizei ausgeliefert sind, was die Möglichkeit des Missbrauchs eröffnet: So wurden in Luxemburg Betroffene während Stunden in Polizeibüros festgehalten und mussten Ganzkörperuntersuchungen über sich ergehen lassen. Ihr Bettel-Erlös wurde beschlagnahmt, obwohl er nicht aus einer illegalen Aktivität stammte.

Dass die Diskussion um die rechtliche Bewertung der Bettelei längst nicht abgeschlossen ist, hat auch der Schöffenrat bewiesen: Drei Wochen vor den Gemeindewahlen forderten die Verantwortlichen eine striktere Gesetzgebung gegen die Bettelei. Bürgermeister Paul Helminger verwies explizit auf den organisierten Charakter der Bettelaktivitäten.

Gemeint waren Roma und Sinti – die zur größten Minderheit Europas gehören, und offenbar der Mehrheit größten Schrecken darstellen. Dabei sind die Roma überall in Europa alltäglicher und teilweise staatlich institutionalisierter Diskriminierung ausgesetzt: Die Kinder von Roma werden in separate Klassen gesteckt, um ihre Wohnviertel werden Mauern errichtet. In vielen Ländern werden Roma von Rechtsextremisten oder selbsternannten Ordnungshütern drangsaliert. Die Behörden schauen fast überall tatenlos zu, Gewalttaten gegen Roma werden von Polizei und Gerichten zum Teil schlichtweg nicht verfolgt. Hierzu trägt auch der gegen diese Minderheit gerichtete Rassismus bei, der vielerorts als gesellschaftsfähig gilt. Zudem stehen die Roma am untersten Rand der Gesellschaft, haben keine Lobby und sind politisch schlecht organisiert. In Osteuropa hat ihre Perspektivlosigkeit dazu geführt, dass Zehntausende in den Westen gegangen sind.

„Die Armut und die Prekarität ihrer Lebensumstände verhindern die Einschulung der Kinder und fördern Abhängigkeitsverhältnisse“, moniert die Organisation Chachipe. Statt aber die Anwesenheit der Roma jenseits der Grenze zu beklagen, wäre es besser, wenn sich die politisch Verantwortlichen in Luxemburg Gedanken über die hundertjährige Praxis des verweigerten Stadt- und Ansiedlungsrechtes der Roma machen würden, fordert Chachipe. Wie die „Ligue des Droits de l’Homme“ kritisiert sie die repressive Herangehensweise des Schöffenrats: Die Lösung liegt nicht in der Kriminalisierung der Bettler, die zum Teil Opfer sind und eher Anspruch auf Schutz gemäß dem Gesetz gegen den Menschenhandel hätten.

Statt Gesetze ist eine kohärente gesamteuropäische Strategie gefordert, um den Roma aus ihrer Perspektivlosigkeit zu helfen, den Zugang zu Rechten zu ermöglichen und Diskriminierungen zu ächten.

Betteln ist ein uraltes Phänomen. Seit jeher waren Veränderungen der Gesellschaftsstruktur, Krisen und Hungersnöte seine Ursachen. Seit dem Beginn der Neuzeit wird das Betteln zunehmend als ethisch zu missbilligendes und sogar rechtlich unzulässiges Verhalten angesehen und das Vorgehen gegen das Übel vor allem wirtschaftspolitisch legitimiert. Gerade in der heutigen Gesellschaft – dem Kapitalismus und seiner rigiden Arbeitsmoral sei`s geklagt – haben Außenseiter keinen leichten Stand. Bettlern wird vorgehalten: Wer wirklich arbeiten will, der findet auch Arbeit, und dank des Sozialsystems muss niemand hungern oder unter freiem Himmel schlafen. Es geht jedoch beim Betteln nicht nur um ein soziales Problem. Es geht auch darum, ob eine Mehrheit der Bevölkerung das Recht hat, das Verhalten von Minderheiten im öffentlichen Raum zu bestimmen. Ob Bettler oder Personen, die durch alle Netze gefallen sind – Menschen in Notlagen sollten keinem moralischen Verdikt ausgesetzt sein. Immerhin ist die freie Gestaltung der Lebensführung, auf das sich unsere Gesellschaft so gerne beruft, ein Menschenrecht – oder nicht?

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