FILM-BOYKOTT: Das Werk eines Fanatikers

Mel Gibson verfilmt Jesus. Die woxx hat ihn nicht gesehen. Und trotzdem findet sie den Streifen abscheulich.

Täglich sieben Stunden Maske ließ der ebenso fanatische Jesus-Darsteller Jim Caveziel über sich ergehen, bis er am Ende aussah wie ein rohes Stück Fleisch: „Durch seine Wunden sind wir gerettet.“

„Es ist, wie es war“, soll Johannes Paul II. nach einer Privatvorführung des Films „The Passion of the Christ“ gesagt haben. Dass der Papst nicht mehr voll zurechnungsfähig ist, sollte man ihm angesichts seiner fortgeschrittenen Parkinson-Erkrankung nicht allzu übel nehmen. Seine Pressestelle dementierte auch sogleich – was nur zeigt: Selbst im Vatikan nehmen sie es mit der
Unfehlbarkeit nicht mehr so ganz genau.

Damit ist der Vatikan vielen Christen, insbesondere in den USA, einen großen Schritt voraus. In der neuen Welt gibt es nicht nur religiöse Fanatiker, die neben Worten des Papstes auch ihre eigenen Taten auf die goldene Waage legen. Hollywood-Star Mel Gibson ist einer von ihnen. In seinem aktuellen Streifen „The Passion of the Christ“ behauptet der Gewaltfetischist, der Heilige Geist höchstpersönlich habe ihm „bei der Regie die Hand geführt“. Damit reiht er sich selbst ein in die Riege der Evangelisten und ernennt sich zum Erleuchteten.

Sein Hochmut ist nicht das eigentlich Anstößige an ihm und seinem jüngsten Werk. Auch nicht, dass viele FilmkritikerInnen genug Gründe aufführen, sich diesen Streifen nicht anzutun: bluttriefende Gewaltorgien, das Leiden Jesu als albtraumhafte Bilderfolge, bei der auch hart gesottene Zuschauer benommen aus dem Kino taumeln, zerfetzte Haut, Blut, Blut und noch mehr Blut. Schlechte Schauspieler, miserable Regie, mangelnde Tiefe und unglaubwürdige Splatter-Szenen rechtfertigen noch lange keinen Filmboykott. Um zum Boykott aufzurufen, muss man den Film nicht gesehen haben – sollte man gar nicht, denn dann wäre es kein Boykott. Filme sollten geächtet werden, wenn sie beim Zuschauer mehr auslösen, als die übliche Wut oder Enttäuschung über einen versauten Kinoabend. Nämlich dann, wenn sie Menschengruppen verunglimpfen, ein ganzes „Volk verhetzen“.

„The Passion“ ist der Propaganda-Film eines Fanatikers. Ein „persönliches Bekenntnis“ wie Gibson selbst von seinem Film spricht. Und es ist eine Obsession. Eine Obsession für die Darstellung von Schmerzen. Nur wer den Zuschauer „über eine gewisse Grenze hinaus“ erschüttere, könne „die enorme Größe des Opfers“ Christi begreiflich machen, hatte er kürzlich in einem Interview gesagt. Etwa 30 Millionen Dollar seines Vermögens investierte Gibson in seine „Passion“, was er wiederum an zwei Tagen wieder einspielte. Beim Marketing suchte er die Unterstützung christlicher Gruppen, und er bekam sie. Christliche Sekten-Mitglieder strömten zu Tausenden in die Kinos und mieteten ganze Säle. So scheuten Anhänger „Bibeltreuer Christen“ auch in Luxemburg nicht davor, im Zug entsprechende Flyer zu verteilen. Gibson selbst nahm an vielen christlichen Massenveranstaltungen teil und wurde von den Zuschauern so enthusiastisch gefeiert, als wäre er der Messias selbst. Hollywoods Gewaltorgien, die von denselben Fundamentalisten stets angeprangert wurden, stehen nun im Dienst der religiösen Sache. Als Mad-Max-Gibson seinen Film dem Weißen Haus vorführte, wurden kritische Journalisten ausgesperrt.

Vor allem aber ist da der Antisemitismus. Jüdische Organisationen werfen dem Film Judenhass vor, weil er die Juden als dumpfe Menge zeigt, die den Tod Jesu zu verantworten haben. Wenn selbst katholische und evangelische Theologen Gibsons Passionsspiel einen fahrlässigen Antijudaismus bescheinen, dann muss da was dran sein. Bezieht man den Umstand hinzu, dass Gibsons Vater vor dem Kinostart Zweifel am Holocaust hegte und sowohl Vater als auch Sohn zu einer ultrakatholischen Sekte gehören, welche die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils ablehnt, dann lässt sich nur erahnen, wie sie es mit „den Juden“ tatsächlich meinen. Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil galten die Juden bei den Katholiken als „Gottesmörder“. Unter anderem daraus speiste sich über 19 Jahrhunderte der christliche Antisemitismus. Spiegel-Autor Henryk Broder hat es ganz trefflich beschrieben: „Fassungslos müssen Juden über sich ertragen lassen, dass sie noch immer für einen Mord zur Rechenschaft gezogen werden, der vor fast 2.000 Jahren geschehen sein soll, während andere Völker nach nur 60 Jahren von einem millionenfachen Mord nichts mehr wissen wollen.“ Und wenn dann auch noch wenige Wochen nach dem Kinostart ein Viertel der befragten US-Amerikaner in einer Umfrage die Juden für die Kreuzigung verantwortlich machen, spätestens dann ist klar, was ein solcher Propaganda-Streifen politisch auslöst.

Er vermittelt eine Botschaft, die kulturpolitisch einen neuen Trend zu setzen droht: der zum christlichen Neokonservatismus. Schon malen auch andere Filme wie „The Missing“ Schwarz-Weiß-Bilder an die Wand, die als längst überwunden gelten. Der US-Amerikaner Leon Wieseltier wirft den reaktionären Filmemachern vor, den „intellektuellen Tiefpunkt des amerikanischen Konservatismus“ zu markieren. Und in der Tat: Eine weitere Dosis eines todestrunkenen religiösen Fanatismus ist das letzte, was die Welt in Zeiten des wechselseitigen Terrors braucht. Nehmen wir die Zuschauer in Sydney zum Vorbild, die zu gut einem Drittel den Saal verließen – oder besser noch: Gehen wir doch gar nicht erst hinein.


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