Zwei blinde Mädchen träumen vom Popstarruhm. „Die Blindgänger“ ist ein poetischer, aber nicht durchgehend gelungener Jugendfilm.
KINO
Die Zusammenfassung im Programmheft klingt eigentlich gar nicht gut: Als KinogängerIn stellt man sich auf eine Mischung aus „Deutschland sucht den Superstar“ und Betroffenheitsdrama ein. Aber gleich die ersten Szenen von Bernd Sahlings Debütfilm überraschen positiv und erinnern an Caroline Links „Jenseits der Stille“.
Marie (ausgezeichnet gespielt von Ricarda Ramünke) marschiert zielstrebig durch den Schnee. Ihren Blindenstock benutzt sie eher als Spielzeug denn als Stütze. Gemeinsam mit anderen Sehbehinderten lebt sie in einem Internat, nur ist das ehemalige Kloster für die Dreizehnjährige gleichzeitig das Zuhause. Ihre Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen, Marie verlor dabei ihr Augenlicht. Nicht mitleidheischend, sondern realitätsnah wird die Entwicklung des Mädchens geschildert.
Anfangs begeistert „Die Blindgänger“ vor allem durch die sensible Darstellung der kleinen Unterschiede zwischen der Welt der Sehenden und der Blinden: Fernsehabend mit der Gruppe, Essen in der Kantine, Unterricht. Der Regisseur beweist viel Fingerspitzengefühl, die schlichten und verträumten Bilder schaffen eine ganz eigene Atmosphäre.
Der Film beginnt aber leider dann zu schwächeln, wenn die eigentliche Geschichte ihren Lauf nimmt. Marie und ihre beste Freundin wollen eine Band gründen, erste unbeholfene Gehversuche scheitern. Als sich Marie in den vermeintlichen Autodieb Herbert verliebt und ihn im Internat versteckt, haben die Mädchen ein Motiv ihre Träume wirklich wahr zu machen: Bei einem Songwettbewerb eines lokalen Fernsehsenders gibt es 1.000 Euro Preisgeld für den besten Song einer Schülerband zu gewinnen. Dieses Geld braucht Herbert, um in seine Heimat Kasachstan zurückkehren zu können. Mit Hilfe des fast schon zu netten Erziehers, Herr Karl (Dominik Horwitz), drehen die „Blindgänger“ einen Videoclip, mit dem sie natürlich den ersten Platz machen. Diese wohlbekannte Story erzählt der Film mit erfrischend bescheidenen Mitteln. Wirklich abkaufen möchte man sie trotzdem nicht – dafür ist sie in ihren Einzelheiten zu unglaubwürdig und unrealistisch.
Die Stimmung, die sorgfältigen Dialoge und die durchgehend überzeugenden Schauspielleistungen rücken „Die Blindgänger“ in die Nähe von „Jenseits der Stille“. Zwischen dem präzisen Anfang und dem berührenden Schluss wird vor allem das jüngere Publikum an manchem Durchhänger zu knabbern haben. Die zahlreichen poetischen Momente werden getrübt durch eine stellenweise behäbige Erzählweise und eine Flut von Handlungssträngen, die von der
eigentlichen Geschichte ablenken.
Regisseur Bernd Sahling hat bereits Erfahrung mit dem Thema Sehbehinderung. Fast 18 Jahre lang begleitete er die blinde Tochter eines Freundes mit seiner Kamera. Seine Dokumentationen wurden vom ZDF im Rahmen der Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ ausgestrahlt. Die Fiktion dient ihm bei „Die Blindgänger“ als Mittel, um ein modernes Märchen zu erzählen, macht seinen Film aber auch oftmals unnötig kompliziert.
Die Natürlichkeit von „Die Blindgänger“ macht zwar Mut und wirkt erfrischend in einer Zeit von Pophysterie und Zickenkrieg-Castings. Kinder und Jugendliche, an die sich der Film in erster Linie richtet, könnten angesichts des zeitweise sehr schleppenden Tempos aber schnell abschalten.