In Wim Wenders „Don’t Come Knocking“ sehnt sich ein ergrauter Westernstar nach einem Leben jenseits von Sex, Drugs and Rock’n’Roll.
Vor einer anständigen Midlife Crisis ist wohl kein echter Kerl gefeit. Aber während der durchschnittliche Mittvierziger sich die Haare färbt und Sportwagen kauft, wirkt sich die Krise beim waschechten Westernhelden, der Realität und Mythos kaum noch trennen kann, anders aus: Er bereut sein oberflächliches Leben und sehnt sich nach Familienglück.
Zur letztgenannten Kategorie gehört Howard Spence, die Hauptfigur in Wim Wenders‘ neuem Film „Don’t Come Knocking“. Als der Westernstar von der Leere seines auf Sex und Drogenexzesse reduzierten Daseins endgültig genug hat, gibt er seinem Filmgaul die Sporen und flüchtet vom Set. Auf der Reise zu den Schauplätzen seiner Vergangenheit erfährt er, dass vor über zwanzig Jahren eine Kellnerin von ihm schwanger wurde. In der Hoffnung, in seinem Leben mehr produziert zu haben als ein paar Schlagzeilen in der Skandalpresse, macht er sich auf die Suche nach seinem Sohn.
Howard Spence erinnert in mancher Hinsicht an die schweigsamen und entfremdeten Männerfiguren aus Wim Wenders frühen, noch in schwarzweiß gedrehten Roadmovies. Doch während damals introvertierte junge Männer vor einer ungewissen Zukunft zurückschreckten, ist es jetzt die Vergangenheit die dem einsamen Helden zu schaffen macht. Der Grund für den Perspektivenwechsel liegt auf der Hand – Wenders ist selbst nicht mehr der Jüngste.
Inwiefern autobiographische Elemente in „Don’t Come Knocking“ einfließen, ist nicht leicht auszumachen. Womöglich ist Wim Wenders trotz Starstatus doch eher ein Familienmensch. Wie sonst, wenn nicht als Ausdruck unausgelebter Männerphantasien, ließe sich auch folgende Szene erklären: Nach einer, ausgesprochen wilden Nacht erwacht Spence inmitten eines Knäuels hübscher Frauenkörper. Anstatt routiniert sein Machoglück zu genießen scheucht er die armen Häschen auf und wirft sie hinaus. Allein in seinem Bett, fasst er sich an den Kopf und jammert über die eigene Verdorbenheit.
Zum Glück versucht Wim Wenders kein psychologisches Portrait seiner Hauptfigur zu zeichnen, was im Übrigen auch noch nicht zu seinen Stärken zählt. Es sind eher die trashigen und skurrilen Szenen, in denen Wenders glänzt. Etwa wenn die herrlich schlampige Freundin des Sohnes zu den selbst gebastelten Songs ihres Lovers wie in Trance auf dem Sofa hüpft.
Mit filmgeschichtlichen Verweisen und Selbstzitaten geht der Altmeister großzügig um. Geschickt nutzt er die Codes des Western als Vorgaben, um mit den Mythen des Genres aufzuräumen: Mit dem einsamen Cowboy, der durch wortkarges und breitbeiniges Auftreten seine innere Leere zu kaschieren sucht, geht der Regisseur hart ins Gericht. Und auch der American Dream, der bereits in Land of Plenty (2004) alptraumhafte Züge annahm, bleibt nicht unversehrt.
Mancher Feuilletonist begrüßt „Don’t Come Knocking“ – so wie bereits Jim Jarmuschs „Broken Flowers“ – jedoch in erster Linie als spätes Mea Culpa der 68er-Generation, der zurzeit vom Bevölkerungsrückgang bis zur Internetpornographie so ziemlich alles angekreidet wird, was Kulturkonservative nachts nicht schlafen lässt. Endlich müssten die Althippies einsehen, so die Diagnose, in welche existenziellen Sackgassen der Hedonismus führt und wie viel Leid sie ihren Nächsten durch ihre narzisstische Sucht nach Selbstfindung zumuten. Doch selbst wenn diese Deutung Wenders Intention entspricht, bleibt als Fazit: netter Versuch. So leicht lassen wir uns Sex, Drugs and Rock’n’Roll nicht schlecht reden.