LARS VON TRIER: Manderlay

In „Manderlay“, dem zweiten Teil seiner Amerika-Trilogie, dekonstruiert Lars von Trier die Ideale der humanistischen Wertegesellschaft.

Idealistin im Einsatz: Bryce Dallas Howard auf der Baumwollplantage „Manderlay“.

Lars von Trier hasst das Reisen, deshalb sei er noch nie in Amerika gewesen, sagt er. Der Regisseur bleibt lieber im heimischen Dänemark, wo er sich seine eigenen Sinnbilder für die Außenwelt schafft.

Amerika kennt er nur aus Büchern und Filmen. Das, glaubt er, genüge, um sich ein Bild von diesem Land zu verschaffen, diese Entfremdung erlaube, seiner künstlerischen Freiheit den nötigen Raum zu verschaffen. Er könne die Art von naiven Fragen stellen, welche die Amerikaner selbst nicht stellen dürften, so Trier kürzlich in einem Interview.

Jetzt hat er sich erneut dem Land gewidmet, das seine Fantasie so zu beflügeln scheint. „Manderlay“ ist das mittlere Werk seiner Amerika-Trilogie. Zum ersten Mal in seinem Werk setzt der Regisseur, der regelmäßig versucht, mit seinen Filmen das Medium Kino neu zu erfinden, auf Kontinuität.

Man kennt die Frauen bei Trier: sich aufopfernde Unschuldslämmer, die an ihrer eigenen Selbstlosigkeit zu Grunde gehen und doch nichts dazu lernen. Handeln gehört nicht zu ihren Vorzügen. Dieses Frauenbild wird nun – in der Trier’schen Amerika-Saga – dekonstruiert. In „Dogville“ verwandelt sich Grace (Nicole Kidman) in einen erbarmungslosen Racheengel. In „Manderlay“, scheint Grace, jetzt von Bryce Dallas Howard verkörpert, wie eine Frau ohne Vergangenheit und Psychologie, ausschließlich durch ihr Handeln definiert zu sein. Doch gerade ihr naiver Idealismus, von einem überspannten Helfersyndrom überzogen, lässt sie jämmerlich versagen.

Grace ist, nach den brutalen Erfahrungen in Dogville, nun zusammen mit ihrem Vater, einem Gangsterboss, und dessen Gefolgschaft in Richtung Süden unterwegs. Wir schreiben das Jahr 1933. Bei einem Zwischenstopp in Alabama stößt die Truppe auf die Baumwollplantage Manderlay, wo immer noch Sklavenverhältnisse
herrschen.

Mit akribischer Genauigkeit inszeniert nun der Fundamentalpessimist Lars von Trier ein Drama des unvermeidlichen Scheiterns und macht daraus ein gesellschaftspolitisches Lehrstück. Mit Hilfe der bewaffneten Kumpanen ihres Vaters versucht die junge Idealistin ihre Vorstellung von Demokratie und Freiheit zu etablieren und muss erfahren, dass die Sklaven ihr nicht mit endloser Dankbarkeit entgegentreten. Auch sie sind Menschen aus Fleisch und Blut, mit ihren eigenen Makeln und Fehlern, mit ihren Erfahrungen und Erwartungen, die nicht in vereinfachte Schemas passen. Man kann nicht blind irgendwelche ideologischen Vorstellungen auf sie projizieren, ohne auf die wirklichen Verhältnisse einzugehen. Gesellschaftliche Veränderungen können nur von innen entstehen.

Lars von Trier ist bekannt für die unverblümte Verbreitung seiner Weltanschauungen. Der Film wirkt so wie eine fast schon propagandistische Kritik an einer sehr westlichen Geisteshaltung, wobei sowohl die dünkelhafte Arroganz wie auch das naive Gutmenschentum angegriffen werden.

Wie schon in Dogville benutzt der dänische Regisseur erneut eine Filmform, die sich stark an das epische Theater anlehnt. Er verstrickt dabei Inhalt und Ausdrucksmittel in Brecht’scher Dialektik. Die scheinbare Schwarz-Weiß Malerei wird im Laufe der Zeit bloßgestellt und mündet in eine fatalistische Studie von demokratischen Gesellschaftsmodellen. Der Film wirft die Frage auf, wie sich eine Gemeinschaft in ihren vielfachen und unüberwindbaren Subsystemen von Unterdrückung intern reguliert. Bedeutet Demokratie letztendlich nur, dass man seine eigene Form der Unterdrückung wählen kann? Die Strukturen werden hier nicht nur durch die Beziehungen zwischen den Rassen definiert, sondern auch andere stereotypische Machtverhältnisse, wie das sexuelle Zusammenspiel von männlicher Dominanz und weiblicher Hingabe, werden entblößt.

„Manderlay“ gibt keine Antwort, sondern versucht mit Schematisierung die Fallgruben von Demokratie und falschem Idealismus zu demaskieren.


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