GERARD DAMIANO: Deep Throat

Mit „Deep Throat“ erreichte der Porno Chic in den frühen Siebzigern einen kurzen, aber heftigen Höhepunkt.

Tiefer Einblick in die verborgenen Bedürfnisse der Gesellschaft: Linda Boreman und Harry Reems in „Deep Throat“.

Nur eine bescheidene Nebenrolle hatte Gerard Damiano ihr ursprünglich zugedacht. Als der Regisseur jedoch mit eigenen Augen sah, über welch einzigartige Begabung Linda Boreman – alias Linda Lovelace – verfügte, schrieb er das Drehbuch neu. Heraus kam „Deep Throat“ – der erfolgreichste und einflussreichste Porno aller Zeiten.

Seinen besonderen Charme verdankte der Sexstreifen – wen wundert’s? – keinen subtil verwobenen Erzählsträngen, sondern einer genial absurden Idee: Als die sexuell frustrierte Linda Lovelace einen Arzt um Rat aufsucht, erstellt dieser eine überraschende Diagnose: Ihre Klitoris sitzt nicht da, wo man sie gemeinhin vermutet, sondern im Hals. Ganz tief unten. Zum Glück ist der Arzt ein ganzer Kerl und kennt ein Mittel, mit dem er bei Linda doch noch die Glocken zum läuten (das ist wörtlich zu nehmen) und die Dämme zum Brechen bringt. Die Leidenschaft, mit der Linda ihre Medizin schluckt, ist – da muss man dem Produzenten Ron Wertheim Recht geben – „yeah, kind of Ù amazing“.

Das Talent von Linda Lovelace in allen Ehren: Die Aura, die „Deep Throat“ auch heute noch umgibt, geht eher auf Ereignisse zurück, die außerhalb der Kinosäle liegen. Als Deep Throat in den frühen Siebzigern in die Kinos kam, spaltete er wie kein Porno zuvor die amerikanische Gesellschaft in zwei Lager: Für die einen wurde er zum Symbol von Meinungsfreiheit und sexueller Revolution, für die anderen verkörperte er Sittenverfall und Obszönität.

Damiano, der seinen Schönheitssalon in Queens schloss und den Haartrockner gegen die Kamera tauschte, war nur einer von vielen mittellosen Regisseuren, die das filmten, was die Menschen auch ohne aufwändige Inszenierung faszinierte: Sex. Die Amateurfilmer begriffen sich allen Ernstes als Künstler. Ihre schmutzigen Filmchen verglichen sie mit dem Autorenkino eines Jean-Luc Godard. Und wieso auch nicht? So wie die Werke der Nouvelle Vague markierten auch ihre Sexstreifen den kulturellen Umbruch.

Dank der Resonanz, die „Deep Throat“ auslöste, wurden Pornos gesellschaftsfähig. Spätestens als der Film durch einen Artikel in der New York Times zum „Porno Chic“ geadelt wurde, strömten die Massen in die Kinos. Unter ihnen waren erstmals auch Frauen aus allen sozialen Schichten. Für kurze Zeit schien die Verwirklichung einer Utopie zum Greifen nah: Pornographie sollte von ihrem Schmuddelimage befreit werden und sich symbiotisch mit dem Mainstreamkino verbinden.

Dass diese Utopie letzten Endes scheiterte, lag nicht auschließlich am konservativen Backlash unter Nixon. Zwar gelang es den Republikanern, Deep Throat in vielen Bundesstaaten zu verbieten und dem Hauptdarsteller Harry Reems den Prozess zu machen. Nur den folgenden Präsidentschaftswahlen, die die Demokraten gewannen, verdankte Reems, dass er nicht fünf Jahre im Gefängnis absitzen musste. Die staatliche Repression wurde ungewollt zur bestmöglichen Werbekampagne und trug viel zum Aufblühen des Genres bei.

Verheerender war die Kritik aus einem Lager, dessen Ziel – die sexuelle Befreiung – dem der Pornomacher anscheinend näher kam: Feministische Bewegungen verurteilten Pornofilme als entwürdigend. Von einem feministischen Standpunkt aus gesehen ist „Deep Throat“ bemerkenswert ambivalent: Während das Streben einer Frau nach einem erfüllten Sexualleben im Mittelpunkt des Films steht, findet diese ihren Genuss ausgerechnet in einer Praktik, die in Wirklichkeit eher Männer verzückt.

Doch war es vor allem das Aufkommen der Videotechnik, das dafür sorgte, dass Pornofilme wieder aus dem Fokus der breiten Öffentlichkeit verschwanden und zum entpolitisierten Massenprodukt privater Lustbefriedigung verkamen, als das wir sie heute
kennen.

Dass dem nicht so sein muss, beweist die Cinémathèque. Unter dem bildungsbürgerlichen Vorwand, Filmklassiker zu zeigen, die zu ihrer Zeit umstritten waren, bringt sie diesen Monat unter anderem knallharten Sex auf die Leinwand. So weit, so gut. Aber ließe sich aus diesem Event nicht mehr machen? Ein wöchentlicher „Porno Chic“-Tag vielleicht?


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