John Cameron Mitchells „Shortbus“ kreist um Verbindungen und das prekäre Gleichgewicht zwischen Identitätsbildung und der Sehnsucht nach deren Auflösung.
Immer dann, wenn man sich dabei erwischt, wie man mittelmäßigen Hollywoodproduktionen und lauwarmen französischen Beziehungskomödien doch noch Positives abgewinnt, taucht ein Film auf, der einem schön und schmerzlich in Erinnerung ruft, was Kino sein kann. Mitchells „Shortbus“ ist so ein Film.
Die amerikanische Indieproduktion beginnt mit einer sexuellen Ouvertüre, fortissimo: Ein junger Mann verrenkt sich, um sich selbst einen zu blasen. Dabei filmt ihn ein Spanner vom Nachbarhaus aus. Im Sinkflug folgen wir der Kamera in eine andere New Yorker Wohnung, in der ein Paar einen komplizierten sexuellen Reigen aufführt. In einem Appartement mit Blick auf Ground Zero schwingt eine Domina ihre Peitsche.
Trotz aller expliziten Szenen, an denen es auch im weiteren Verlauf nicht mangelt, entsteht in keinem Moment der Eindruck, es gehe Mitchell darum, irgendwelche Grenzen auszutesten und zu schockieren. Vielmehr wird Sex dargestellt als etwas sehr Natürliches und Nettes, wie das Leben selbst. Die Bilder sind weder aufreizend oder idealisierend, noch kalt distanziert. Der Blick der Kamera dringt nicht feindselig in die Intimsphäre der Figuren ein, sondern begleitet sie freundlich und einfühlsam.
In „Shortbus“ ist Sex eine Metapher, die für menschliche Beziehungen schlechthin steht. Der Film kreist um Verbindungen. Um die Sehnsucht danach, die Angst davor, die Unfähigkeit dazu und die Freude daran. Bereits in den ersten Szenen lernen wir die drei Hauptfiguren kennen. James hat scheinbar alles, was man sich wünschen kann. Doch seine Beziehung mit dem liebevollen Jamie leidet unter seinen anhaltenden Depressionen. Als beide erwägen, ihre Beziehung sexuell zu öffnen, holen sie sich Rat bei einer Partnerschaftsberaterin. Doch Sexualtherapie ist nicht Sofias Spezialgebiet. Die sino-kanadische Psychologin wartet selbst noch auf ihren ersten Orgasmus, trotz der Yogatechnik ihres Ehemanns Rob. Dieses Problem kennt Severin nicht. Doch die Künstlerin und Domina, die sich mit Sex von ihrer Umwelt abzukapseln versucht, leidet an ihrer Unfähigkeit zu intimen Beziehungen und sinnvollen Kontakten überhaupt.
Die verwobenen Handlungsstränge laufen im Shortbus, einem Undergroundschuppen in Brooklyn, zusammen. Zum Club, der das eigentliche Gravitationszentrum des Films bildet, zieht es all diejenigen, die anders und intensiver leben wollen, als es die gesellschaftliche Trennung von Öffentlichkeit und Privatsphäre gestattet. Menschen jeder sexuellen Orientierung treffen sich zu Punkkonzerten, Haschkeksen, Flirts und sexueller Freizügigkeit.
Der Shortbus ist ein Ort postmoderner Utopie. Wie es sich für solche gehört, bleibt unklar, was genau verwirklicht und ausgelebt werden soll und wie die ausschweifenden Partys im Salon mit dem Leben in der Welt da draußen zusammenhängen. „Wie in den Sechzigern, nur mit weniger Hoffnung“, kommentiert der tuntige Gastgeber das Treiben im Gruppensexraum. Sehr ironisch, wohlverstanden. Denn den Besuchern des Salons fehlen nicht nur die Hoffnungen, sondern auch die Ambitionen ihrer Vorgängergeneration. Vor allem deren Bedürfnis nach einfachen Gewissheiten und klaren Abgrenzungen.
So bleibt der Shortbus ein Ort der Ambivalenz und relativen Durchlässigkeit. Die queere Szene feiert sich selbst und ihr kreatives Anderssein, doch lässt auch Menschen wie Sofia teilnehmen, die wenig mit ihr zu tun haben. Überhaupt fungiert Sofia als Verbindungsfigur zwischen Innen und Außen, zwischen dem esoterischen Kreis der Genderbender und dem Mainstream, auch zwischen dem Regisseur und seinem Publikum. Während die Geschichte des schwulen Liebespaares Schwellen abbaut und zeigt, dass die anderen ja gar nicht so anders sind, beinhaltet Sofias Geschichte ein Glücksversprechen für Überläufer. Close the gap and cross the border. Ganz postmodern eben.