CLINT EASTWOOD: Mystic River

Zwei Morde binden in Clint Eastwoods „Mystic River“ ein Trio von ehemaligen Kindheitsfreunden aneinander – in einem unauflösbaren Knäuel von Schuld, Tabu und Sühne. Nur die Freundschaft ist zerbrochen.

„I know in my soul, I contributed to her death, but I don’t know how,“ meint Jimmy Markum, dessen Tochter Katie von Unbekannten umgebracht wurde. Mit diesem Bekenntnis wird die zentrale Frage nach dem Umgang mit Schuld gestellt, die Clint Eastwoods „Mystic River“ dominiert. Dem Mord vorangegangen ist nämlich eine Serie von Verwicklungen, die in Jimmys Kindheit mit einer Entführung begonnen haben: Zusammen mit seinem Spielkameraden Sean Devine musste er zusehen, wie ihr Freund Dave Boyle von zwei Männern gezwungen wurde, in ihr Auto zu steigen. Als er einige Tage später wiederkehrte, war er für immer gezeichnet. Statt Klärung und Suche nach den Vergewaltigern wurde das Verbrechen tabuisiert – sowohl von Dave selbst als auch von seiner Umgebung im Bostoner Arbeiterviertel. Ist der Mord an Katie etwa eine späte Reaktion auf das jahrzehntelange Schweigen?

Clint Eastwoods neuer Film ist weniger eine Durchleuchtung der von diesem Ereignis gesprengten Dreierfreundschaft, die sich im Erwachsenenalter als Fremde wiederbegegnen, denn ein Protokoll ihres individuellen Umgangs mit Verantwortlichkeit. Da ist der inzwischen zum Polizeibeamten gewordene Sean Devine (gespielt von Kevin Bacon), der den Mord der jugendlichen Katie aufklären soll und dadurch wieder mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert wird. Da ist Dave Boyle (Tim Robbins), mittlerweile verheiratet und Vater: ein gebrochener Mann, der von seinem traumatischen Kindheitserlebnis erdrückt wird. Und da ist schließlich Jimmy Markum (Sean Penn), die eigentliche Hauptfigur des Films, der in seinem Viertel zum unantastbaren Mafiakönig avanciert ist und der in sich den zärtlichen Ehemann und Vater mit dem gnadenlosen Gangsterboss vereint.

Diese Analyse männlicher Herangehensweisen an menschliche Konflikte ist sicherlich das, was Clint Eastwoods neuesten Streifen ausmacht. Hier wird keine rauhe Marlboro-Männlichkeit geboten, sondern eine intelligente Auseinandersetzung mit Rollenmustern – aus männlicher Sicht. „I can’t cry for her, my own little daughter“, stellt Jimmy Markum fassungslos fest – statt seine Tochter zu beweinen, kann er sie nur rächen.

Dass die Frauen – Marica Gay Harden als Daves Frau Celeste und Laura Linney als Katies Stiefmutter Annabeth – ebenfalls ihr Fett wegkriegen, tut dem keinen Abbruch. Beide sind zunächst nur die braven Ehefrauen, solidarisch mit ihren Männern bis ins Vertuschen von Schuld. Doch am Schluss des Films wird deutlich, dass auch sie Schuld tragen: Während Annabeth ihren Partner sogar noch über dessen Selbstzeifel hinweg in seine Rolle des starken Mannes zwängt, versucht Celeste auf ihre unbeholfene Weise, sich der Befürchtung, ihr Mann könne ein Mörder sein, zu stellen – und löst damit wiederum tragische Konsequenzen aus.

Die Kopplung der interessanten Problemdarstellung mit der ausgezeichneten Darstellung aller Hauptcharaktere rechtfertigt vielleicht die bereits kursierenden Gerüchte, dass „Mystic River“ Oscar-würdig sei. Tim Robbins, Marcia Gay Harden und vor allem Sean Penn bieten Glanzleistungen. Aber auch Laurence Fishburne als zweiter Polizeibeamter, der als einziger emotionslos und streng um Recht bedacht ist, beeindruckt. Weit schwächer muss dagegen das Drehbuch bewertet werden: Die Auflösung des Thrillers ist wenig überzeugend, und gegen Ende häufen sich die Unglaubwürdigkeiten. So kann „Mystic River“ am Ende doch nicht rückhaltlos begeistern – der Weg ins Kino lohnt sich trotzdem.


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