FRANCOIS OZON: „To wish and to wish and to make it true“

„Angel“ – der neue Film von François Ozon scheint an trivialen Kolportageromanen inspiriert: Stilistisch opulent, bleibt er inhaltlich recht oberflächlich.

Der Regen hier besteht nicht nur aus Wasser: 90 Prozent mindestens sind purer Kitsch.

„Die Träume der Welt haben zwei Feinde: Die Welt und die Träumer“, heißt es in einem Ausspruch, der vom deutschen Schriftsteller Hans Kasper stammt. Dieses Sprichwort ließe sich auch vorzüglich auf den neuen Film „Angel“ des 1967 in Paris geborenen François Ozon anwenden. Ozon hat auch in seinem neuen Werk wie in den vorangegangenen Produktionen „Huit femmes“ (2002) oder „Swimming Pool“ (2003) die Frau als Hauptprotagonistin erkoren. Es sind vor allem jene feurigen, unheilvollen und komplexen Frauenfiguren, die ihn interessieren. Inspiriert hat er sich diesmal an der gleichnamigen Heldin des 1957 erschienen Gesellschaftsromans „Angel“ der britischen Autorin Elisabeth Taylor (1912-1975). Dieser Plot bot ihm nach eigenen Aussagen die Gelegenheit sich mit einem romantischen Universum auseinanderzusetzen und in der Tradition der Melodramen der 30er und 40er Jahre vom Aufstieg und Fall einer glänzenden Persönlichkeit zu erzählen. Dabei greift Ozon tief in die Kiste von Zuckerguss und Kitsch: Manieristisch bis ins letzte Detail inszeniert er einen historischen Kostümfilm mit der Besetzung von Romola Garai als Angel Deverell – dergegenüber selbst Scarlett O’Hara in „Gone With the Wind“ blass aussieht. Garai verkörpert dank ihrer zerbrechlichen Erscheinung ideal die Hauptrolle der jungen Schriftstellerin Angel Deverell im England des beginnenden 20. Jahrhunderts. Sie träumt sich die Welt zurecht und schreibt in echter Leidenschaft inbrünstige Liebesromane. Auch wenn ihr Talent in ihrem Umkreis keine Beachtung findet – so ist sie sich sicher ihren künftigen Erfolg als Autorin bald feiern zu können. Erst als sie dem Verleger Theo (Sam Neill) das Manuskript ihres ersten Romans schickt, wandelt sich ihr Schicksal: Über Nacht wird sie eine erfolgreiche Autorin von eskapistischen Kitschromanen. Dabei schätzt ihr Verleger weniger die Kraft ihrer Prosa als ihre Persönlichkeit, die unerschütterlich an ihrem Fantasiekokon webt. Getreu ihrer Devise „to wish and to wish and to make it true“ schafft Angel den Aufstieg aus der Backsteinsiedlung an die Spitze der Gesellschaft. Sie kauft sich ein Herrenhaus Namens „Paradise“, eine wahre Pralinenschachtel, in der das Herzklopfen widerhallt. Ozon gelingt es mit schwelgerischen Accessoires, glamoureusen Kostümen, einer üppigen Farbigkeit die bonbonfarbene Traumwelt der Angel widerzuspiegeln. Ihr Glück scheint perfekt, als sie sich den Maler Esme (Michael Fassbender), der leider nur graue Bilder malt, schön guckt. Den ersten Kuß zwischen den beiden inszeniert Ozon in einem grandiosen Moment des Überkitsch: Im Regen stehen die Liebenden vor bombastischer Kulisse, die Musik steigert sich zum Crescendo, ein strahlender Regenbogen durchbricht die grauen Wolken.

In vielerlei Hinsicht ist dies der Höhepunkt des Films und von Angels Leben. Ab jetzt beginnt sich ihr Eden zu verdunkeln. Als der Krieg 1914 ausbricht, droht die Realität sie einzuholen. Auch ihr Publikum verlangt nicht mehr nach ihren klischeehaften Romanen. Durch Gegensätze offenbart Ozon die zunehmende Entfremdung: Was soll etwa der kriegsverletzte Esme im Rüschenparadieses des Herrenhauses? Erst auf dem Totenbett stellt sich die eigensinnige Schriftstellerin der Wirklichkeit.

Ozon hat in seiner Verfilmung zwei Personen gegenübergestellt. Angel geht an einer übermäßigen Fantasiewelt zugrunde und Esme scheitert an einem übermäßigen Realitätssinn. Dabei schien es Ozon nicht nur um die Frage nach der Wahrheit oder der Lüge für den Künstler zu gehen – sondern darüber hinaus auch allgemein, um die Frage nach Kriterien eines gescheiterten oder erfolgreichen Lebens.

Dass man sich jedoch letztlich als Zuschauer sowohl von Angels als auch von Esmes Schicksal herzlich wenig berührt fühlt, liegt weniger an der Thematik, als an Ozon selbst. Durch seine stilistische Überinszenierung und durch die Wahl von „schwarz-weiß“ Charakteren, die wie im Märchen ohne Risse und Kanten sind, scheint Ozon selbst auf das Medium seiner Hauptfigur – den Kolportageroman – zurückgegriffen zu haben. Und bekanntlich sind diese trivialen Unterhaltungsheftchen inhaltlich recht schwach, formell aber um so pathetischer.

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Angel, im Utopia


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