Mit „Sunshine“ gelingt Danny Boyle ein erstklassiger Science-Fiction-Film, von kathartischer Schönheit und spiritueller Intensität.
Wir schreiben das Jahr 2057. Die Sonne droht zu erlöschen, vier Milliarden Jahre früher als erwartet, und mit ihr alles Leben. Die letzten Hoffnungen der Menschheit begleiten die Icarus II und ihre Crew von acht jungen Männern und Frauen, die mit einer atomaren Sprengladung zur Sonne geschickt werden, um den Stern von Neuem zu entzünden. Eine weitere Chance wird es nicht geben. Die Uranvorkommen der Erde sind verbraucht.
Danny Boyles „Sunshine“ beginnt sehr langsam und ruhig. Im Schatten eines riesigen Schildes aus reflektierenden Panelen, der sie vor den immer intensiveren Sonnenstrahlen schützt, gleitet die Icarus II durchs Weltall. Völlig abgeschnitten von der Erde, nur ein Ziel vor Augen, Tag für Tag, Jahr für Jahr, nähert sich die multiethnische Besatzung langsam dem Ort, an dem sich die Zukunft der Menschheit entscheiden wird. Doch kurz vor ihrem Ziel empfängt die Crew ein Notsignal von Icarus I, der missglückten Vorgängermission. Als die Crew ihren Kurs ändert, um das Schwesterschiff abzufangen, beginnt eine Kette von Unfällen, die den Astronauten alles abverlangen wird.
„Sunshine“ kreist um ein ganz bestimmtes Gefühl, das man im Anblick von etwas Erhabenem erfährt. Ein Gefühl der eigenen Nichtigkeit vor etwas unvorstellbar Größerem, Wichtigerem. Die Icarus schwebt wie ein Staubkorn zwischen zwei Riesen. Hinter ihr steht die ganze Menschheit, die ihr Schicksal in die Hände der Auserwählten legte. Vor ihr erstrahlt der gigantische Feuerball, die Quelle allen Lebens, vor deren schierer Enormität selbst das Los der Menschheit nichtig wird. Die Last der Aufgabe schweißt die Mannschaft zusammen, doch vor dem Anblick der Sonne bricht sie auseinander. Sie sind allein, wenn sie den Beobachtungsraum betreten, von dem aus die Sonne ansehen, deren ungefiltertes Licht jeden Menschen zu Staub verbrennen würde. Vor der Sonne, wie vor Gott, ist jeder allein.
Das Spannungsfeld, in dem „Sunshine“ die Zuschauer gefangen hält, nährt sich vom Konflikt der zwei Erfahrungen, zum einen von der erwähnten Erhabenheit, zum anderen von der Menschlichkeit der Astronauten. Leider ist die Art, in der die Konflikte dargestellt werden, nicht sehr originell. Vor allem führt sie nicht zu einer einheitlichen Handlung, sondern wirkt versatzstückartig, wie aus Filmen des Genres zusammengeklaubt. Wie viel wiegt ein einzelnes Leben, wenn der Erfolg der Mission auf dem Spiel steht? Wen soll man opfern? Diese Fragen stellen sich, wie man es schon aus etlichen Weltraumstreifen kennt, als die Sauerstoffreserven knapp werden.
Zum Glück degeneriert „Sunshine“ dann doch nicht zum Psychothriller, zum Überlebenskampf aller gegen alle, sondert bewahrt seine Vielschichtigkeit. Mehr Potenzial bietet der Konflikt zwischen der erschütternden Erfahrung der Nichtigkeit allen Lebens und dem Imperativ, das in seiner Verletzbarkeit so kostbare Leben zu schützen. Leider wird der Konflikt nicht auf eine Art verhandelt, die zu Reflexion und zum Nachspüren spiritueller Echos einlädt, sondern über schlecht motivierter actiongeladener Szenen, die zwar den Puls der Zuschauer aufschnellen lassen, jedoch nicht viel Sinn machen. Es entsteht der Eindruck, dass Boyle zu viele Kompromisse eingeht, um ein breites Publikum zu bedienen.
Am stärksten ist „Sunshine“ in den kathartischen Momenten, in denen die Schönheit und Mächtigkeit der Sonne und zugleich ihre Zerstörungskraft greifbar werden, in denen die Astronauten wie gebannt auf den Feuerball starren, in denen Tod und Epiphanie eins werden. Die computergenerierten Außenaufnahmen sind makellos und atemberaubend. In diesen Augenblicken reicht „Sunshine“ an die spirituelle Intensität etwa von Tarkowskys „Solaris“ heran. Doch während Tarkowsky alles daran setzte, die Konventionen des Science-Fiction-Films zu umgehen, um an etwas Universellerem zu rühren, verfolgt Boyle ganz andere und bescheidenere Ambitionen. Er wollte eben nur einen Genrefilm drehen, und das ist ihm geglückt.
Gilles Bouché