WEINMARKTREFORM: Die Wahrheit über den Wein

Die EU will den Einsatz von Saccharose im Weinkeller verbieten. Was bedeutet das für die Winzer an der Mosel? Wird der Wein dadurch etwa (noch) besser? Ein paar Klärungsversuche.

Zucker ist zu billig. Wäre der kristallisierte Rübensaftextrakt teurer, dürften ihn Europas Winzer weiterhin dazu gebrauchen, ihrem Wein zum gewünschten Alkoholgehalt zu verhelfen. Nun aber sollen sie gezwungen werden, für diese Anreicherung oder Chaptalisation stattdessen kostspieligere Traubenmostkonzentrate zu verwenden.

Für dieses Paradox gibt es eine europäische Erklärung: Brüssel will die Subventionen für Mostverwender streichen. In dem Falle kann jedoch der Mostsüßstoff nicht mehr mit Zucker konkurrieren. Da allerdings in Südeuropa ganze Weinberge inklusive Fabriken eigens zur Produktion des so genannten Rektifizierten Traubensaftkonzentrates (RTK) angelegt und gebaut wurden, muss dessen Absatz weiterhin garantiert werden. Das geht wiederum nur, wenn die Verwendung des günstigeren Zuckers gänzlich verboten wird.

Wein bleibt Wein

Die Brüsseler Erklärung lautet so: Durch die Abschaffung der Anreicherung mit Zucker und der Beihilfe für Most könne das Gleichgewicht zwischen Nord und Süd gewahrt werden. Und: „Alle Erzeuger werden dann ihren Wein ausschließlich aus Trauben und nicht subventioniertem Most bereiten.“ Das klingt nach einer Art Reinheitsgebot, fast ein wenig so, als würde man durch das Zuckerverbot auch dafür sorgen, dass ein qualitativ hochwertigerer Wein auf den Markt kommt. Eine Andeutung, die jedoch den wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Fachwelt nicht standhält. „Wir haben zahlreiche Versuche gemacht, auch Verkostungen“, sagt Monika Christmann, Professorin für Kellerwirtschaft an der Forschungsanstalt Geisenheim. „Es gibt keine Unterschiede.“ Im Endprodukt Wein ließe sich nicht nachweisen, ob der Traubensaft mit reinem Zucker oder mit Mostkonzentrat angereichert wurde.

Zu diesem Schluss kamen auch andere Wissenschaftler. Etwa der Agraringenieur Wolfgang Renner, der an der österreichischem Versuchsstation für Obst- und Weinbau in Graz den Einfluss von RTK und Saccharose auf die Sensorik untersuchte. Fazit: Die Weine zeigten weder im Aussehen, noch im Geruch oder Geschmack signifikante Unterschiede.

Eine Erkenntnis, die natürlich sowohl Zuckerbefürworter als auch Gegner für sich nutzen können. „In diesen Diskussionen um oenologische Verfahren geht es im Grunde um rein ökonomische Fragen, in diesem Fall um den Absatz von RTK“, bringt es Monika Christmann auf den Punkt. Sie rechnet damit, dass die Winzer, die auf Anreicherung angewiesen sind, Wettbewerbsnachteile erleiden werden.

„Es gibt keinen Grund, unsere 200 Jahre alte Tradition aufzugeben“, sagt Robert Ley, Generalsekretär der Landwirtschaftskammer, die sich gemeinsam mit dem parlamentarischen Ausschuss der Chamber Mitte Juli vehement gegen das Ende von Saccharose im Weinbau aussprach. Zucker sei reiner und damit besser im Weinkeller zu handhaben als Most, so Ley. „Bei RTK hat man keine Garantie, dass die Qualität konstant ist.“ Dieses Argument lässt auch die Wissenschaftlerin gelten. „Zucker ist ein hoch gereinigtes Produkt“, so Christmann. „Beim RTK handelt es sich um Flüssigzucker aus der Traube, da sind trotz kostspieliger und extrem aufwendiger Reinigungsverfahren immer noch Restbestandteile wie etwa Mineralstoffe drin.“

Schwierige Umstellung

Zudem sind die Zuckergehalte in der zähflüssigen, honigartigen Masse des RTK nicht genau definiert und schwanken zum Teil beträchtlich. Auch ist die Konsistenz nicht gleichförmig wie beim Zucker: In großen Behältern können die Zucker-Konzentrationen im oberen und im unteren Teil sehr unterschiedlich ausfallen. Das alles erschwert die Anwendung von RTK in der Praxis. „Stellen Sie sich vor, Sie dürften beim Kochen keinen Zucker mehr verwenden, sondern nur noch Honig – das geht, aber es ist schwieriger“, fasst Monika Christmann zusammen.

Unter anderem müssten sich Winzer besondere Geräte anschaffen, um den Zuckergehalt zu kontrollieren. Ein Aufwand, der vor allem die kleineren Kellereien betreffen wird. Für größere Betriebe, so etwa die Domaines Vinsmoselles lohnte sich bislang die Umstellung. Allerdings nur, weil der Einsatz von RTK bezuschusst wird. Werden die Subventionen gestoppt, wird der Preis für Mostprodukte steigen, davon ist Christmann überzeugt. Es sei jedoch zu früh, die Mehrkosten für Winzer genau zu beziffern. „Insgesamt rechnen wir damit, dass die Umstellung in Luxemburg rund eine Million Euro kosten wird“, sagt Robert Ley.

Auch der Brüsseler Vorschlag, die Anreicherung künftig auf zwei Prozent zu beschränken, würde Luxemburg treffen. „Allgemein sollte man natürlich darauf achten, dass sich die Chaptalisation in Grenzen hält“, räumt Ley ein. Klar ist jedoch, dass Winzer aus der Moselgegend nur in guten Jahrgängen ganz auf die Anreicherung verzichten können.

Darüber, ob Saccharose als Verunreinigung des „natürlichen“ Produktes Wein gelten soll, ist die Winzerwelt sich nicht einig. In der Regel verläuft die Grenze zwischen denen, die auf die Tradition der Chaptalisation bestehen, und jenen, die sie ablehnen, erwartungsgemäß zwischen Norden und Süden. Für die Puristen darf im Weinbau nur das eingesetzt werden, was etwas mit der Traube zu tun hat, „artfremde“ Produkte hingegen haben im Weinkeller nichts verloren. Die Frage, ob nun Zucker aus Zuckerrüben zu Letzteren gehört und deswegen die aufwendige und kostspielige Herstellung des traubeneigenen RTK notwendig ist, dürfte je nach Interessenslage sehr unterschiedlich beantwortet werden. „Dasselbe Prinzip wird bei dem Rest der Mittel, mit denen Wein behandelt wird, nicht angewandt“, stellt Monika Christmann fest. „Da es dafür jedoch keine Alternativprodukte gibt, ist man lieber still.“ Ob Kasein oder Gummi Arabicum zur Aufhellung, Tannine zur Farbstabilisierung, oder Ammoniumsulfat zur Fermentierung – die Liste der natürlichen Produkte, die erlaubt sind und dennoch nicht aus der Traube gewonnen wurden, ist lang.

Unwahrheiten im Umlauf

Eine Diskussion darüber gibt es jedoch nicht. Stattdessen werden in die Diskussion um die Weinmarktreform Bereiche einbezogen, die dort eigentlich gar nichts verloren haben. Allen voran der umstrittene Einsatz von Eichenholzchips, deren Zugabe dem Wein zum trendigen Barrique-Geschmack verhilft. Es sei zu befürchten, dass solche Verfahren nun in der EU erlaubt werden, war etwa Anfang Juli im „tageblatt“ zu lesen. Auch hiesige Abgeordnete verwiesen auf diese Gefahr. Tatsache ist jedoch, dass der Einsatz von Eichenspänen in der Europäischen Union bereits seit Oktober vergangenen Jahres erlaubt ist. „Die Anwendung darf jedoch nicht während der Gärung, sondern nur im fertigen Wein stattfinden“, präzisiert Monika Christmann.

Gerne verweist man in der zumeist emotional ziemlich aufgeladenen Diskussion auf die USA, auf deren Druck solche Praktiken in der EU erlaubt würden. Im Falle der Eichenchips kam der Antrag jedoch aus Italien. „Im Grunde waren viele dafür, doch niemand wollte es laut sagen“, so Christmann, die sich gegen die Einschätzung wehrt, mit neuen oenologischen Verfahren werde in den USA „Coca-Cola-Wein“ gemacht. „Das ist unfair, den Kollegen aus Übersee gegenüber“, sagt die Expertin und räumt ein anderes, häufig zitiertes Vorurteil über eine Technik aus den USA aus dem Weg. Mittels der so genannten „Spinning Cone Column“, einer Schleuderkegelkolonne, sei es möglich, Wein in seine einzelnen Bestandteile zu zerlegen und völlig neue Weine zusammenzusetzen (Zitat „Manager-Magazin“). „Wer das kann, darf sich für den Nobelpreis anmelden“, sagt Christmann. „Das ist überhaupt nicht machbar.“ Die Anlage diene dazu, den Alkoholgehalt zu reduzieren. Bei dem Vorgang werde lediglich eine kleine Teilmenge des Weins behandelt, darin das Aroma abgetrennt und später dem Rest wieder zugefügt.

Das hört sich weitaus weniger spektakulär an als die Kreation beliebigen „Kunst“- Weines. Doch eine Vereinfachung der Sachlage ist manchmal nützlich, um die eigene Argumentation zu untermauern und um die eigenen Interessen zu verschleiern. Dasselbe dürfte der Kommission allerdings in der Diskussion um den Zuckereinsatz im Weinbau schwer fallen. Denn in der Partie Saccharose contra RTK scheitert man mit simplem Schwarz-Weiß-Denken noch schneller an der Realität, als das üblicherweise der Fall ist.
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Sonne aus dem Sack
Ohne die Anreicherung würde der hiesige Wein in so manchem Jahrgang nur auf neun Prozent Alkohol kommen. Damit der volle Geschmack sich entfalten kann, sind jedoch über zwölf Prozent erwünscht. Wird mit Zucker angereichert, heißt das Verfahren auch „Chaptalisation“. Standardisiert hat diese uralte Methode ein Franzose: Der Chemiker Jean-Antoine Chaptal veröffentlichte sie 1801. Im 19. Jahrhundert sprachen die Winzer von der „Sonne aus dem Sack“. An der Mosel wurde die Chaptalisation Mitte des 19. Jahrhunderts eingeführt, nachdem viele Winzer nach mehreren schlechten Ernten hintereinander den Weinbau aufgeben mussten.


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