CELINE SCIAMMA: Unaufgeregtes Drama

Nicht immer wenn es um Homosexualität geht sind Pailletten und Drama-Queens im Spiel, das beweist der intimistische Film „La naissance des pieuvres“

Brilliant inszenierte Gefühlverwirrung: „La naissance des pieuvres“.

Die Jungregisseurin Céline Sciamma erzählt in ihrem Film „La naissance des pieuvres“ vom Kampf dreier Mädchen mit den Höhen und Tiefen der Pubertät. Sehr einfühlsam gegenüber ihren Schauspielerinnen und dennoch mit einem unerbittlich genauen Blick verfolgt sie den Zwiespalt zwischen den frisch geweckten Gefühlen und dem Wunsch, die kindliche Unschuld nicht zu verlieren.

Marie (Pauline Acquart), ein hübsches aber schüchternes 15-jähriges Mädchen, hat sich noch nicht ganz von ihrer Kindheit verabschiedet. Mit ihrer besten Freundin Anne (Louise Blachart) kann sie sich noch mit kindlichen Spielen die Zeit vertreiben, wenn auch das Thema Liebe und Sex immer wichtiger für beide wird. Eines Tages besucht Marie den lokalen Synchronschwimmen-Wettbewerb und fühlt sich auf verwirrend intensive Weise von dieser ungewöhnlichen Sportart angezogen. Besonders fasziniert ist sie von Floriane (Adèle Haenel), Kapitän der erfolgreichen Juniorinnen-Mannschaft. Die beiden könnten unterschiedlicher nicht sein: Die eine schüchtern und einzelgängerisch, die andere ein gleichermaßen bewundertes wie gehasstes Alpha-Weibchen. Was anfangs aussieht wie eine einseitige Beziehung, bei der Marie alles tut um in Florianes Gunst zu stehen, entwickelt sich zu einer ungewöhnlichen Freundschaft. Die nach außen kalt und unberührbar wirkende Floriane findet in Marie zum ersten Mal eine Person, der gegenüber sie keine Rolle spielen muss. Marie muss jedoch schmerzhaft erkennen, dass sie mehr als Bewunderung für ihre Freundin empfindet. Wenn sie Floriane mit ihrem Freund François (Warren Jacquin) oder mit anderen Jungs flirten sieht, tut es ihr weh. Wenn sie nebeneinander im Bett liegen und sich ihre Hände wie zufällig berühren, sieht man es Marie an, dass sie vor verwirrenden Gefühlen fast platzt. Sie ist zum ersten Mal verliebt, ein Drama für jeden unerfahrenen Teenager, und dann auch noch in ein anderes Mädchen. Währenddessen lernt Anne, dass man es mit einem nicht makellosen Aussehen im Kampf ums andere Geschlecht sehr schwer hat. Die sympathische Außenseiterin legt zwar ein scheinbar unerschütterliches Selbstbewusstsein an den Tag, andererseits ist sie nicht weniger verletzlich als Marie.

Es sind mehrere Punkte, die diesen Film auch für Erwachsene, die die Hölle der Pubertät längst hinter sich gelassen haben, interessant machen. Abgesehen von der Tatsache, dass es sich um einen rundum gelungenen Film handelt, verblüfft unter anderem die unaufgeregte Art und Weise, mit der Céline Sciamma das heikle Thema Homosexualität behandelt. Im Gegensatz zu anderen Filmen die sich der gleichgeschlechtlichen Liebe widmen, wird sie hier nicht krampfhaft thematisiert, sondern schauspielerisch illustriert. Ohne viele Worte wird am Beispiel von Maries Gefühlskämpfen gezeigt, wie schwer es ist, nicht nur ungewohnte Emotionen zu empfinden, sondern auch noch damit klar zu kommen. Im Zentrum des Geschehens steht also nicht eine allgemein gültige Abhandlung der Homosexualität, sondern die ganz konkrete Relation zwischen den Protagonistinnen. Daneben soll vor allem gezeigt werden, wie schmerzhaft nicht erwiderte Liebe ist, unabhängig von sexuellen Neigungen.

Die schauspielerische Leistung des Trios Acquart – Haenel – Blachart muss besonders hervorgehoben werden. Alle drei stehen konstant im beobachtenden Fokus der Kamera und es werden ihnen einige mutige Szenen abverlangt. Doch die drei Nachwuchstalente meistern diese Herausforderungen mit Bravour.

La naissance des pieuvres, im Utopia.


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