Gutes Krisenmanagement setzt richtige Ursachenforschung voraus. Doch damit tun sich unsere Verantwortlichen schwer.
Als Staatsminister Jean-Claude Juncker anlässlich der Eröffnung der Parlamentssession auf die Ursachen der aktuellen Finanzkrise einging, sprach er von einem Geisterfahrer, der Europa mit Vollgas ins Chaos hineingezogen habe. Gemeint sind die Banker aus den USA, die „meinten die Regeln des Einmaleins würden im 21. Jahrhundert nicht mehr zählen“. Haben sie doch tatsächlich Menschen zu Hauskäufen animiert, die über deren Verhältnissen lagen und so zu einem Zusammenbruch des Subprime-Kreditmarktes führten. Dass diese Menschen anfänglich durchaus zahlungsfähig waren, und lediglich angesichts des stetigen Anstiegs der Kreditzinsen in die Überschuldung schlitterten um dann von den Finanzinstituten kurzum vor die Haustür gesetzt zu werden, erwähnte der Premier nur indirekt. Die Banker machten zunächst gute Geschäfte. Von denen die (noch) zahlen konnten, wurden immer mehr Zinsen abkassiert. Diejenigen, die aufgaben, mussten ihr Haus den Gläubigern überlassen. Ihr ehemaliger Besitz wurde an neue Kreditnehmer weiterveräußert. Irgendwann kam dann tatsächlich das „Einmaleins“ zum Tragen: viele leere Häuser und wenige zahlungsfähige Kreditnehmer ließen die Häuserpreise (und damit die Garantie für laufende Kredite) in den Keller gehen.
Zu diesem Zeitpunkt hatten die „toxischen Produkte“ längst den Weg ins internationale Finanzsystem gefunden. Die Verbriefung von Krediten, die „titrisation“, war das Zaubermittel, das erlauben sollte die Risiken zu streuen und gleichzeitig Anleger aus der ganzen Welt (und deren Finanzberater) am Gewinn zu beteiligen – solange es Gewinne gab, oder vorgetäuscht werden konnten. Mag sein, dass die amerikanischen Banker als Geisterfahrer unterwegs waren. Doch saßen ihre Kollegen aus Europa und dem Rest der Welt mit im Wagen: Das System versprach schließlich hohe Renditen. Und, wie jetzt nach und nach bekannt wird, waren weit mehr Finanzhäuser in Europa darin eingebunden, als dies zunächst zugegeben wurde.
Zugelassen haben das auch die Politiker, die die Geisterfahrer mit immer neuen „Finanzprodukten“ sozusagen legalisierten. Als im April 2004, kurz vor den Legislativ-Wahlen, die „titrisation“ in der Luxemburger Gesetzgebung verankert werden sollte, weigerte sich lediglich der Abgeordneten der Linken zuzustimmen. Ein Nischenprodukt, das etliche Millionen mehr an Steuergeldern versprach, und jetzt im Endeffekt Kapitalspritzen in Milliardenhöhe aus dem Staatsäckel notwendig macht.
Es ist daher nur scheinbar ein Widerspruch, wenn dieser Tage Banker auf ihre Teilverstaatlichung mit Sekt anstoßen und ihre Lobbyisten auf einmal nach dem starken Staat rufen. Die Bankenkonzentration wird verstärkt und zudem staatlich abgesichert. Die „gute alte BGL“ kommt nicht etwa zurück, sondern wird an den Riesen BNP-Paribas weitergereicht. Da stört es auch nicht, wenn jetzt etwas genauer bei den Bezügen und Abfindungen der Finanzmanager hingeschaut wird, und Juncker verspricht keine „parachutes dorés“ zuzulassen. Hauptsache das System kommt wieder in Gang. Und vor allem: Die Politik wird nicht müde zu erklären, sie wolle mittelfristig die Banken wieder sich selbst überlassen. Die anti-kapitalistische Klammer soll also nur von kurzer Dauer sein, bis das „Vertrauen wieder hergestellt“ ist. Der Geisterfahrer wird dann wieder in den normalen Verkehrsfluss eingebunden … ob er allerdings seine Lektion lernt und danach immer die richtige Ausfahrt sucht und findet, bleibt ihm überlassen.