CONSEIL DU DÉVELOPPEMENT DURABLE: Nachhaltiges Nachdenken

Die Stellungnahme des Nachhaltigkeitsrats zu den Staatsfinanzen ist zwar liberal geprägt, enthält aber wegweisende Überlegungen zum Luxemburger Modell.

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„Ist der Nachhaltigkeitsrat überflüssig?“, so der provokante Titel eines Wort-Artikels vom 21. Oktober. Anlass für die Frage war die entsprechende Einschätzung eines demissionären Mitglieds, des OGBL-Präsidenten Jean-Claude Reding. Der Nachhaltigkeitsrat (Conseil supérieur pour un développement durable, CSDD), so Reding, beschäftige sich ja eigentlich mit den gleichen Themen wie der Wirtschafts- und Sozialrat. Diese Feststellung ist so überraschend nicht: Als 2004 die gesetzliche Grundlage für den CSDD geschaffen wurde, gab es bereits Stimmen, die die Abschaffung … des Wirtschafts- und Sozialrates vorschlugen.

Überflüssig in dem Sinne, dass er nichts leisten würde, ist der Nachhaltigkeitsrat jedenfalls nicht. Nachdem er Anfang des Jahres ein Gutachten zu den Agrotreibstoffen vorgelegt hatte, wurde vor ein paar Wochen eine 50-seitige Stellungnahme zur Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen abgeschlossen. Angesichts der wenig entwickelten Diskussion zu diesem Thema enthält das Dokument viele interessante Anregungen. Der CSDD plädiert für eine bessere Planung und Kontrolle der Budgetausgaben, ähnlich dem französischen „Performance-orientierten Budgetsystem“. Außerdem spricht er sich für die Schaffung eines staatlichen Investmentfonds (fonds souverain) aus. Böse Zungen behaupten, damit mache der Rat auch noch der Handelskammer Konkurrenz – schließlich hatte diese den gleichen Vorschlag ein paar Wochen zuvor gemacht.

Soziale Schwäche

Darüber hinaus stellt der Nachhaltigkeitsrat die Zukunftsfähigkeit des Luxemburger Modells in Frage: „Es müssen vor allem heutige Entscheidungen verhindert werden, die ein langfristiges Ausgabenwachstum in späteren Jahren initiieren, dem keine einigermaßen sichere vergleichbare Steuereinnahmendynamik gegenübersteht.“ Es soll sogar, in Anlehnung an den Ökophilosophen Hans Jonas, „der jeweils schlechteren, pessimistischeren Prognose der Vorrang gegenüber der optimistischen und günstigeren gegeben werden?. Solche Ideen sind zwar nicht völlig neu, sie werden aber vom CSDD detailliert begründet und auf ihre Konsequenzen geprüft. René Winkin, der die Arbeiten zu diesem Thema koordiniert hat, gibt sich gegenüber der woxx erfreut darüber, dass diese Themen angeschnitten wurden. Im Conseil économique et social, dessen Innenleben er als Fedil-Generalsekretär gut kennt, seien sie leider tabu. „Es kann nichts Verwertbares zum Staatsbudget herauskommen, wenn man jeden überschüssigen Euro ausgeben möchte und Fragen zur Nachhaltigkeit als Schwarzmalerei abtut“, klagt Winkin in Anspielung auf die gewerkschaftlichen Positionen zu solchen Themen.

Zum Teil mag die weniger verkrampfte Herangehensweise des Nachhaltigkeitsrats daran liegen, dass seine Mitglieder als Personen nominiert sind und nicht als InteressenvertreterInnen. Doch Redings Rücktritt, parallel zu jenem der beigeordneten LCGB-Generalsekretärin Viviane Goergen, lässt einen Verdacht aufkommen: Durch das Fehlen der Beiden wurde die Diskussion zwar einfacher, aber auch weniger repräsentativ für bestimmte Sensibilitäten. Sowieso kam bereits die Themenstellung – Nachhaltigkeit als Zahlenspiel statt als vernetztes Denken – wohl dem wirtschaftsliberalen Flügel innerhalb des CSDD entgegen. André Hoffmann, Mitglied des Rates und ehemaliger Abgeordneter von „Déi Lénk“, stellt auf der Website seiner Partei (goosch.lu Nr. 201) fest: „Als die parlamentarische Finanzkommission den Nachhaltigkeitsrat beauftragte, ein Gutachten zur Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen auszuarbeiten, mag das die erste Falle gewesen sein.“

Er beschreibt kurz den Werdegang des Dokuments aus seiner Sicht: Ein externer, wirtschaftsliberaler Experte habe ein erstes Dokument verfasst, „das zwar wertvolle Hinweise etwa zu den Methoden langfristiger Budgetplanung und zu der Problematik des Wachstums enthielt, aber streckenweise sich auch las wie ein Abklatsch von OECD- oder Fontagné-Gutachten“. Die darauf folgende Diskussion habe „die einseitige wirtschaftliberale Dogmatik“ abgeschwächt mit Fragen zur sozialen Gerechtigkeit und verteilungspolitischen Überlegungen. Herausgekommen sei, schreibt Hoffmann, „ein Gutachten, das die wirtschaftsliberale Verankerung der ersten Version nicht vollends abgestreift hat, das immerhin aber einige Türen offen lässt für spannende Auseinandersetzungen“.

Die Nachhaltigkeitsfalle

Sieht man sich das Ergebnis an, so kann man sich dieser Einschätzung anschließen. Allerdings wurde wohl nicht nur der soziale Flügel ein Stück weit über den Tisch gezogen. Nach dem Ergebnis zu urteilen ist es dem ökologischen kaum besser ergangen. Blanche Weber, Präsidentin des Mouvement écologique und ebenfalls Mitglied des CSDD, gibt sich gegenüber der woxx zurückhaltend: Positiv sei jedenfalls, so Weber, dass die großen Fragen mit klaren Worten angesprochen würden.

Diese Aussage ist zum Teil nachvollziehbar. Die Stellungnahme des Rates benennt die negativen Folgen des Wachstums: „Drückt ein solches Wachstum durch den dafür erforderlichen permanenten Strom von Einwanderern oder Berufspendlern, durch den Flächen- und sonstigen Ressourcenverbrauch und die zunehmende Risikoanfälligkeit des Systems dem Land nicht Folgelasten auf, die künftige Generationen bezahlen müssen?“ Was auf Seite 6 noch als offene Frage dargestellt wird, klingt auf Seite 32 bereits viel suggestiver: „Wenn das Wachstum immer größere Löcher in das staatliche Zukunftsbudget reißt, müssen eigentlich das Wachstum und das darauf angewiesene Modell grundlegend in Frage gestellt werden.“ Dafür ist aber die ökologische Dimension unterwegs verloren gegangen. Die langjährige Erkenntnis alternativer Wirtschaftswissenschaftler, dass Wachstum – nicht nur im Falle Luxemburgs – durch seinen Impakt auf Umwelt und Lebensqualität – mehr kosten kann als es einbringt, findet sich im Gutachten nicht wieder.

Doch auch rein finanzpolitisch sieht der CSDD Luxemburg in einer Nachhaltigkeitsfalle: „Der demografische Wandel der Gesellschaft in Verbindung mit der gegebenen Pensionsausstattung führt zu einer Ausgabendynamik, der die bisherige Einnahmenstruktur nicht folgen kann. Die Finanzierungsrisiken werden umso größer, als einige der bisher zur Verfügung stehenden Steuerquellen im europäischen Harmonisierungsprozess zu versiegen drohen.? Detailliert wird untersucht, wie bisher die Steuerfinanzierung hohe Sozialausgaben mit niedrigen Sozialbeiträgen ermöglicht hat, und so die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes erhöht hat. Weil aber die Möglichkeiten, das Ausland über Steuernischen bei Treibstoff, Zinsen oder E-Commerce mitbezahlen zu lassen, ausgereizt oder sogar bedroht sind, kann das Modell nicht harmonisch weiterwachsen.

Interessant in Zeiten der Angriffe auf den Finanzplatz ist, dass Steuerdumping grundsätzlich als „wenig nachhaltig“ bezeichnet wird. „Für die wirtschaftsnahen Mitglieder war das nicht ohne“, betont René Winkin, „immerhin sprechen sich Wirtschaftsverbände häufig für die ?concurrence fiscale‘ aus.“ Beim Thema „Grenzen des Wachstums“ scheint der CSDD Pionierarbeit in Sachen Konsensfindung geleistet zu haben, denn auch André Hoffmann findet: „Die Linke darf das Nachhaltigkeitsthema nicht den Liberalen überlassen. Links steht für egalitär – auch zwischen den Generationen.“ Allerdings müsse die egalitäre Logik auch im Hier und Jetzt gelten, innerhalb Luxemburgs wie auch zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.

Auch hier finden sich mutige Aussagen in der Stellungnahme: So wird gefordert, Luxemburgs „Produktionsweisen sowie Konsumstile durch ökologische Zukunftsvorsorge an die natürlich gegebenen Knappheiten und den berechtigten Nachholbedarf in Entwicklungsländern anzupassen.“ Andererseits wird der – kostspielige – Zukauf von CO2-Emissionsrechten angesprochen, ohne dass diese Vorgehensweise grundsätzlich kritisiert wird. Dabei steht sie eigentlich im Widerspruch zur Anerkennung des Nachholbedarfs der Entwicklungsländer.

Kostenwahrheit statt Ökosteuern

Die größte Lücke des CSDD-Dokuments im Umweltbereich klafft allerdings bei den steuerlichen Maßnahmen. Das Gremium konnte sich nur zu Vorschlägen im Bereich der Gemeindefiskalität durchringen. Neben der Überlegung, „Bürger und Unternehmen in stärkerem Maße zur direkten Finanzierung der von ihnen bei konkreten Leistungen verursachten Kosten heranzuziehen“, geht es dabei vor allem um eine Erhöhung der Grundsteuer. Ob diese, an sich richtige Forderung, wie vom Nachhaltigkeitsrat dargelegt, ausreichen wird „zur Kompensation ausfallender Steuereinnahmen und zur Förderung der kommunalen Finanzautonomie“, ist allerdings zweifelhaft. Vor allem fällt auf, dass Überlegungen zu einer nachhaltigen Steuerreform wie in Schweden oder in Deutschland „vergessen“ wurden.

„Das Prinzip, den Verbrauchern die wahren Kosten der natürlichen Ressourcen über Steuern und Taxen in Rechnung zu stellen, ist doch eigentlich schon nachhaltig“, findet René Winkin. Und erklärt, warum sich ausländische Ökosteuer-Modelle nicht auf Luxemburg übertragen lassen: So hat der deutsche Staat durch die Erhöhung der Treibstoff- und Mehrwertsteuer mehr Geld eingenommen und konnte die Lohnnebenkosten senken. In Luxemburg dagegen ist der Ertrag dieser Steuern weitgehend optimiert. Eine Erhöhung führt zu einem Rückgang des Verbrauchs – weniger Tank- und Tabaktourismus – und damit zu geringeren Einnahmen. Interessanterweise bezeichnet Winkin den Weg einer Erhöhung der direkten Steuern – in Wirtschaftskreisen eigentlich ein Tabu – als mögliche Option.

Doch solche Einsichten ändern nichts daran, dass das Gutachten als Ganzes wirtschaftsliberal geprägt ist. So wird an einer einzigen Stelle die Rolle des Haushaltes als Instrument politischer Gestaltung gewürdigt: „Das Staatsbudget [soll] unabhängig von der Defizitproblematik und dem damit verbundenen rein quantitativen Aspekt durch die Struktur der Ausgaben und Einnahmen einen aktiven qualitativen Nachhaltigkeitsbeitrag leisten.“ Doch im gleichen Abschnitt rutscht man dann vom Was der staatlichen Besteuerung und Finanzierung zum Wie der dauerhaften Finanzierbarkeit, gepaart mit „Good Governance“, will heißen „effektiv, effizient, transparent und einer öffentlichen Bewertung zugänglich“.

Bedeutsame inhaltliche Fragen wie Integration, Demografie und Ausbildung werden nur kurz angeschnitten, jene einer zukunftsfähigen großregionalen Wirtschaftsstruktur gar völlig ausgeblendet. Dafür wird der Rentenfrage – und damit der Verzichtsthematik – viel Platz eingeräumt. Nicht unbedingt zu Unrecht, gibt André Hoffmann zu. „Das Konsumverhalten im Sinne der Nachhaltigkeit zu beeinflussen ist legitim“, findet er. „Weniger Fleisch, weniger exotische Produkte, dafür mehr Gemüse und regionale Erzeugnisse, dagegen muss sich ein Linker nicht wehren.“ Auch ein unbegrenztes Wachstum der Luxemburger Wirtschaft hält er für unnachhaltig. Doch den Prognosen einer „Rentenmauer“ für 2050 steht er skeptisch gegenüber. „Zu unpräzise, um deswegen schon heute an den Renten zu schnippeln“, so Hoffmann. Allerdings könne man durchaus über eine langfristige, aber bitte egalitäre Finanzierung nachdenken.

Hü und hott vor der Rentenmauer

Ohne den Ausdruck „Rentenmauer“ zu verwenden, wird allerdings in der CSDD-Stellungnahme Handlungsbedarf suggeriert. Der Rat sei, so heißt es verklausuliert und leicht ironisch, „an einer Antwort auf die Frage inte-
ressiert, welche Anpassungsmaßnahmen zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Rentenversicherungssystems Politik und Sozialpartner vorschlagen oder ob sie etwa über Erkenntnisse verfügen, dass die nationalen und internationalen Expertenvoten für Luxemburg nicht zutreffen“. Relativiert wird diese Aussage dann wieder an anderer Stelle, wenn vor Anpassungen auf der Ausgabenseite die „Steuer- und Beitragsquellen, unter Berücksichtigung des sozialen Ausgleichs“ geprüft werden sollen.

Die meisten Bauchschmerzen bereiten André Hoffmann die Passagen des Dokuments zum Thema öffentliche Dienstleistungen und Güter. „Die Endfassung lässt alle Optionen offen, doch die Ideen einer Einschränkung öffentlicher Leistungen und von weniger Staat sind noch immer präsent.“ Das ist wenig verwunderlich wenn man weiß, dass der Umweltökonom Dieter Ewringmann als Experte und Autor herangezogen wurde. Er hat bereits mehrere – als liberal kritisierte – Studien zu Ökosteuern, Kyoto-Verpflichtungen und Wasserwirtschaft für die Regierung und den Mouvement écologique erstellt.

Auch nachdem eine Reihe von Hinweisen auf die Sozialverträglichkeit in den Text eingebaut wurden, basiert er immer noch auf liberalen Ideen. Auch ein sozial abgefederter Abbau der universellen Versorgungsleistungen des Staates steht im Widerspruch zum Solidaritätsprinzip. Immerhin wurde die hochsensible These, die Lohnindexierung stelle ein Problem dar, gestrichen. Dafür werden die „Automatismen“ bei den Staatsausgaben kritisiert – ohne anzuführen, was damit gemeint ist.

Dass die Endfassung der CSDD-Stellungnahme sich wie ein Flickenteppich liest, erinnert an die Kompromisstexte des Wirtschafts- und Sozialrats. Allerdings sind die hier aufgegriffenen Ideen erfrischender – was man leider von dem trockenen bis verklausulierten Stil nicht sagen kann. Die interessanten, langfristigen Überlegungen zur Nachhaltigkeit werden es schwer haben zu einem Zeitpunkt, wo die PolitikerInnen mit kurzfristigem Krisenmanagement befasst sind. Es bleibt zu hoffen, dass die Stellungnahme nicht nur als Ideen-Steinbruch bei den Budget-Debatten dient, sondern auch den Anstoß zu einer öffentlichen Diskussion über das Luxemburger Modell liefert.

Der am 16. Oktober veröffentlichte Text der Stellungnahme kann auf der Regierungs-Site www.gouvernement.lu unter „Salle de Presse / Communiqués“ heruntergeladen werden.


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