WIRTSCHAFTSPOLITIK: Irrwege aus der Krise

In Europa versuchen liberale Dogmatiker, konsequente Konjunkturprogramme zu verhindern. Und die industriellen Lobbies lenken die Programme in eine falsche Richtung.

Im Angesicht der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise ist Europa dabei, zwei Fehler zu begehen, die böse Folgen haben dürften. Zum einen besteht die Gefahr, dass zu wenig Geld für Konjunkturpakete ausgegeben wird. Zum anderen könnte ein großer Teil dieses Geldes falsch ausgegeben werden.

Zwar gibt es einen erstaunlich breiten Konsens, über die Rettung des Finanzsystems durch staatliche Interventionen hinaus, nun auch die Konjunktur mit öffentlichen Geldern anzukurbeln. Doch der plötzliche Pragmatismus vieler Anhänger neoliberaler Dogmen scheint, insbesondere in Europa, ihre Überzeugungen nicht angekratzt zu haben. Von den Zentralbankiers bis zu den Editorialisten der Wirtschaftspresse warnt der liberale Mainstream weiterhin vor zu viel Staat und hält am Primat der Inflationsbekämpfung fest. Diese Haltung dürfte sowohl die Re-Regulierung der Finanzwelt als auch die Verabschiedung konsequenter Konjunkturprogramme in den kommenden Jahren behindern.

Auch der Verwendungszweck der Finanzspritzen ist problematisch. Ein Schwellenland wie Südkorea will in den kommenden fünf Jahren mit über 80 Milliarden Dollar Projekte in Bereichen wie Informationstechnologie und alternative Energien fördern. Europas Industrienationen dagegen überlegen, wie man einen veralteten Wirtschaftszweig wie die Automobilindustrie wieder fit macht. Auch Luxemburgs Politiker sind besorgt, denn viele Autozulieferfirmen haben sich hier angesiedelt. „Wenn die US-Regierung mit Milliarden von Dollars Ford, GM und Chrysler vor der Pleite rettet, dann können wir nicht einfach zusehen und unsere Hersteller in Europa allein lassen“, erklärte Jean-Claude Juncker der Bild-Zeitung. Und der Sozialist Robert Goebbels plädierte im Europaparlament dafür, sich den Erhalt dieses Sektors etwas kosten zu lassen.

Solche Reaktionen sind verständlich. Zulieferbetriebe eingerechnet, beschäftigt der Automobilsektor Tausende von Menschen in Luxemburg und Millionen in Europa. Trotz den Herausforderungen von Klimaschutz und Erdölknappheit prognostiziert eine Studie des Internationalen Währungsfonds eine Verfünffachung des weltweiten Autobestands bis 2050. Warum sollte Europa nicht auf dieses Pferd setzen und dabei, wie Juncker empfiehlt, „angesichts der finanziellen Belastungen durch die Wirtschaftskrise im Klimaschutz etwas langsamer vorangehen“?

Der Haken bei der Sache: Klimaschutzmaßnahmen lassen sich nicht mehr auf übermorgen verschieben. Und: Eine der einfachsten Maßnahmen ist die Verkleinerung des erdölbetriebenen Fuhrparks. Vor allem aber werden die prognostizierten über zwei Milliarden zusätzlichen Wagen nicht in den Industrieländern fahren, sondern in den Schwellenländern. Die Frage ist nicht, wie Robert Goebbels suggeriert, ob in Europa „nur noch japanische Wagen aus chinesischer Fertigung fahren werden“, sondern ob es Sinn macht, die Autos für den Rest der Welt in Europa und den USA herstellen zu wollen.

Krisen sind auch Zeiten der Herausbildung neuer Strukturen und Gleichgewichte. Statt sich auf die Rettung eines auf fossile Energie fixierten Industriesektors zu konzentrieren, sollte Europa nach vorne blicken. Die staatlichen Gelder gehören in neue Antriebstechniken für PKWs und vor allem in öffentliche Verkehrsmittel investiert. Beschleunigt durch die Wirtschaftskrise wird sich der Schwerpunkt wirtschaftlicher und politischer Entscheidungsgewalt von den Industrie- zu den Schwellenländern verlagern. Ein grünes Hightech-Europa würde dann sicher noch einen Beitrag zum Wohlergehen der Menschheit leisten können. Ein Kontinent, der beim Klimaschutz versagt und auf den Export von schmutziger, teurer und veralteter Technologie gesetzt hat, dagegen nicht.


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