LEIHARBEIT: Harte Landung

Die Zeitarbeiter gehören zu den ersten Opfern der Wirtschaftskrise. Nach einem jahrelangen Boom der Interimsbranche erweisen sich die unsicheren Beschäftigungsverhältnisse für sie als Bumerang.

In der Arbeitslosenstatistik fallen sie so gut wie nicht auf: Mehr als drei Viertel der Zeit- beziehungsweise Leiharbeitskräfte sind Grenzgänger und müssen sich in ihrem jeweiligen Land arbeitslos melden.

Fred* ist am Ziel. Er hat einen Job. Es ist nicht sein erster. Aber dieses Mal scheint es endlich etwas auf Dauer zu sein. Der Facharbeiter aus Audun-le-Tiche arbeitet für eine Zeitarbeitsfirma bei einem Autozulieferer in Luxemburg. Der 28-Jährige hofft auf eine Festanstellung. Seine Vorgesetzten bescheinigen ihm gute Aussichten. Doch dann beginnt die globale Finanzkrise, die schnell zu einer Wirtschaftskrise wird und die Welt in eine Rezession treibt. Die Autoindustrie erwischt es besonders heftig, die Konjunkturdaten zeigen in den Keller. Das gilt auch für die von ihr abhängigen Unternehmen. Luxemburg bleibt nicht verschont. Und Fred ist seinen Job los. „Meine Pläne für die Zukunft sind zunichte“, sagt der Familienvater. „Jetzt eine Stelle zu finden, ist noch schwieriger als vorher. Meine Zeitarbeitsfirma hat sich seither nicht mehr gemeldet.“

In ihrem jüngsten Bulletin prognostiziert die Luxemburger Zentralbank für 2009 einen Rückgang des Wirtschaftswachstums auf null Prozent. Vor einem Vierteljahr war noch von einem Anstieg des Bruttoinlandprodukts um vier Prozent die Rede. Die EU-Kommission sagt für das Großherzogtum 0,5 Prozent voraus, die Statistiker des Statec sind noch pessimistischer und haben ein negatives Wachstum von -0,6 Prozent berechnet. Nach den Worten von Statec-Direktor Serge Allegrezza handelt es sich um „historisch schwache Zahlen für Luxemburg“.

Weil die Nachfrage in der Autoindustrie weltweit eingebrochen ist, haben die meisten Konzerne die Produktion gedrosselt und ihre Beschäftigten in den verlängerten Weihnachtsurlaub geschickt. Die Auswirkungen auf die in Luxemburg ansässigen Autozulieferer ließen nicht lange auf sich warten. Besser Kurzarbeit als Arbeitslosigkeit, lautet die Devise von Arbeitsminister François Biltgen. Jene ist oft das letzte Mittel, um Kündigungen zu vermeiden. Im November bewilligte das Konjunkturkomitee 53 Betrieben Kurzarbeit, etwa hundert hatten einen Antrag eingereicht, so viele wie nie zuvor. Betroffen sind nach Regierungsangaben mehr als 4.000 Beschäftigte, die während der Kurzarbeit auf 20 Prozent ihres Gehalts verzichten müssen. Nach einem kürzlich eingereichten Gesetzentwurf soll der Staat den Firmen bei der Entlohnung unter die Arme greifen. Bei der Mehrheit der Betriebe handelt es sich um Industrieunternehmen, viele davon sind Autozulieferer. Biltgen erwartet sogar eine Zunahme der Kurzarbeit. Ein Blick ins Ausland lässt Schlimmes ahnen: Im Januar werden in Frankreich etwa 3.000 Renault-Mitarbeiter weniger arbeiten, im Daimler-Stammwerk in Sindelfingen sind es rund 20.000 Beschäftigte. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erwartet in Deutschland für das nächste Jahr 200.000 Kurzarbeiter.

Wie einer von der luxemburgischen Handelskammer vorgestellten „Eurochambres“-Umfrage zu entnehmen ist, will die Mehrheit der hiesigen Unternehmen zwar ihre Mitarbeiterzahl beibehalten, ein Anstieg der Arbeitslosigkeit wird sich jedoch nicht aufhalten lassen. Ende November waren davon 10.801 Personen betroffen, die knapp 3.000 in Beschäftigungsprogrammen nicht mitgerechnet. Damit ist die Zahl der Stellensuchenden im Verlauf von sechs Monaten um mehr als tausend gestiegen. Der Statec geht für das kommende Jahr von einer Arbeitslosenquote von 5,2 Prozent aus, im Jahr 2010 von mehr. Die OECD prognostiziert für Luxemburg eine Quote von 6,5 Prozent (2009) und sieben Prozent (2010). Neue Stellen werden in nächster Zeit kaum geschaffen. Das Jobwunder der vergangenen Jahre ist Geschichte.

Als erste hat die Krise die Beschäftigten von Zeitarbeitsfirmen erwischt. Die Betriebe gaben ihre Leiharbeiter zurück, um die Kosten zu senken. Einen „deutlichen Rückgang“ stellt Bernd Hallmanns fest, der bei der „Administration de l´emploi“ (Adem) für den Interimsektor zuständig ist. Der Jobvermittler, der als Bindeglied zwischen Stellensuchenden, Adem und Zeitarbeitsfirma fungiert, befürchtet eine weitere Verschlechterung im Januar. Auch in der Interimsbranche sind vor allem die Beschäftigten in der Industrie, nicht zuletzt bei den Autozulieferern, aber auch Büroangestellte von der Krise betroffen. „Wir haben zurzeit keine Beschäftigten auf Leihbasis“, meldet der Sprecher eines großen Unternehmens des Sektors. Doch in der Arbeitslosenstatistik fallen die Leih- bzw. Zeitarbeiter so gut wie nicht auf: Mehr als drei Viertel der Zeit- beziehungsweise Leiharbeitskräfte sind Grenzgänger. Sie müssen sich in ihrem jeweiligen Land arbeitslos melden. Die zweitgrößte Gruppe ist die der in Luxemburg lebenden Ausländer. Der Anteil der Luxemburger ist gering und liegt bei zwei Prozent.

„Die Krise hat uns plötzlich und sehr schwer getroffen“, bestätigt Jean-Pierre Mullenders, Direktor von Randstad Luxemburg. Der Rückgang beläuft sich nach seiner Einschätzung auf bis zu 20 Prozent, allerdings je nach Sektor unterschiedlich. Trotz Finanzkrise sei der Bankensektor einigermaßen ungeschoren davongekommen. Anders sehe es in der Stahlindustrie und in anderen Bereichen des produzierenden Gewerbes aus, stellt Mullenders fest. „Wir sagen jedem, der zu uns kommt, dass die Situation zurzeit schwierig ist“, sagt er. Zumindest ein Aspekt stimmt den Randstad-Direktor trotzdem optimistisch: Unter denen, die zuerst wieder eingestellt werden, seien sicherlich die Leiharbeiter.

Etwa hundert Betriebe haben Kurzarbeit eingereicht ? so viele wie nie zuvor.

„Die Leiharbeit ist ein Indikator für den restlichen Arbeitsmarkt“, erklärt Bernd Hallmanns. Sie gilt als eine Art Frühwarnsystem. Zeitarbeiter werden eingestellt, wenn das Geschäft gut läuft, und sie werden wieder entlassen, wenn die Aufträge zurückgehen. In den vergangenen Jahren boomte die Branche. Die Zahl „Mitarbeiter im Kundeneinsatz“, kurz MIK genannt, verdreifachte sich in den vergangenen zehn Jahren auf mehr als 10.000, seit 1995 wurde sogar mehr als das Siebenfache an Zeitarbeitsverträgen unterschrieben. Mit einem Anteil von 1,6 Prozent am gesamten Arbeitsmarkt lag Luxemburg lange Zeit unter dem europäischen Durchschnitt von 1,8 Prozent, bevor er innerhalb von zwei Jahren auf 2,4 Prozent kletterte. Das Jobwunder war also nicht zuletzt ein Zeitarbeitswunder.

Doch wie ein schlechtes Omen gingen die Zuwachsraten der Branche bereits im Sommer zurück: Beliefen sie sich zu Jahresbeginn noch auf etwa zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr, waren es im Juli nur noch vier Prozent.

Ihr einstiges Schmuddelimage, das sie in mehreren Ländern besaßen, haben die Personalagenturen mit unterschiedlichem Erfolg abzubauen versucht. Im Vergleich zu früher gehörten in den vergangenen Jahren nicht nur verzweifelte Arbeitslose zur Klientel. „Es sind zunehmend junge Leute Mitte zwanzig und Berufsanfänger, die eine befristete Arbeit zur Orientierung nutzen“, stellt die Stellenvermittlerin einer großen Zeitarbeitsfirma fest, die nicht genannt werden möchte. „Sie wollen mit Zeitarbeit erste Erfahrungen sammeln und nutzen sie als Sprungbrett für eine langfristige Anstellung.“ Auch sind es nicht mehr nur Jobs aus den Niedriglohnsektoren, die angeboten wurden. Neben Aushilfstätigkeiten auf dem Bau, in der Industrie, Reinigungsbranche und im Hotel- und Gaststättengewerbe gab es Stellen in der Verwaltung oder bei Banken. Immer häufiger waren hoch qualifizierte Zeitarbeiter gefragt. Auch bei Akademikern gewann der Interimsektor an Attraktivität, ob als selbst gewähltes Sprungbrett oder als letzter Ausweg nach der x-ten Ablehnung. Während die Nachfrage nach MIK mit Universitätsabschluss zunahm, sanken die Chancen für Bewerber ohne Ausbildung und genügend Sprachkenntnisse. Mittlerweile hat sich der Wind wieder gedreht: Zurzeit sei es sehr schwierig, so ein Vermittler, einen Diplomierten über eine Zeitarbeitsfirma unterzubekommen. Vom Sprungbrett aus sind sie hart gelandet.

Dagegen sind die Vorteile der Branche für die Zeitarbeiter selbst Nachteile. Deren Einsatz dauert zwar im Schnitt ungefähr 20 Tage, nicht selten aber – vor allem in der Gastronomie und im Reinigungsgewerbe – nur zwei oder drei Tage. Im Finanzbereich hingegen sind die Einsätze in der Regel mehrere Monate lang. Doch um zum Beispiel Krankengeld ausgezahlt zu bekommen, muss man sechs Monate am Stück sozialversichert sein. Zudem ist vorgeschrieben, dass die Mission eines MIKs bei einem bestimmten Kunden nur zwei Mal verlängert werden kann. Maximal ein Jahr darf er bei einem Kunden arbeiten. Dann heißt es wieder Abschied nehmen vom inzwischen vertraut gewordenen Arbeitsplatz. Ziel vieler sei es, von der Firma übernommen zu werden, sagt Jean-Pierre Mullenders. Dies sei bei 35 bis 40 Prozent der Fall. „Dann verlieren wir zwar einen Zeitarbeiter“, sagt der Randstad-Direktor. „Andererseits ist dies auch Werbung für uns.“

Ex und hopp – eine bequeme Sache für Arbeitgeber, denn ein Anruf bei einer der Branchengrößen wie Randstad, Adecco oder Manpower oder der insgesamt bis zu 40 zumeist auf bestimmte Sektoren spezialisierten Zeitarbeitsagenturen genügt und schnell steht eine Aushilfskraft zur Verfügung. Was für Unternehmen Flexibilität bedeutet, ist für die Arbeitnehmer jedoch Unsicherheit. Nach wie vor gelten Leiharbeiter oft als Beschäftigte zweiter Klasse. In den meisten Ländern sind sie schlechter bezahlt, in Deutschland durchschnittlich bis zu 15 Prozent. Dies gilt nicht für Luxemburg: Hier müssen die MIKs nach einem Gesetz von 1994 genauso bezahlt werden wie die Festangestellten. Sie haben demnach zumindest auf dem Papier dieselben Rechte und gelten als gleichgestellt.

Allerdings gilt der Vertrag eines Zeitarbeiters hierzulande nur für die Dauer eines Einsatzes. Während der Kontrakt in Deutschland auch dann weiterläuft, wenn der MIK nicht eingesetzt wird und die Agenturen zur Lohnfortzahlung verpflichtet sind, geht der Kollege in Luxemburg leer aus. „Dann muss er sich gleich am nächsten Tag im Arbeitsamt melden“, erklärt Bernd Hallmanns. Für die Grenzgänger ist die Luxemburger Adem allerdings nicht zuständig. Mit einem so genannten E301-Formular müssen sie sich an das zuständige Arbeitsamt in ihrem Herkunftsland wenden. Doch auch in dieser Hinsicht werden nicht alle gleich behandelt: Während das Arbeitslosengeld in Belgien und Deutschland relativ schnell ausgezahlt wird, heißt es für die Franzosen, die zwei Drittel der Leiharbeiter ausmachen, erst einmal auf die Auszahlung warten. Um schnell wieder einen Kundeneinsatz zu ergattern, sind viele Zeitarbeiter bei mehreren Agenturen gleichzeitig gemeldet. Was durchaus erlaubt ist, wie Kenner der Branche betonen. Doch sie wissen auch: Die momentane Situation ist so schwierig wie noch nie. „Der Druck ist groß“, sagt Fred, „einerseits muss ich meine Rechnung bezahlen, andererseits spannt mich das Arbeitsamt auf die Folter. Ich bin in der Warteschleife.“ Für ihn hat sich die Tätigkeit als MIK als Flop erwiesen.

*Name von der Redaktion geändert


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