Klima retten, dadurch die Krise überwinden und Arbeitsplätze schaffen? Die Ökologisierung der Wirtschaft löst keine sozialen Probleme, sondern schafft neue – und ist dennoch unumgänglich.
„Die Krise ist eine Chance.“ Diesen Satz hat man in den vergangenen Monaten häufig gehört, von Premierministern und Gewerkschaftlern, von grünen Politikerinnen und Nachhaltigkeitsexpertinnen. Gemeint ist, dass es auf die doppelte Herausforderung der zusammenbrechenden Wirtschaft und des drohenden Klimawandels eine gemeinsame Antwort gibt: Umstieg auf neue, grüne Technologien, die neues Wachstum auslösen und Arbeitsplätze schaffen. Studien des Europäischen Gewerkschaftsbundes, der Internationalen Arbeitsorganisation und des Worldwide Fund for Nature (WWF) versprechen einen „win-win“-Ausweg aus den wirtschaftlichen und ökologischen Problemen.
Doch für die Regierungen sind diese Überlegungen nur Stoff für Sonntagsreden. Weltweit wird zurzeit vor allem die Automobilindustrie gepusht, auf EU-Ebene werden die Klimaschutz-Maßnahmen immer weiter verwässert und in Luxemburg zögert man, erneuerbare Energien konsequent zu fördern. Dieser Unwille ist verständlich, denn eigentlich werden durch Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen auch viele Jobs zerstört. Erst mittelfristig führen diese Maßnahmen zu günstigeren Ergebnissen als im Falle eines Laisser-faire-Szenarios, bei dem die Erderwärmung zu einem umweltbedingten Wirtschaftskollaps führt. So schaffen die als „win-win“ angepriesenen Antworten auf die Krise zwar Arbeitsplätze in Sektoren wie der Altbausanierung, insgesamt jedoch ist die Bilanz keineswegs positiv – nur weniger katastrophal als die Alternative, nichts zu tun. Dies jedenfalls ist laut Dieter Ewringmann und Christian Schulz die Quintessenz der bestehenden Studien zu diesem Thema. Die beiden Experten berichteten am 3. Februar im Rahmen eines Seminars über Klimaschutz und Beschäftigung über ihre Ergebnisse.
Entlassungen – so oder so
Dass kurzfristige „win now“-Strategien attraktiver sind als das versprochene, aber nicht ganz ehrliche „win-win“, zeigt sich in Luxemburg am deutlichsten im Energiesektor: Die Wettbewerbsfähigkeit durch günstige Strom- und Gaspreise zu erhöhen, wie es Wirtschaftsminister Jeannot Krecké betreibt, mag standortpolitisch klug sein – dem Klimaschutz ist es nicht dienlich. Und die Aufrechterhaltung des Tanktourismus durch niedrige Spritpreise scheint unabdingbar für den Erhalt des Luxemburger Sozialsystems, setzt aber ein völlig falsches Signal in puncto großregionale Verkehrspolitik.
Anders als die „win-win“-Rhetorik suggeriert, besteht ein großes Konfliktpotenzial zwischen ökologischen Interessen einerseits, wirtschaftlichen und sozialen andererseits. Doch die Lösungen müssen all diese Interessen einbeziehen. „Es hat lange gedauert, bis wir an diesen Punkt gekommen sind“, so Krecké beim Seminar vergangene Woche. Für ihn hätten immer auch die Arbeitsplätze gezählt, für seine Kritiker dagegen offenbar nicht. „Das hat nichts gebracht“, so Kreckés Einschätzung der Grabenkämpfe der Vergangenheit.
Doch die von Ewringmann und Schulz in ihrem Bericht herausgearbeitete Konvergenz von ökologischen und sozialen Interessen zielt nicht einfach darauf ab, dass „Arbeitsplätze zählen“. Es ist eher so, dass der Strukturwandel aufgrund der Umweltprobleme und der Globalisierung die bestehenden Beschäftigungsstrukturen in jedem Fall destabilisiert. „Rein strukturkonservierende Maßnahmen können zwar die notwendigen Anpassungsschritte verzögern, sie erhöhen jedoch in aller Regel die Gesamtanpassungskosten und [verschlechtern] die Wettbewerbssituation in mittlerer und langer Sicht“, heißt es im Bericht. Für Luxemburg gilt: Energieintensive Sektoren sind wenig zukunftssicher und der Spritpreis wird so oder so steigen. Genau die Maßnahmen, die kurzfristig das Modell und die Arbeitsplätze erhalten, führen mittelfristig zu einem Entwicklungsrückstand. Wenn dann die „alten“ Jobs verschwinden, wird das Land nicht darauf vorbereitet sein, sie durch neue, nachhaltige Jobs zu ersetzen.
Qui tout embrasse…
„Die Umwelttechnologien helfen uns nicht aus der Krise, sie zielen eher auf die zukünftigen Entwicklungen ab“, so Kreckés Schlussfolgerung daraus, dass es nicht um „win-win“, sondern um Strukturwandel geht. Deshalb müsse man eine lange Transitionsperiode einplanen. Gerade in der jetzigen schwierigen wirtschaftlichen Lage sei die erste Priorität, Entlassungen zu vermeiden, obwohl die Produktion heruntergefahren wird. Auch Ewringmann spricht sich für Transitionsmechanismen aus, warnt aber: „Der Klimaschutz wird kommen. Je länger man ihn hinauszögert, umso mehr verspielt man seinen Standortbonus.“
Doch nicht nur zur Geschwindigkeit des Strukturwandels gibt es verschiedene Ansichten, wie weit er gehen wird dürfte auch umstritten sein. Bezieht man die Nord-Süd-Problematik ein, so stellen sich Fragen, die über den Horizont der erwähnten Studien hinausgehen. Im Sinne der sozialen Gerechtigkeit gilt es zum Beispiel langfristig, einen einheitlichen Pro-Kopf-CO2-Ausstoß für alle ErdbewohnerInnen anzupeilen, das wären höchstens zwei Tonnen pro Jahr. Die dafür erforderliche Senkung des Energieverbrauchs in den Indus-trieländern geht über das hinaus, was grüne Technik leisten kann, und bedingt eine drastische Veränderung des Lebensstils.
Andererseits, so notwendig diese Anpassungen auch sind, „wenn wir die Leute verunsichern, klappt’s nicht“, wie Krecké bemerkt. Auch OGBL-Präsident Jean-Claude Reding, der eigentliche Initiator des Seminars, warnte, es gebe in der Bevölkerung Ängste neue Wege zu gehen. Wenn ein Strukturwandel unvermeidlich sei und ohnehin Arbeitsplätze verschwänden, müsse man das wohl hinnehmen. „Aber wie sichert man die Leute ab?“, fragt sich Reding.
Umbauen statt abfedern
Dieter Ewringmann plädiert für eine Beschäftigungs- statt einer Arbeitsplatzgarantie – also ein System, in dem Entlassungen erleichtert werden, dafür aber die Vermittlung neuer Arbeitsplätze gut funktioniert. Weil die neuen „green jobs“ in der Regel eine Qualifikation verlangen, brauche man außerdem „eine betriebsübergreifende Arbeitnehmerfortbildung im Rahmen der Arbeitsverträge“. Als Entwicklungsland in Sachen Life long learning hat Luxemburg hier besonderen Nachholbedarf.
Um eine solche soziale Abfederung des Strukturwandels finanzierbar zu halten, schwebt Ewringmann vor, dass man auf bestimmte soziale Sicherheiten verzichtet, damit das Gesamtnetz sicher und nachhaltig wird. Für Luxemburg warnt er insbesondere vor der „Wachstumsseuche“, eine Anspielung darauf, dass das jetzige Rentensystem auf Dauer nur mittels ständigem Wirtschaftswachstums haltbar ist.
Das alles dürfte nicht nach dem Geschmack des OGBL-Präsidenten sein, der sich sorgt, wie ein „Mittelverdiener“ mit einem Monatsgehalt um 3.000 Euro mit einer Unterbrechung seiner Laufbahn durch Arbeitlosigkeit und Umschulung klarkommen werde: „Soll man dem sagen, er muss zurückschrauben?“, so Reding. Wenn man von Finanzierbarkeit rede, müsse man auch über die gesellschaftliche Verteilung des Reichtums reden.
Diese Haltung ist verständlich, doch sie ist schwer in Einklang zu bringen mit den langfristigen Zielen eines Nord-Süd-Ausgleichs. Bei zwei Tonnen CO2-Emissionen pro Kopf wird es zwar noch immer „Mittelverdiener“ geben, doch deren Verbrauch von Benzin, Fleisch und Flugreisen wird nichts mehr gemein haben mit dem, was sie sich heute für 3.000 Euro leisten können. Ein „Zurückschrauben“ auf ein anderes Konsumniveau ist unabdingbar. Akzeptabel ist es nur, wenn es dank funktionierender Sozialsysteme nicht gleichbedeutend mit Armut ist. Und wenn, im Sinne der von Reding geforderten gerechten Verteilung, auch die Besserverdienenden „zurückschrauben“ müssen.