CLINT EASTWOOD: Dirty Harry revisited

In „Gran Torino“ setzt die Legende Clint Eastwood sich und den Rollen die ihn bekannt machten ein Denkmal – und überzeugt dabei.

Wer hätte das gedacht: Dirty Harry rechnet mit sich selber ab.

Mit grimmiger Miene und unüberhörbarem Knurren verfolgt Walt Kowalski (Clint Eastwood) die lieblose Predigt von Vater Janovich (Christopher Carley) anlässlich der Beerdigung seiner geliebten Ehegattin. Dabei missfällt dem alternden Kriegsveteran und Ford-Arbeiter nicht nur das unpassende Outfit seiner Enkelin, sondern allgemein, das respektlose Benehmen seiner beiden Söhne und deren Familie. Walt Kowalskis erzkonservative Wertvorstellungen stammen aus einer längst vergangenen Zeit, dem Amerika der 50er Jahre, und mit großer Sorge beobachtet er deren schrittweisen Verfall. Seine Wohngegend, in einem Vorort von Detroit, ist heruntergekommen und wird von Banden aus Jugendlichen die aus dem Ausland stammen, kontrolliert. Als dann am Tag der Beerdigung seiner Frau auch noch eine chinesische Familie in das Nachbarhaus einzieht, ist für Walt das Maß voll. Völlig unverhohlen zeigt er den neuen Nachbarn seine Fremdenfeindlichkeit und sieht sich in seinem Weltbild bestätigt, als der Nachbarssohn Thao (Bee Vang) versucht Walts geliebten Ford Gran Torino von 1972 zu stehlen. Kowalski erwischt den jungen Dieb und erfährt, dass der versuchte Diebstahl lediglich ein Initiationsritual Thaos zur Aufnahme in eine Jugendgang ist. Er beschließt Thao unter seine Fittiche zu nehmen, doch die von Kowalski mitverschuldete Spirale der Gewalt dreht sich unaufhaltsam weiter.

In seinem voraussichtlich letzten Auftritt als Schauspieler macht es der mittlerweile 79jährige Clint Eastwood seinem Publikum alles andere als leicht. Sein Walt Kowalski ist ein komplexer, ambivalenter Charakter, der nur sehr eingeschränkt als Identifikationsfigur funktionieren kann. Erst nach und nach offenbart sich dem Zuschauer, dass unter der Fassade des fremdenfeindlichen, mitunter gar gefährlich auftretenden Grantlers im Grunde genommen ein von den Dämonen der Vergangenheit geplagter Einzelgänger steckt, der die stetigen Veränderungen seines Umfeldes überlebt hat, ohne sich ihnen jedoch anzupassen. Entsprechend fremd kommt ihm die Realität und insbesondere das Benehmen der Jugend vor. Einsamkeit und Entfremdung spielten in Eastwoods Regiearbeiten immer eine gewisse Rolle, jedoch auch das Festhalten an vergangenen Wertvorstellungen; es überrascht folglich nicht dass diese Themen auch in „Gran Torino“ eine tragende Rolle übernehmen.

Eastwood setzt sich in seinem letzten Auftritt als Schauspieler jedoch vor allem mit seiner Paraderolle als knallharter Cop aus San Fransisco namens Harry Callahan auseinander. Einerseits zitiert er seine Rolle als „Dirty Harry“ auf visueller und erzähltechnischer Ebene, indem er als Kowalski die für das Genre des Thrillers stilbildenden waffenstarrenden Posen Harrys imitiert oder ein ähnlich fragwürdiges Verständnis von Gerechtigkeit und Selbstjustiz an den Tag legt. Dabei scheint es jedoch so als sei sich Eastwood im reifen Alter durchaus der Fragwürdigkeit seiner früheren Rollen bewusst. Es kommt ihm als Regisseur von „Gran Torino“ jedoch nicht auf eine vollständige Dekonstruktion seines Images an, sondern auf eine Neubetrachtung dessen, was ihn früher als Schauspieler auszeichnete und berühmt machte: Walt Kowalski vereint nahezu alle Aspekte von Eastwoods früheren Rollen, und doch variiert er diesmal die Darstellung dieser Charaktereigenschaften und zeigt alternative Auswege aus der Spirale der Gewalt.

Falls „Gran Torino“ tatsächlich Eastwoods letzte Rolle bleibt, dann wird dem Film wohl auf ewig etwas Zeitloses anhaften, denn er ist gleichzeitig ein Résumé von und eine persönliche Stellungnahme zu Eastwoods beispielloser Karriere als Schauspieler. Sehr bewegend und empfehlenswert.

„Gran Torino“, im Utopolis und CinéBelval.


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