JOSEPH HAYDN: Vom Papa zum Kerl

Kaum ein Komponist wird so sehr unterschätzt wie Joseph Haydn. Sein 200. Todestag sowie ein Konzert in der Philharmonie regen dazu an, sein Schaffen neu zu bewerten.

Von Beethoven kennen Normalsterbliche die Fünfte und die Neunte, bei Mozart wissen sie um das bewegte Leben und den tragischen frühen Tod, doch von Haydn ist ihnen allenfalls der Vorname Joseph bekannt. Obwohl viel älter als die beiden anderen Gro-ßen der „Wiener Klassik“, überlebte er doch das „verkannte Genie“ Mozart um beinahe zwanzig Jahre, erlangte weltweite Berühmtheit und verstarb als 77-Jähriger am 31. Mai 1809, also vor fast genau 200 Jahren. Beethovens Image – als Vorläufer der Romantik – überdauerte die Jahrhunderte, und der bis in die 70er Jahre als hochbegabt, aber unaufregend geltende Mozart mutierte dank Shaffer (Theaterstück), Forman (Film) und Falco (Popsong) zum „poète maudit“ Amadeus. Vom Dritten im Bunde gilt dagegen immer noch das Klischee des „Papa Haydn“, „heiter – volkstümlich – kindlich – rein – gesund“, wie Jörg Handstein das Begriffskorsett charakterisiert, in das der Komponist seit dem 19. Jahrhundert gezwängt wurde.

Wer aber in Haydns Werk hineinhört, beispielsweise in die Sinfonien, findet Aufregendes in der Nr. 59 „Die Feuersbrunst“, Esprit in der Nr. 94 „Mit dem Paukenschlag“ und Feierliches in der Nr. 104 „London“. Der Komponist hatte, davon zeugt der gewaltige Werkkatalog, eine handwerkliche Herangehensweise an die Musik, doch das technische Können stand im Dienst seiner unerschöpflichen Fantasie und seiner Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten.

Gerade Langeweile riskiert man bei Haydn, anders als der Spitzname „Papa“ suggeriert, am wenigsten. Sein spätes Oratorium „Die Schöpfung“, immerhin fast zwei Stunden lang, strotzt von musikalischen Einfällen. So wird am Anfang das Chaos durch unvollständig wirkende musikalische Linien dargestellt, der Chor singt piano „Gott sprach, es werde Licht, und es ward …“, und lässt dann fortissimo das Wort „Licht“ explodieren, verstärkt vom Klang des gesamten Orchesters.

Vieles an der Musik von Haydn ist eingängig – doch das lässt sich auch von jener Mozarts sagen – und ist einfach ein Zeichen ihrer Kunstfertigkeit. Platt oder kitschig sind Haydns Werke nicht. Nach mehrfachem Hören wirken die Melodien und Modulationen schnell vertraut – doch nicht abgegriffen. Im Gegenteil, die Vertrautheit lässt einen neue Effekte und Strukturelemente heraushören.

Richtig ist, dass Haydn vieles mit Blick auf den Geschmack des Publikums komponierte, sei es der seines Brotgebers Fürst Esterhazy (1761-1790), oder jener der Londoner „High Society“ gegen Ende seines Lebens. Dieser Pragmatismus hat gewiss mit seinem Charakter zu tun – Dünkel wie Rebellion waren ihm fremd – aber auch mit seinem Lebensweg. „Es ist doch traurig, immer Sclav zu seyn: allein, die Vorsicht will es. Ich bin ein armes geschöpf!“, schrieb er 1790 an seine Vertraute Marianne von Genzinger. In der Tat musste sich der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Haydn stufenweise emporarbeiten, und das Vierteljahrhundert auf Schloss Esterhaza in der österreichisch-ungarischen Provinz gab ihm zwar materielle Sicherheit, schränkte aber seine Schaffensmöglichkeiten ein.

Die Entlassung 1790 bedeutete für den 58-Jährigen die große Chance, endlich frei über seine kompositorischen Prioritäten zu bestimmen – und dabei richtig Geld zu verdienen. Verständlich, dass der in jungen Jahren arg geschröpfte Haydn im Laufe der Zeit eine gewisse Geschäftstüchtigkeit entwickelt hatte, was den Umgang mit Auftraggebern und Verlegern anging. Doch für sein musikalisches Schaffen waren weder die materiellen Überlegungen, noch sein „väterliches“ Auftreten prägend. Richtig gespielt, wirkt seine Musik einfach bewegend und beeindruckend. Kein Geringerer als Johannes Brahms schrieb in Bezug auf Haydns „Londoner Sinfonien“: „Das war ein Kerl!“

Am 28. Mai wird in der Philharmonie das Oratorium „Die Schöpfung“ unter Adam Fischer aufgeführt.

Für Interessierte bietet die empfehlenswerte Gesamteinspielung der Sinfonien (Österreich-ungarisches Haydn-Orchester, Adam Fischer, 33 CDs, 50 Euro) einen guten Einstieg in die Vielfalt von Haydns Schaffen. Für 36 Euro mehr können besonders Mutige das 150-CD-Boxset erwerben – mit zum Teil weniger renommierten InterpretInnen.

Die Zitate stammen aus dem angenehm zu lesenden Sammelband „Haydns Londoner Symphonien“, Bärenreiter 2007.


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