PALLIATIVE CARE: Das andere Sterben

Nächstes Jahr soll in Hamm das erste Hospiz für Sterbenskranke eröffnen, betreut von Omega 90. Ein Pflegebereich, der nach wie vor unterentwickelt ist.

Hell und freundlich soll das neue Hospiz werden, das neben dem früheren Reha-Zenter in Hamm errichtet wird.

Einsam auf den Tod warten – das ist der Alptraum vieler Menschen. In zahlreichen Alten- und Pflegeheimen ist dies bittere Realität. Immer noch wird in unserer modernen Hightech-Welt das Thema Sterben und Tod verdrängt. Einerseits verspricht die Werbung ewige Jugend, die Medizin macht immer mehr Fortschritte, die das Leben verlängern – andererseits haben Alter, Schmerzen und unheilbare Krankheiten wenig Platz in unserer Gesellschaft: Herausgelöst aus dem Alltag und aus der Familie ist das Sterben in unserer Gesellschaft tabuisiert. So auch in der „Maschinerie Krankenhaus“, wo auf den Stationen das Pflegepersonal oft kaum Zeit hat, sich wirklich um todgeweihte Patienten zu kümmern.

Einen anderen Weg will deshalb die Hospizbewegung gehen: Hier werden die Menschen auf ihrem Weg in den Tod begleitet. Hospize wollen das Sterben in das Leben integrieren. Sie wollen eine menschenwürdige Alternative sein, wenn eine Krankenhausbehandlung nicht gewünscht wird und aus medizinischer Sicht nicht erforderlich ist. Oder eine Pflege zuhause nicht möglich ist, weil die todkranke Person alleine ist oder sich Angehörige aufgrund beruflicher Verpflichtungen oder Überforderung eine Pflege nicht mehr leisten können. „Das Hospiz stellt eine neue, komplementäre Struktur dar – zwischen dem Zuhause der Patienten, dem ambulanten Pflegebereich und dem Spital“, erklärt Michel Keilen, graduierter Krankenpfleger und Projektleiter bei Omega 90 – jenem Trägerverein, der im Auftrag der Regierung ab nächstem Jahr das sich im Bau befindende erste Hospiz in Luxemburg verwalten soll: In einer grünen Parkanlage in Hamm befindet sich der moderne, einstöckige Gebäudekomplex, in dem 15 Einzelzimmer für todkranke Menschen vorgesehen sind. Ihren Anfang nahm die moderne Hospizbewegung und die Palliativmedizin – der Begriff „Hospitium“ wurde im Mittelalter verwendet, um klösterliche Herbergen für Pilger, Bedürftige, Fremde oder Kranke zu bezeichnen – vor allem in den 60er Jahren in England. Sie geht wesentlich auf das von der Ärztin Cicely Saunders gegründeten „St. Christopher`s Hospice“ zurück, das für Menschen mit Tumorerkrankungen aber auch jeder anderen Erkrankung, die irreversibel zum Tode führt, gedacht war. In der Folge entstanden weitere stationäre Hospize in ganz Europa, zumeist von Bürgerinitiativen und kirchlichen Einrichtungen gegründet. Außerdem wurde der Bereich der ambulanten palliativen Pflege in den letzten Jahren ausgebaut – wenn auch bei weitem noch nicht zu Genüge.

„Palliative Care ist niemals als aktives Eingreifen in den Sterbeprozess zu verstehen. Es ist ein Sterben lassen“

Besonders im letzten Bereich konnte Omega 90 in den vergangenen zwanzig Jahren viel Erfahrung sammeln. So organisiert die Vereinigung seit 1992 eine Weiterbildung für Berufstätige aus dem Gesundheitswesen zu diesem Thema. Zusätzlich wurden seit den 90er Jahren Ehrenamtliche in „Palliative Care“ unterrichtet. „Der Begriff der Palliativpflege wurde von der Weltgesundheitsorganisation definiert und ist sehr weit gefasst“, erläutert Roland Kolber, Psychologe und Direktor von Omega 90. Hier gehe es darum den Patienten eine möglichst hohe Lebenszufriedenheit zu erhalten – wenn keine Heilung mehr möglich ist. Dazu gehöre die schmerzlindernde Palliativmedizin ebenso wie menschliche Zuwendung. „Palliative Care ist niemals als aktives Eingreifen in den Sterbeprozess zu verstehen. Es ist ein Sterben lassen“, so Kolber. Teil des Palliative Care sei somit auch das seit Jahren praktizierte und durch Gesetze geregelte Abschalten von medizinischen Geräten in dem Fall, wo ein Patient keine Gehirnaktivität mehr zeige. Und, wenn er in einer Patientenverfügung im Vorfeld seinen Willen diesbezüglich geäußert habe. Oder wenn eine Person aufgrund großer Schmerzen zusammen mit dem Arzt und der Familie beschließt, die Dosis der Schmerzmittel zu erhöhen – was als Konsequenz eine Verkürzung der Lebensdauer bedeuten kann. „Das ist keine Euthanasie. Sondern die Konsequenz eines medizinischen Handelns, das sinnlos geworden ist“, merkt Keilen an. Im Bereich des „Palliative Care“ kommen denn auch die Ehrenamtlichen von Omega 90 zum Zuge, deren Aufgabe es ist – sofern von dem Kranken gewünscht – den Menschen beim Sterbeprozess zu begleiten. „Im Moment haben wir 70 Freiwillige, die in den diversen Krankenhäusern oder Pflegeheimen aktiv sind“, meint Kolber. Dazu wurde mit betreffenden Krankenhäusern Konventionen unterschrieben, die das Aufgabenfeld der Freiwilligen präzisieren, da letztere ja keine Krankenpfleger ersetzen können. Neben den Weiterbildungen, die Omega mit Partnern auch auf der Ebene der Großregion koordiniert, besteht ein weiteres Aufgabenfeld der Organisation in der Trauerbegleitung. „Hier haben wir Fachkräfte, die sich um trauernde Familienmitglieder kümmern, die einen Angehörigen verloren haben“, so der Omega-Direktor.

Die Eigenbeteiligung eines Patienten im Hospiz darf jene im Krankenhaus nicht überschreiten.

Ganz anders in die Verantwortung genommen wird der Verein nun durch das neue Hospiz in Hamm. Die Einrichtung, die als Pilotprojekt gedacht ist, wird in den ersten drei Jahre über eine Konvention mit dem Familienministerium finanziert. Daneben soll sich die Finanzierung aus der Krankenkasse, der Pflegeversicherung und dem „Fonds de solidarité? sowie aus Spenden zusammensetzen. Problematisch sei einzig das Gesetz vom 16. März 2009 über Palliativversorgung, Patientenverfügung und fürsorgliche Betreuung am Lebensende. Die Anwendungsregeln dieses Gesetzes müssten noch einmal überarbeitet werden, fordern die Verantwortlichen bei Omega. Denn: „Die Eigenbeteiligung eines Patienten im Hospiz darf auf keinen Fall jene des Krankenhauses überschreiten“, verlangt Kolber. Problematisch sei dies insbesondere für jene Patienten, die nicht in der „Assurance dépendance“ sind. Daneben seien die Ausführungsbestimmungen der ambulanten Betreuungsnetze bisher nicht in der Lage, eine dem Gesetz entsprechende, qualitativ hochwertige palliative Versorgung zu gewährleisten. „Die ambulanten Dienste können keine 24 Stunden Betreuung garantieren“, sagt Kolber. „So können sie auch überforderte Angehörige, die ihren „congé social? schon aufgebraucht haben, nicht entlasten“, meint Kolber. Weil eine Pflege rund um die Uhr vom ambulanten Bereich nicht abgesichert werden kann, müssten letztlich viele Menschen am Ende ihres Lebens unnötigerweise ins Spital.

Die unzureichende ambulante Pflegeversorgung könnte auch mit eine Ursache sein, dass das neue Hospiz in Hamm nach seiner Eröffnung schnell ausgelastet sein wird. Jedoch soll – so die Verantwortlichen – die Anzahl der 15 Betten auf keinen Fall erhöht werden. „Ansonsten geht der familienähnliche Charakter der Institution verloren“, argumentiert Keilen.

„Die meisten Menschen wollen im Rahmen ihrer Familie sterben. Und dieser Wunsch ist mit allen Mitteln umzusetzen“

Das neue Hospiz in Hamm ist für jede Altersstufe ab dem Primärschulalter gedacht. „Die Überweisung ins Hospiz sollte in der Regel durch über den behandelnden Arzt passieren, nachdem die kurative Behandlung ausgeschöpft ist“, erklärt Michel Keilen das Prozedere. Die durchschnittliche Verweildauer in Hospizen liege bei drei Wochen. „Das bedeutet jedoch nicht, dass man wenn man einmal aufgenommen wurde, nicht mehr nach Hause kann“, stellt der Projektleiter fest. Zwar blieben die Bedürfnisse eines Menschen die Gleichen – ob er sich nun im Spital, zuhause oder im Hospiz befinde – jedoch stünden im Hospiz andere Mittel zur Verfügung, um eine Sterbebegleitung zu ermöglichen. So soll der sterbenskranke Mensch und seine Angehörigen durch ein multidisziplinäres Team – zu dem neben Pflegepersonal und Ärzten auch Sozialarbeiter, Psychologen und Krankengymnasten gehören – betreut werden. Ein weiteres Plus des Hospizes bestehe in der familiären Atmosphäre. In den 36 Quadratmeter großen Zimmern könne ganz bequem ein weiteres Familienmitglied wohnen. Rund um die Uhr bestehe zudem Besuchsrecht. Ebenso gäbe es in jedem Zimmer Internetanschluss, damit Betroffene auch mit entfernten Verwandten kommunizieren könnten. „Die meisten Menschen wollen im Kreise ihrer Familie sterben. Und dieser Wunsch ist für Omega mit allen Mitteln umzusetzen“, so Keilen. Entsprechend dem Motto des weltweiten Hospizgedankens „Hospiz ist weniger ein Ort, vielmehr eine Lebenshaltung“ wird auch in Hamm viel Wert auf eine freundliche Umgebung gelegt. So könne das Bett der Patienten auf die Terrasse ihres Zimmers geschoben werden, um den Wind und die Sonne zu spüren. Insgesamt ist das Hospiz-Gebäude mit seinem begrünten Wintergarten im Innenbereich so konstruiert, dass viel Licht hereinkommt. Freundliche Gesellschaftsräume, Flure ohne Medikamentenwägelchen und ein Raucherzimmer sollen eine wohnähnliche Atmosphäre erzeugen. „Es soll ein zweites Zuhause werden“, so Keilen. Auch Einrichtungsgegenstände können aufgestellt werden: „Ein Beistellmöbel, eigene Bücher oder Bilder für die Wand können die Patienten mitbringen. Das Zimmer soll persönlich sein und dennoch muss es als intensives Pflegezimmer genutzt werden können“, beschreibt Keilen das Wohnkonzept. Diese Pflege schließe die Sterbehilfe jedoch nicht mit ein. „Im öffentlichen Verständnis wird Palliativmedizin noch allzu oft mit Sterbehilfe gleichgesetzt“, kritisiert Keilen. Dabei bestehe in der Terminologie ein Unterschied zwischen Sterbebegleitung – „Palliative Care? – und aktiver Sterbehilfe oder Euthanasie auf der anderen Seite. Zwar müsse sich der Verwaltungsrat von Omega 90 mit der aktuellen Gesetzeslage in Luxemburg noch auseinandersetzen, nachdem die Chamber nach Belgien und Holland die aktive Sterbehilfe als Recht verankert hatte. „Weltweit wird in keinem stationären Hospiz aktive Sterbehilfe geleistet“, stellt Keilen fest. In Holland gebe es höchstens einen Fall, wo eine Person trotz optimaler palliativer Betreuung ihr Recht auf direkte volontäre Euthanasie geltend machen wollte – dazu jedoch letztlich in eine andere Einrichtung überführt wurde. „Es werde in dem von Omega 90 betriebenen in Hospiz aller Wahrscheinlichkeit keine Sterbehilfe praktiziert werden. Das auch zur Sicherheit der Leute, die hier hereinkommen“, argumentiert Keilen. Jedoch wolle Omega 90 auf keinen Fall zwischen Menschen, die „Palliative Care? und jenen, die aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen wollen, diskriminieren: In beiden Fällen hätten Betroffene ein Anrecht auf Trauerbegleitung.

Nächstes Jahr öffnet das Hospiz in Hamm seine Türen. Ob es dem Haus gelingen wird mehr zu sein als nur ein Sterbe-Hospiz, das wird die Zeit zeigen. Idealerweise könnte es ein Haus intensiven Lebens werden – an dessen Ende der Tod steht.

Omega 90 plant am 10. Oktober, dem „World Hospice and Palliative Care Day“, eine Reihe von Aktivitäten. Siehe dazu: http://www.omega90.lu/egocms/data/omega90_/PDF/formation/flyer_verso_hospiceday.pdf


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