Europa gerät in der Klimadebatte ins Hintertreffen und muss seine Klimaziele überdenken.
Auch wenn die europäische Öffentlichkeit ihren Blick vor allem deshalb nach Brüssel richtet, weil sie sich Klarheit in Bezug auf eine bestimmte Personalie erhofft, geht es beim aktuellen Gipfel der Staats- und Regierungschefs doch vor allem um die Vorbereitung der Weltklimakonferenz in Kopenhagen im Dezember.
Die letzten beiden Treffen auf europäischer Ebene, bei denen zuerst die Umweltminister und dann die Finanzminister zusammenkamen, verliefen eher enttäuschend. Die einen sprachen sich für ein wenig ambitiöses Ziel aus, nämlich eine Reduzierung des Klimagasausstoßes um lediglich zwanzig Prozent bis zum Jahre 2020, die anderen mochten sich weder auf ein Wieviel noch auf ein Wie bei der Finanzierung der Anpassungsmaßnahmen zugunsten der Länder des Südens festlegen.
Innerhalb weniger Monate hat Europa seine Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz verspielt. Man kann sich dabei des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass gewisse Kreise in Europa auf ein Scheitern von Kioto spekulieren. Auch wenn angesichts der Krise und der durch sie erzeugten Ebbe in den Staatskassen die Lösung des Klimaproblems nicht einfacher geworden ist, so ist es doch weiterhin an den reichen Ländern, die ja auch die eigentlichen Verursacher des Klimawandels sind, die unumgänglichen Maßnahmen einzuleiten beziehungaweise zu ermöglichen.
Die von der EU-Kommission in Vorschlag gebrachten zwei bis 15 Milliarden Anpassungshilfen (bis 2020) für die Entwicklungsländer, welche diesen bei der Wiederaufforstung oder der Entwicklung nachhaltiger Energiemodelle – also bei der direkten Bekämpfung des Klimawandels – helfen sollen, sind lächerlich angesichts der von ExpertInnen für den gleichen Zeitraum geforderten rund 35 Milliarden. Damit nicht genug: es gibt Bestrebungen, einen Teil oder sogar die Gesamtheit dieser Summen aus den ohnehin unzulänglichen Töpfen der „klassischen“ Entwicklungshilfe abzuzwacken.
Der Süden wird so gleich zweimal betrogen: Einmal dadurch, dass die Industrienationen – bis auf wenige Ausnahmen – es nicht fertiggebracht haben, ihr Versprechen aus dem Jahre 1970 einzuhalten und 0,7 Prozent ihres Brutto-Sozial-Produktes für Entwicklungshilfe an die Länder des Südens aufzuwenden. Zum zweiten durch ihre beharrliche Weigerung, die für die Anpassungsprogramme im Süden benötigten Summen bereitzustellen.
Und sollte sich Europa in diesen Tagen nicht doch noch einen kräftigen Ruck geben, so dürfte noch ein dritter Betrug, eigentlich ein Selbstbetrug, hinzukommen: Mit Blick auf den Handel mit ungenutzten Emissionsrechten des Südens glauben die Industrieländer, auf massive Einsparungen bei der eigenen Energieproduktion und dem damit verbunden Ausstoß von Klimagasen verzichten zu können. Das ohnehin mickrige Ziel von zwanzig Prozent soll zu großen Teilen durch diesen Emissionshandel erreicht werden.
Da niemand genau weiß, wie sich die Preise im Emissionshandel entwickeln, hat man es hier mit einer Art Roulettespiel mit den eigenen Staatshaushalten zu tun. Doch die Energiekosten werden unweigerlich steigen. Der Tag, an dem der Ablass von den CO2-Verpflichtungen nicht mehr billiger sein wird als die Anstrengungen, diese zu erfüllen, rückt daher unaufhaltsam näher. Spätestens, wenn es so weit ist, werden auch die Finanzpolitiker, die jetzt noch um jede Million schachern, begreifen, dass sie auch diesen Zug verpasst haben.
Das Fernziel, bis zum Jahre 2050 in unseren Breitengraden ein ausstoßfreies Wirtschaftssystem zu etablieren, lässt sich nur erreichen, wenn die EU sich bis 2020 ein Zwischenziel von minus vierzig Prozent setzt und dreißig Prozent dieser Reduktion durch eigene Anstrengung erbringt. So jedenfalls rechnen es die profiliertesten Klimaschützer vor. So lautet auch die Forderung von „Votum Klima“ an den luxemburgischen Premier Jean-Claude Juncker, von dem die Öffentlichkeit ein starkes Signal bei diesem Gipfel erwartet.