THE PRODIGY: Tanzender Teufel -stolpernde Bässe

Mit „The Fat of the Land“ hat
The Prodigy Mitte der 90er Raver und Rocker auf dem Dancefloor vereint. Jetzt tourt die Band um Liam Howlett mit dem aktuellen Album „Invaders Must Die“.

Auf das Äußere kommt es an – dagegen lassen die Texte von The Prodigy schon etwas zu wünschen übrig.

The Prodigy ist ein Wunderkind – zumindest, wenn es aus dem Englischen ins Deutschsprachige übersetzt wird. Und Wunderkinder sind zum Beispiel solche, die im Alter von fünf Jahren die Gravitationstheorie plausibel widerlegen oder aber bereits mit vier Jahren den Klavierlehrer an seine Grenzen bringen. Liam Howlett scheint ein solches Wunderkind jedoch nicht zu sein. Klavierunterricht hatte auch er in frühen Jahren, doch das nur auf Drängen seines Vaters, der sich die musikalische Entwicklung seines Sohnes anders vorstellte. Doch Howletts Interessen gelten nicht der Klassik, sondern der Hip-Hop-Bewegung der frühen Achtziger. Und so wird der Name der Band, mit der Howlett im Jahrzehnt darauf in Moskau vor 250.000 Menschen auftritt, nicht von einem Konzertflügel hergeleitet, sondern von einem Synthesizer-Modell, dem Moog-Prodigy-Synthesizer.

Dieses elektronische Instrument kommt auch für die Produktion eines Demo-Tapes zum Einsatz, das Howlett 1990 für Keith Flint und Leeroy Thornhill zusammenstellt. Die beiden sind Tänzer und von den Mixen des Party-DJs so beeindruckt, dass es gemeinsam mit einer weiteren Tänzerin namens Sharky zur Gründung der Band „The Prodigy“ kommt. Es folgt der erste Auftritt im Londoner Labyrinth, wo The Prodigy Keith Palmer alias Maxim Reality kennen lernen. Weil der Band für ihre Auftritte noch ein Master of Ceremony fehlt, wird Palmer aufgenommen und im Jahr darauf, nachdem Sharky das Projekt bereits verlassen hat, die erste Single „What Evil Lurks“ veröffentlicht. Es folgen zwei weitere und 1992 das Debütalbum „Experience“, das für viele Kritiker das beste Dance-Album des Jahres ist.

Zunächst noch stark am Acid House und Techno der frühen 90er orientiert, entwickelt The Prodigy einen neuen, wegweisenden Sound. Zwei Jahre später erscheint das zweite Album, das erkennen lässt, wohin dieser Weg führen soll. „Music for the Jilted Generation“ ist härter und experimenteller, erobert die britischen Charts über Nacht und verkauft sich mehr als eine Million mal. Die fetten Breakbeats werden zum Markenzeichen der Band und die im April 1996 veröffentlichte Single „Firestarter“ zum Vorboten ihres 1997 veröffentlichten und bislang erfolgreichsten Albums „The Fat of the Land“. Darauf zu finden ist auch das brachiale „Smack My Bitch Up“, dessen drogen- und sexlastiges Video in mehreren Staaten wie Großbritannien und natürlich den USA verboten wird. Wären Rocker und Raver Teil einer mathematischen Rechnung, so wäre The Prodigy der gemeinsame Nenner. Das gilt auch für Größen wie David Bowie, Madonna oder U2, nur dass deren Rechnung nicht aufgeht. Gerne würden sie mit den vier durchgeknallten Jungs aus England zusammenarbeiten, doch Liam Howlett lehnt ab. Mit einem Album, das in 22 Staaten Platz Eins der Charts belegt, kann er sich diesen Affront leisten. Die noch im gleichen Jahr startende Tour führt The Prodigy in 18 Monaten in mehr als 50 Länder und manifestiert die Daseinsberechtigung der übrigen Bandmitglieder. Denn musikalisch gesehen besteht die Band zwar weitestgehend aus Mastermind Liam Howlett, doch bei den Live-Auftritten wird deutlich, dass das Prodigy-Phänomen untrennbar mit den Tanz- und Gesangseinlagen von Maxim Reality, Firestarter Fint und Leeroy Thornhill verbunden ist. „Always Outnumbered, Never Outgunned“, ist das vierte Album, das nach einigen Soloprojekten und fast siebenjähriger Pause folgt. Dass The Prodigy an den Erfolg des Vorgängers nur schwer anknüpfen kann, war bereits abzusehen. Thornhill hat die Band zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen, Palmer und Flint sind zwar noch dabei, aber an der Produktion nicht beteiligt, und selbst die Gastauftritte von US-Rapperin Princess Superstar und Oasis-Sänger Liam Gallagher helfen nichts: Das 2004 erscheinende Album wird von den Kritikern zerrissen.

Woran The Prodgigy mit einem Best-Of-Album vier Jahre zuvor erinnert haben, wird mit dem Anfang 2009 veröffentlichten Werk „Invaders Must Die“ konsequent fortgesetzt. Schrille Gitarrenriffs treffen auf Drum’n’Bass, die harten Beats stolpern in gewohnter Manier einem neuen Jahrzehnt entgegen. „Invaders Must Die“ ist nicht wirklich innovativ und vielleicht auch nicht zeitgemäß. Doch wer einmal einen Trend gesetzt hat, muss sich nicht ständig neu erfinden. Wunderkinder machen so etwas. Aber Liam Howlett ist kein Wunderkind. Keith Flinth und Maxim Reality auch nicht. Sie sind The Prodigy: ein Mastermind, ein MC und ein tanzender Teufel. Ein 75-minütiger Breakbeat-Flashback. Ein Phänomen, das sich am Besten live erklären lässt.

The Prodigy ist an diesem Sonntag dem 29. November in der Escher Rockhal.


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