Der prächtige Luxemburg-Atlas verhebt sich ein wenig an der umfassenden Darstellung des Kleinstaates. Dennoch stellt er mit nicht wenigen aufschlussreichen Karten und Texten einen Gewinn für neugierige Leserinnen und Leser dar.
Einen Atlas zu erstellen, ist fürwahr eine titanische Aufgabe, die rundheraus Lob und Anerkennung verdient. Auf den Schultern des mythischen Titanen ruhten bei den alten Griechen „die Säulen, die Erde und Himmel auseinander halten“, so Homer. Wahrscheinlich wurde er 1585 von G. Mercator zum Namensgeber der ersten systematischen Sammlung gleichartig bearbeiteter und buchbinderisch zusammengefasster Karten erwählt, weil Himmel und Erde im Denken der Menschen damals noch stärker eine Einheit bildeten.
Nun ist ein anspruchsvoller Atlas zu Luxemburg erschienen. Nichts Kleines Graues, sondern etwas blau-silbern prachtvolles Großes. Es handelt sich um das achte Werk einer Atlantenserie des deutschen Verlags emons, der auf Initiative der Universität Luxemburg und des Forschungszentrums Ceps/Instead nach dem Vorbild des Köln Atlas entstand. Die Erstellung des zweisprachigen Werks wurde zudem unterstützt durch den „Fonds national de la recherche“, der insbesondere die Arbeit eines Kartographen finanzierte. Nach drei Jahren Arbeit wurde der 224-seitige Atlas Mitte Dezember 2009 der Öffentlichkeit präsentiert. Die sieben Herausgeber – allesamt Geografen – haben 95 jeweils zwei- bis vierseitige Beiträge von 80 Autorinnen und Autoren zusammengetragen bzw. initiiert und diese jeweils mit Luftbildern, Karten und Fotos illustriert. Laut RTL hat der Band Ende Januar sogar Leas Linster und Dan Brown überholt und belegt den Spitzenplatz der internationalen Luxemburger Bestsellerliste.
Fülle und Lücken
Vorab gesagt: Es ist eine Riesenaufgabe, darzustellen, was sich auf der Basis der natürlichen Grundlagen durch die Aktivitäten des Menschen räumlich ausgeprägt hat. „Unsere Absicht war, wissenschaftliche Daten und Inhalte einem breiten Publikum auf verständliche Weise zugänglich zu machen“, erläutert der Initiator des Atlanten, Christian Schulz, Geograf an der Universität Luxemburg. Es handelt sich nicht um einen Schulatlas, er ist aber als solcher durchaus einsetzbar. Man erhält fundierte und gut kommentierte, zum Teil auch lebendig und unterhaltsam geschriebene Infos. Damit trägt das Werk sicherlich zur Popularisierung von Wissenschaft bei und zeigt, wie wichtig Forschungsarbeiten sind, wenn man ein sich rasant wandelndes Land wie dieses wirklich verstehen will.
Mit Texten zu den Bereichen Geschichte, Sprache, Stadtentwicklung, Mobilität, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur wird eine große Palette an Themen bearbeitet. Eine wahre Fundgrube sind die vielen Karten zur historischen Entwicklung der Hauptstadt, zur Entwicklung des Lëtzebuergeschen, zur grenzüberschreitenden Mobilität und den Verflechtungen in der Großregion sowie zur Verteilung der Wohnorte bzw. Quartiere der Zuwanderer. Angesichts solcher zu Recht sehr ausführlich behandelter Themen muss jedoch verwundern, dass andere, nicht weniger wichtige, ganz fehlen. Im Falle von Karten zur Geomorphologie ? Horror des Erdkundeunterrichts und den meisten Menschen ohnehin unverständlich ? könnte man dies noch verschmerzen, obgleich jeder klassische Atlas mit dieser sehr steinig-erdigen Grundlagenthematik beginnt. Bei Themen wie dem Weinanbau an der Mosel jedoch wäre eine entsprechende Karte sehr hilfreich gewesen. Auch würde der Leser zweifellos Darstellungen der Felsformationen des Müllerthals oder der geologischen Beschaffenheit der Minetteregion interessant finden, die man aber vergeblich sucht. Das ist schade, da der Atlas andererseits eine sehr gute Grafik enthält, die das berühmte Montandreieck mit den Eisenerzlagerstätten zwischen Longwy und Nancy und den Steinkohlelagerstätten an der Saar zeigt. Die nicht gegebene räumliche Nähe der beiden Regionen und das Vorhandensein von Grenzen zwischen ihnen hat entscheidend zur Entstehung der Weltkriege beigetragen und die Gründung der Montanunion sowie schließlich der EU motiviert. Leider wird dies ebenso wenig thematisiert wie zum Beispiel der räumliche Aspekt von Kriegen und Besatzungen.
Fehlanzeige auch beim Thema Bildung und Schule, abgesehen von einer Karte zur Herkunft der Studierenden der neuen Universität, welche die extrem hohe Internationalität der Studierenden zeigt. Bei den 170 Professoren und Assistenzprofs ist diese aber ? mangels luxemburgischen akademischen Nachwuchses ? sicherlich ähnlich ausgeprägt. Was jedoch unkommentiert bleibt. Die Autorin, Britta Schlüter von der Kommunikationsabteilung der Uni, hat verständlicherweise eine Scheu, allzu sehr zu problematisieren. Gesundheit? Ebenfalls Fehlanzeige, wenn man von einer aufschlussreichen Karte zum sehr unterschiedlichen subjektiven Wohlgefühl von Rentnern absieht, das im Norden der Hauptstadt signifikant besser ist als im Süden. Auch die Medien scheinen nicht zu existieren. Aber bei der woxx möchte man vielleicht auch gar nicht wissen, welcher wo lebende Angehörige diverser Lifestyletypen doch lieber das „Wort“ abonniert. Ebenso die Religionszugehörigkeit der Menschen und die Macht der Kirche: Alles katholisch und gottgeordnet? Leider gibt es nur einen Artikel über die soziale Rolle der Kirche in der Hauptstadt vor 1867. Und die Schöpfung, das Thema Umwelt? Eine sehr gute Karte stellt die Biodiversität und den Naturschutz dar, der Text dazu thematisiert jedoch in einem eher technokratischem Stil den Aufbau der Schutzprogramme. Der Naturpark Our wird denn auch von einem dortigen Verantwortlichen selbst beschrieben. Eine weitere, sehr interessante Karte zeigt die Orte, an denen „grüner“ Strom produziert wird. Die folgenden Texte mit Karten, die nur Naturparks lokalisieren, waschen das Land auch eher grüner, als es ist. Probleme werden jedenfalls kaum angesprochen, so, als ginge es vor allem um eine stolze Darstellung von Erfolgen. So zeigt eine Karte die gesteigerte Internationalität der Fluglinien ab Findel, die Lärmbelastungen vieler Viertel (zu denen Karten existieren) wurden jedoch nicht dargestellt. Auch Karten zur Zersiedelung, zur Lärmbelastung, zum Feinstaubgehalt der Luft oder zur Wasserqualität der Gewässer wurden nicht aufgenommen, obwohl sie existieren.
Nicht präsent ist auch die Bodennutzung, also vor allem die Landwirtschaft ? eigentlich Pflichtthema für einen Atlas. Wo was wie produziert wird ? das darzustellen, sollte eigentlich Standard sein. Auch mit Details, die durchaus in einer Darstellung unterzubringen gewesen wären: Dominiert bei der Rinderhaltung im Norden die Fleisch- oder die Milchproduktion? Wie entwickelt sich die Biolandwirtschaft, und welche Regionen sind gentechnikfrei? Auch werden neben den ausführlich behandelten Branchen wie der Stahlindustrie und dem Finanzplatz andere Wirtschaftszweige kaum genauer unter die Lupe genommen. Zwar gibt es Ausnahmen hiervon, zum Beispiel die luxemburgische Braukultur (nicht nur Diekirch ist von der Globalisierung betroffen) oder die hiesige Softwareindustrie im Kontext der anderen überregionalen Cluster der Branche. Auch stellen einige Karten die Verteilung der Standorte italienischer, französischer oder chinesischer Restaurants oder die Häufung von Sternelokalen an bestimmten Orten (Schouweiler!) dar. Aber in welcher Abhängigkeit von sozialer Herkunft und Kaufkraft sich das Café-, Kneipen- und Nachtclubleben entwickelt hat, dazu findet sich nichts. Vielleicht ist das alles zu viel verlangt.
Vielfalt und Beliebigkeit
Den Herausgebern ist durchaus bewusst, dass ihr Erstling nicht erschöpfend ist und nicht systematisch alle Themen abdeckt, die üblicherweise in einem solchen Werk zu finden sind (siehe dazu nebenstehenden Kasten). Eine Ursache hiervon liegt sicherlich darin, dass die Autoren nicht nur ihre Sprache selbst wählen konnten, sondern teilweise auch die Themen. Einige Bereiche seien im Vorfeld festgelegt worden, dann habe man geeignete Verfasser gewählt, erläutert Christian Schulz. Zu zahlreichen Themen hätten sich jedoch keine Autoren gefunden. Andererseits habe man Autoren um ihre Mitarbeit gebeten, „ohne ihnen jedoch die Themen vorzugeben“.
Diese Vorgehensweise hat Vor- und Nachteile. Zwar entstanden einige fundierte und ungewöhnliche Beiträge über bisher geografisch kaum behandelte Themen: Antoinette Lorang schreibt über Arbeiterwohnungen und das Plateau Bourbon, Jean Schiltz beschreibt den Berufsverkehr in und um die Hauptstadt. Andere Karten zeigen sehr lebensnah die in der Hauptstadt erfreuliche hohe – und außerhalb nervenaufreibend niedrige – Takthäufigkeit von Bus und Bahn. Bei anderen Themen bleibt der Atlas jedoch unter seinen Möglichkeiten, hier lässt sich der Betrachter von der hervorragenden Qualität der meisten Fotos nicht blenden. Bei genauerem Hinsehen ist man zwar dankbar, dass ein aufschlussreicher Text von Roland Maas über Obdachlosigkeit in Luxemburg-Stadt andere Texte über die Entwicklung des Wohnungsmarktes ergänzt. Gezeigt wird jedoch nur die Aufnahmestruktur: mit zwei Karten, die städtische Ballungen zeigen, und einem sauberen Foto, das perfekte Betreuung signalisiert. Woher die S.D.F. jedoch kommen, wo ihr letzter Wohnsitz war und warum sie auf der Straße gelandet sind, wird nicht thematisiert. Auch die Karten zur räumlichen Verteilung der Portugiesen, mit denen der sehr gute Text von Fernand Fehlen illustriert wird, wären in Kombination mit einer Karte zu den Unterschieden der Mietpreise erhellender gewesen.
Ähnliches gilt für die naheliegenden Zusammenhänge zwischen hohen Arbeitslosenquoten in Lothringen und der Anziehungskraft boomender Branchen in Luxemburg. Keine einzige Karte zeigt, in welchen Branchen und zu welchem Lohn/Gehalt die Grenzpendler arbeiten. Parallel zum Anteil der Grenzgänger vermisst man auch eine Analyse der Entwicklung der Beschäftigungszahlen. So erscheinen Grenzpendler vor allem als Verkehrsproblem, nicht aber in ihrer Funktion als ideale Verfügungsmasse der heimischen Wirtschaft. Ergänzend hierzu würde man auch gerne erfahren, wo, ausserhalb von Landwirtschaft, Schulen und Behörden, eigentlich die Luxemburger arbeiten. Auch wird zwar die gesamteuropäische Lage des Landes thematisiert, die überregionalen Verkehrsströme werden jedoch unter diesem Gesichtspunkt nicht analysiert. Antoine Beyer beschreibt den Tanktourismus, jedoch nur das Angebot, nicht die Nachfrage. Um nicht missverstanden zu werden: Alle diese Themen wurden mit zum Teil bislang unveröffentlichten und meist sehr aktuellen und guten Karten illustriert. Dennoch: Die Auswahl ist stark subjektiv und beruht nicht selten auf Zufälligem. Das sind verpasste Chancen, die enttäuschen können.
Ein weiteres Manko ist, dass die meisten Karten eindimensional sind: Sie zeigen oft nur die räumliche Verteilung eines Faktors oder Indikators. Zum Beispiel die der Banken und Versicherungen in der Hauptstadt – sie ist wiedergegeben, wie sie sich heute darstellt, entbehrt gänzlich der zeitlichen Tiefe. Es wäre auch beim Thema Finanzen nicht uninteressant gewesen, die weltweiten Verflechtungen des Finanzplatzes zu zeigen. Auch zur räumlichen Herkunft der am Finanzplatz verschobenen, pardon: investierten, Gelder hätten sich verwertbare Daten finden lassen. Dagegen scheinen andere Karten nur erstellt worden zu sein, weil ein Atlas halt Karten enthält. Nicht aber, weil die Visualiserung einen echten Informationsgewinn erzeugt. Sie gehen nicht in die Tiefe, fragen nicht nach: Damit Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge verständlich werden, wären Kombinationen verschiedener Indikatoren nötig gewesen. Oder Vergleiche mit anderen Regionen der Welt.
Großversuch und Kleingeist
Auch die Reihenfolge ist etwas konfus. Gleich zu Beginn werden Karten zu den Standorten der EU-Institutionen in der Hauptstadt sowie den Hauptzielländern der Entwicklungshilfe zwischen historischen Karten zur politischen Struktur Luxemburgs im Mittelalter und den bedeutendsten Marktflecken platziert. Positiv ist allerdings, dass der Blickwinkel immer wieder auf die Großregion ausgeweitet wird: Auf der Basis einführender ausführlicher Beiträge über das historische Herzogtum werden heutige grenzüberschreitende Themen wie die Bewegungen der Grenzpendler, Detailkarten zur geografischen Verbreitung der drei hier gesprochenen Sprachen oder der Intensität der kulturellen Zusammenarbeit in der Großregion verständlicher.
Die Autorinnen und Autoren sind überwiegend Wissenschaftler von Ceps/Instead sowie der hiesigen Universität (zum Teil auch anderer). Dazu kommen viele Texte von Angestellten der kommunalen und öffentlichen Verwaltungen (aus den Bereichen Städtewesen, Verkehr, Museen, Denkmalschutz u.a.), aber auch einige wenige von Unternehmen und Initiativen. Wenngleich die Uni erst seit wenigen Jahren geografische Forschungsergebnisse zu Luxemburg produziert, erstaunt die Tatsache, dass einerseits nur ein Text von einem Autor des Statec stammt und andererseits zivilgesellschaftliche Autoren sich auf Themen wie den Naturpark Our, die Schueberfouer und die zeitgenössische Architektur beschränken. Kritischere Autorinnen und Autoren, zum Beispiel des Meco, des Nachhaltigkeitsrates, des Klimabündnisses sowie der Gewerkschaften oder der Asti, hätten dem Atlas mit Texten zu kontroverseren Themen gut getan. Erstere hätten die mageren, sich auf Niederschläge und frostfreie Tage beschränkenden zwei Seiten der „Kleinen Geschichte der Klimabeobachtung“ sicherlich gerne um zwei weitere Seiten mit Prognosen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf den (von André Mehlen schön dokumentierten aktuellen) Weinanbau oder zur Zukunft der bald nicht mehr angepassten Wälder ergänzt.
Dass einige Fragen offen bleiben, liegt auch daran, dass manche Karten nicht Ergebnis einer Vielzahl von Forschungsarbeiten sind, sondern auf wenigen Quellen basieren. Gewagt erscheint zum Beispiel die These von Heinz Sieburg, das Kloster Echternach sei im 8. Jahrhundert mit seinen frühen althochdeutschen Glossen gewissermaßen der Ausgangspunkt der deutschen Schriftsprache gewesen. Das wäre natürlich nicht nur eine Sensation, sondern auch ein Triumph für die weiter östlich gerne verunglimpften Dialektsprecher. Glossen waren Übersetzungsangebote, die als in der jeweiligen Volkssprache abgefasste Randnotizen an christlichen Texten deren Inhalt erläuterten. Die theologischen Vorstellungen lateinischer Texte wurden von Mönchen übersetzt. Dies geschah jedoch gleichzeitig und punktuell nicht nur in Echternach, sondern auch im Kloster Reichenau, im Falle der Merseburger Zaubersprüche oder des Hildebrandslieds, ohne dass eine Chronologie von Bedeutung gewesen wäre. Echternach war wohl kaum Auslöser oder Wiege des Hochdeutschen, sondern ein Ort unter vielen, in denen die Volkssprache erstmals schriftlich niedergelegt wurde.
Dem mythischen Riesen Atlas nachempfunden, gibt es in vielen klassischen Bauwerken eine männliche Figur, die als architektonische Stütze fungiert und, wie ihr Vorbild das Himmelsgewölbe, bildhaft das Gebäude trägt. Entsprechend könnte man sagen, dass ein Kartenwerk von dem aktuellsten verfügbaren Wissen zu seinem irdischen räumlichen Forschungsgegenstand getragen werden sollte. Dass man sich mit diesem Projekt überhoben hätte, wäre daher zu hart formuliert. Luxemburg war jedoch bislang schlicht zu wenig interessant, als dass Heerscharen von Forschern allen hiesigen geografischen Einzelaspekten ihre Zeit gewidmet hätten und man nur noch die Sahne hätte abzuschöpfen brauchen.
Geschlagene 435 Jahre hat man nach Mercators Innovation im Marienland warten müssen, bis auch diesem Flecken Erde ein eigener Atlas gewidmet wurde. Bislang hatte man an den Rändern französischer und deutscher Kartenblätter zu suchen, wenn man sehen wollte, ob sich da Unterschiede ? welcher Art auch immer ? finden ließen. Dank der wirtschaftlichen Dynamik der letzten Jahrzehnte und der vielfältigen Verflechtungen in der Großregion gibt es nun ein gesteigertes Interesse an einem solchen Atlas. Tauglich ist er zwar auch als Präsent bei Geburtstagen, aber seinen Haupteinsatz wird er sicherlich bei Staatsbesuchen und in der Wirtschaftsförderung finden. Wenn auch Patrick Bausch (Ceps/Instead) betont, dass es nicht um die Vermarktung des Großherzogtums gehe, und Christian Schulz versichert, werbeträchtige Beiträge habe man abgelehnt, so bleibt Hochglanz doch der bleibende Eindruck. Nichtsdestoweniger sind dutzende Blätter für sozial- und umweltpolitisch Engagierte sehr aufschlussreich. Geografische und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse können eben ? gut aufbereitet ? enorm zum Erkenntnisgewinn beitragen, Probleme veranschaulichen und Lösungswege aufzeigen.
Bausch, Patrick/Chilla, Tobias/Gerber, Philippe/Klein, Olivier/ Schulz, Christian/Sohn, Christophe/Wiktorin, Dorothea:
Der Luxemburg Atlas/Atlas du Luxembourg, Köln 2009
Das großformatige Buch ist für 49,80 Euro in allen Buchhandlungen erhältlich. Bislang erschienen in der gleichen Serie zwei Ausgaben eines Köln-Atlas sowie Atlanten über München, Leipzig, Nürnberg, Düsseldorf und die Metropole Ruhr.
VERGLEICH
Wozu ein Atlas?
von Raymond Klein
Wie Enzyklopädien dienen Atlanten nicht nur dazu, nach Informationen zu suchen, sie sollen auch dazu anregen, einfach in ihnen herumzustöbern. Im Luxemburg-Atlas zu blättern, macht dank des großen Formats und der prächtigen Illustrationen Spaß, und das ist durchaus eine lobenswerte Eigenschaft. Aber es sollten darüber hinaus auch die Kartographie und die Begleittexte inhaltlich auf der Höhe sein. Wie von anderen Atlanten ist auch vom Luxemburg-Atlas zu verlangen, dass die Karten Informationen effizient vermitteln und neue Einblicke in die behandelte Materie ermöglichen.
Sehen wir uns unter diesem Gesichtspunkt und zum Vergleich drei Kartenwerke zum aktuellen Thema China an: Im kleinformatigen „Atlas Shanghai“ (Editions Autrement 2009) erfährt man viel Wissenswertes über die Metropole am Delta des Yangzi Jiang. Auffällig ist die starke Variation der Größe der dargestellten Zonen mit vielen regionalen Karten einerseits und Stadtviertelplänen andererseits. Ein weiterer Unterschied zum Luxemburg-Atlas ist die redaktionelle Vereinheitlichung der Texte und der Karten – letztere sind stärker auf Effizienz ausgelegt, wie ein Vergleich beim Thema Suburbanisierung zeigt.
Der bereits 1997 erschienene „Atlas de l’Asie orientale“ (Seuil) ist grafisch wesentlich simpler aufgemacht. Dafür vermittelt er sehr gut analytische Informationen, zum Beispiel zur Entwicklung der Alterstrukturen in Ostasien bis 2030 – eine entsprechende Karte zur Großregion sucht man im Luxemburg-Atlas vergeblich. „Meyers Atlas China“ (2010) dagegen enttäuscht visuell trotz seines großen Formats: Die gleiche Grundkarte, die an den Grenzen der Volksrepublik endet, wird zig-fach wiederholt. Die thematischen Karten erscheinen häufig überladen und sind kaum mehr als in grafische Form gebrachte Statistik. Lobenswert sind demgegenüber die durchgängig analytischen Texte und ein paar originelle Karten wie jene zur Herkunft wichtiger Politiker. Für etwas Ähnliches im Luxemburg-Atlas würde man gerne auf einen der zahlreichen historischen und deskriptiven Hauptstadtpläne verzichten.
Den Maßstab in Sachen Wissensvermittlung und visuelle Attraktivität setzt allerdings der seit 2003 erscheinende „Atlas du Monde diplomatique“. Wie im Luxemburg-Atlas werden die Beiträge der rund achtzig AutorInnen häppchenweise auf jeweils einer Doppelseite serviert. Doch das wirklich Bemerkenswerte sind die weit über hundert Karten, die Seite für Seite dem Anspruch, Zusammenhänge zu veranschaulichen, voll gerecht werden. Gewiss sind die behandelten Themen ihrer Natur nach „strategischer“ als die unspezifischeren der Luxemburger Publikation. Doch die synthetische Herangehensweise, wie sie sich insbesondere in den Skizzenkarten „Le monde vu de …“ ausdrückt, hätte auch im Luxemburger Atlas realisiert werden können.
Stattdessen haben Karten und Textbeiträge dort einen stark deskriptiven, manchmal sogar nur aufzählenden Charakter. Trotz der zum Teil interessanten Themen dienen die Karten nicht der Veranschaulichung von Zusammenhängen, sondern vor allem der Illustration. Das ist zweifellos wertvoll, wenn die gezeigte Information neu ist, unstreitig nützlich, wenn die Kartographie sie adäquat vermitteln kann – und langweilig, wenn man mit dem jeweiligen Thema ein wenig vertraut ist. Außerdem werden manche Themen mit Aktualitätsbezug ausgespart, zum Beispiel die Verteilung der Shopping Malls, die Planung neuer Verkehrsachsen oder die Möglichkeiten von Gemeindefusionen. Eine analytischere und politischere Herangehensweise hätte dem Band auf formaler wie auf inhaltlicher Ebene gutgetan.
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