MOBILFUNK: Paradigmenwechsel

Schon im Juli 2009 sprach der Verwaltungsgerichtshof in letzter Instanz ein Urteil, welches die bisherige Mobilfunkantennen-Politik auf den Kopf stellen dürfte.

Als 2003 die Regierung den sektoriellen Plan zum Mobilfunk umsetzte, trug sie gesundheitlichen Bedenken, die gegen diese Technik vorgebracht werden, nicht genügend Rechnung. Das behaupteten damals Kritiker eines ungehemmten Mobilfunks, wie zum Beispiel „akut“. Aber auch die Grünen forderten die Beachtung des Vorsorgeprinzips: Die von GSM-Antennen ausgehenden Strahlungen müssten auf ein Niveau abgesenkt werden, das gesundheitliche Schäden für Anrainer ausschließt.

Die Bedenken wurden damals von der Regierung und vor allem von den Betreibern als unbegründet zurückgewiesen. Der Ausbau des Handy-Netzes genoss absolute Priorität, und tatsächlich hat sich Luxemburg dank dieser liberalen Politik zum wahren Handyparadies entwickelt. Doch jetzt könnte diese Politik einen Dämpfer erhalten, da der Verwaltungsgerichtshof in einem nicht mehr anfechtbaren Urteil festgestellt hat, dass der Sektorplan Mobilfunk in wichtigen Punkten den rechtlichen Anforderungen nicht genügt.

Obwohl es sich um ein Einzelurteil handelt, das das Recht einiger BürgerInnen aus Crauthem bekräftigt, sich gegen den Ausbau einer bestehenden Antennenanlage zu wehren, dürfte diese Jurisprudenz das bisherige Genehmigungsverfahren für sämtliche Antennenbetreiber außer Kraft setzen.

Der grüne Abgeordnete Camille Gira spricht sogar von einem „Paradigmenwechsel“, da das Urteil in vier wesentlichen Punkten die bisherige Politik aus den Angeln hebt. Als erstes widerspricht der Gerichtshof der Regierung und den Betreibern in der Frage der Beweislast. Die hatten versucht, die Einwände der Anrainer mit dem Argument abzuwehren, dass diese es unterlassen hätten, Beweise für eine mögliche Gesundheitsschädigung vorzulegen. Hier stellt das Gericht nüchtern fest, dass es sich um ein Genehmigungsverfahren handelt, das im Vorfeld der Errichtung einer bestimmten Anlage stattfindet. Man könne von Anrainern nicht verlangen, mögliche Schäden zu belegen, noch ehe die Gefahrenquelle überhaupt in Betrieb sei. Vielmehr sei es Sache des Betreibers, Bedenken dieser Art wissenschaftlich zu entkräften.

In Sachen Vorsorgeprinzip dreht das Gericht ebenfalls den Spieß um: Auch wenn das Risiko, das von den Mobilfunkantennen ausgehe, nur ein hypothetisches sei, so obliege es doch den Verantwortlichen, es auf ein Mindestmaß herunterzuschrauben. Gerade jüngere Urteile aus dem europäischen Ausland würden die potentielle Gefährdung durch den Mobilfunk durchaus anerkennen; das Interesse der Kläger, auf höchste Sicherheitsstandards zu drängen, sei daher legitim.

Da in Crauthem bereits Antennen installiert worden waren, und ein neuer Betreiber zusätzliche Antennen anbringen wollte, war von diesem lediglich verlangt worden, die auch von seinen Konkurrenten eingehaltenen Leistungswerte nicht zu übersteigen. Diese Regelung hat nun das Verwaltungsgericht in seinem Urteil ebenfalls für ungültig erklärt: Es gelte die Gesamtanlage zu bewerten, und deren Strahlenbelastung dürfe im Ganzen genommen die Richtwerte nicht übersteigen. Zusätzliche Antennen wären demnach nur dann zulässig, wenn die Leistung der vorher installierten Antennen gesenkt würde.

Und auch den in Luxemburg angewandten Grenzwert stellt das Gericht in Frage, da er bei Antennenanlagen mit drei Betreibern bis zu 9 V/m zulässt. Damit widerspricht das Gericht der Behauptung, die Luxemburger Grenzwerte seien europaweit die strengsten. Italien, zum Beispiel, habe inzwischen den Maximalwert bei 6 V/m festgesetzt.

Die Grünen nehmen das Urteil zum Anlass, eine komplette Überarbeitung des sektoriellen Mobilfunk-Plans zu fordern. Der neue Plan solle auch den inzwischen etablierten technischen Neuerungen, wie dem UMTS-Netz, Rechnung tragen. Gerade der Gesundheitsaspekt verlange eine mit dem Urteil im Einklang stehende Würdigung.

Für den grünen Abgeordneten und „akut“-Präsidenten Jean Huss ist es an der Zeit, die Richtwertediskussion endlich an den neuesten Erkenntnissen auszurichten. Die internationale „BioInitiative“ kommt nach Auswertung von über 2.000 Studien zum Schluss, dass im Außenbereich ein Vorsorgewert von 0,6 V/m gelten sollte. Dass dies möglich, das heißt, auch ohne größere Komfort-Einbußen für die GSM-Nutzerinnen technisch machbar ist, soll ein Großversuch in 16 französischen Städten und Dörfern belegen. In Madrid wurde in einem Vorort mit 200.000 Einwohnern bereits erfolgreich mit diesem Richtwert gearbeitet.


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